Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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vom G’schäft?«

      »Aber hier geht’s doch nicht um eure Geschäfte!«, protestierte das Scherdorfer Anti-Atom-Mädel. »Hier geht’s um …, um …, also …«

      »Genau«, sagte ich. »Und davon abgesehen – wenn ich Grafiker wäre, müsste ich bei zwei gleich großen Kästchen Helfried Broth & Die Aufsteiger auch kleiner schreiben als Ming Tant …«

      Aber der Kollege Helfried hatte in den letzten drei Jahren an die anderthalb Millionen Platten verkauft. Dass er das eventuell weniger seiner Musik als seiner tragenden Rolle in der überaus erfolgreichen Fernsehserie Leinen los! zu verdanken hatte, interessierte hier niemanden. Umsatz ist Umsatz. Und wenn Broth nicht auftrat, würde er nicht auf dem Album vertreten sein. Und wenn er nicht auf dem Album vertreten war, würde davon womöglich ein Drittel der geplanten Hunderttausender-Startauflage in den Regalen liegen bleiben. Also hätte ich hier in meinen schäbigen Klamotten auf dem Tisch herumstehen, ein volles Aquarium auf dem Kopf balancieren, mit drei Händen voll Götterspeise jonglieren und gleichzeitig die Goldberg-Variationen furzen können – ich spielte hier keine Rolle; ich war bloß einer dieser Musiker

      Also musste Dörmann all seine diplomatischen Fähigkeiten aufbringen, um eine Kompromisslösung zu finden. Einer der Vorschläge dazu lautete, Broth und seine Kapelle sollten, um seiner besonderen Stellung in der deutschen Musiklandschaft willen, erstens an beiden Abenden als Top Act auftreten, und zweitens solle man doch darüber nachdenken, bei der geplanten großen All-Star-Session zum Abschluss statt des unausweichlichen Knocking On Heaven’s Door vielleicht ein paar von Broths Hits zu spielen. Tonlos vor sich hin pfeifend holte Veedelnoh einen Würfel aus der Tasche, ließ ihn über die Tischplatte klackern und knallte die Hand darauf, bevor man sehen konnte, welche Zahl oben lag.

      »Verlierer geht«, sagte er zu mir.

      »Unpaar«, sagte ich. Noh hob die Hand. Eine Vier. »Vielleicht auch besser so«, brummte ich. »Bevor ich ihnen anbiete, Zu Essen werd ich als Schlagzeugsolo aufzuführen, mit ein paar Pizza Funghi als Becken und Helfrieds Arsch als Bassdrum.«

      »Und Kippen«, sagte Noh und gab mir einen Zehner.

      Also ging der Verlierer.

      In die Kneipe um die Ecke von Pfundigs Büro. Bier holen.

      Und Kippen.

      Auf dem Weg dorthin kam ich an einem heruntergekommenen Altbau vorbei, der aussah, als sei er von Hausbesetzern bewohnt. Unter einem offenen Fenster im ersten Stock hing ein Bettlaken mit der obligaten Anti-AKW-Sonne; aus dem Fenster schallte Musik. Jemand grölte mich an, ich solle kaputt machen, was mich kaputt macht. Ich überlegte, womit oder mit wem ich da wohl am besten anfinge, und assoziierte einen endlosen Reigen von Arschgeigen, die sich gegenseitig kaputt machten, weil sie einander kaputt machten, weil sie einander kaputt machten, weil sie einander kaputt machten. Ich fragte mich, ob ich da heil wieder rauskommen würde. Oder überhaupt irgendjemand …

      »Aber wo wir eben beim Thema Sanitäranlagen waren«, nahm gerade einer der Scherdorfer Stadt-, Land-, Flussräte einen anderen Faden wieder auf, als ich drei schnelle Helle später wieder zurück kam, ein paar Flaschen Löwenbräu unterm Arm. Und Kippen. »Da sind wir doch wohl angesichts der neuesten Zahlen, was die erwartete Menge der Zuschauer angeht, anscheinend längst nicht mehr auf dem neuesten Stand. Wir in Scherdorf haben da ein interessantes Angebot von einem örtlichen Unternehmer vorliegen …«

      »Ach, der Heugen«, brummte Homburg.

      »Ah, Sie kennen den?« Homburg schwieg und beschäftigte sich angelegentlich mit seiner schweren Armbanduhr, als hätte er schon zu viel gesagt, sein Lächeln ungefähr so dünn wie der Kaffee in einem Mitropa-Speisewagen

      »Na, wer kennt den net?«, sprang Pfundig ein. »I könnt’ dreimal im Jahr nach Mallorca flieg’n, wenn i den öfters b’schäftigen würd’.«

      »Aber der hat die Kapazitäten, die mir brauch’n«, beeilte sich der zweite Ratsherr zu versichern und versuchte, nicht allzu ertappt auszusehen. Aber sicher war Meerluft gut für seine Augen. Er trug eine Brille, so dick wie der Boden von Apfelkorngläsern. Ich musste es ja wissen, so oft, wie ich da schon durchgeguckt hatte.

      »Mag sein«, sagte Pfundig und wies auf die Bühnenleute. »Aber denen dürfen’s von dem seine Preisvorstellungen scho’ fei’ goar nix erzähl’n.« Hochgezogene Augenbrauen bei Licht, Ton und Catering.

      »Aach«, winkte Stadtrat Nummer eins ab. »Mit dem kann man verhandeln!«

      »Mit dem Heugen verhandeln?!« Pfundig lachte. »Na, viel Vergnügen!«

      »Scho’«, sekundierte Stadtrat Nummer zwei. »Mir müssten eam halt bloß an kleinen G’fallen tun …«

       8 – Martina

       Bonn, Montag, 21. Juli 1986

      Das schwere Kernkraftwerkunglück von Tschernobyl am 26. April 1986 zeigt besonders deutlich das Risiko der Kernkraft für die Gesundheit der Menschen, las Martina Esser-Steinecke bei dem Versuch, sich noch ein wenig schlauer zu machen, ein Stück weiter in die Materie einzusteigen und Sabine Illenbergers Vorsprung zu verkleinern.

       Ausgelöst wurde das Unglück durch eklatante Mängel in der Reaktorkonstruktion und, letztendlich, dadurch, dass subalternes Bedienungspersonal im Laufe eines völlig fehlgeplanten und überhastet durchgeführten Experiments hoffnungslos überfordert war. Das Experiment hatte dazu dienen sollen, herauszufinden, ob sich aus der Hitze, die bei einem Kernreaktor normalerweise verloren geht, wenn er für Wartungsarbeiten auf ein Minimum seiner Leistung herunter gefahren wird, nicht brauchbare Energie gewinnen lassen könnte. Ein Experiment, das im Falle des Gelingens wegweisend für den Betrieb solcher Reaktoren weltweit gewesen wäre, zum Ruhme sowjetischer Technik und Wissenschaft. Ein Experiment, das aber in der geplanten Form gar nicht gelingen konnte – es löste eine Kernschmelze aus, und im Reaktor des Blocks Vier von Tschernobyl gab es eine verheerende Explosion.

      Dadurch wurde eine unkontrollierte Kettenreaktion ausgelöst, die noch Tage später kaum bewältigt werden konnte.

      »Unkontrollierte Kettenreaktion«, sagte Martina zu Georgina. »Das kenn’ ich!«

      Georgina war eine ihrer fünf Katzen, benannt nach den weltberühmten Fünf Freunden Enid Blytons: Anne, Georgina, Richard, Julius und Tim, der Hund. Es waren zwar drei Katzen und zwei Kater, aber Martina hatte, bei allem Engagement für Gleichberechtigung, ihr Namensgebungssystem deswegen nicht umwerfen wollen, und so hieß die dritte Katze, eine ausgerechnet in Griechenland zugelaufene, rot-braun gefleckte Türkisch Angora, eben Tim-der-Hund. Aber die alte Streunerin war natürlich wieder mal irgendwo in den Hinterhöfen Bonns unterwegs. Anne und Richard waren Geschwister mit der feinen blauschwarzen Wolle der Kartäuser, die wie üblich noch zusammengerollt im Schlafzimmer in dem Regal mit den Pullovern lagen und leise schnarchten. Julius war ein finster dreinblickender weißer Perser, der auch jetzt wieder mit einer Miene auf der Fensterbank lag, als wäre eine Ladung Ammoniak das Beste, das er für die ersten Frühaufsteher und Zur-Arbeit-Haster da unten zu bieten hätte, und Georgina, die auf dem Schreibtisch lag und sich ausgiebig ihrer Morgenwäsche widmete, war eine elegante Tonkanese, mit honigfarbenem Fell und den typischen schwarzen Siamkatzen-Abzeichen am Schwanz und im Gesicht.

      Es war halb sechs morgens. Immer wieder ließ Martina sich ablenken, lenkte sie sich selbst ab, hing ihren Gedanken nach, schnüffelte an ihren Fingern, sog die Ausdünstungen ein, die aus ihrem Morgenrock stiegen, seufzte, wünschte sich einen Moment lang sogar, sie würde rauchen. Halb sechs, und Zoller war seit zwei Stunden weg.

      … wird in der Regel die Kernspaltung von Uran 235 dazu benutzt, Wasser auf hohe Temperaturen zu erhitzen und damit Turbinen zur Stromerzeugung zu betreiben. Es gibt weitere für Kernkraftwerke nutzbare Nuklide, die spaltbar sind, so z.B. das Plutonium 239.

      Seit