Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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ihn ungespitzt in den Boden rammte, weil sie offensichtlich viel lieber mit Zoller gesprochen und dem weiter ihr Konzept verkauft hätte. Aber freilich konnte sie nicht umhin, ihm zu antworten, und sah währenddessen nur missmutig hinter Zoller her, der zu Martina hinüber schlenderte und sich lässig neben sie auf das Mäuerchen schwang.

      »He, Tina«, sagte er und stieß heftigen Rauch aus der Nase, als wüsste er genau, dass sie das gleich aus der Balance brachte – nicht einmal wegen des verhassten Zigarettenrauchs würde sie von ihm abrücken. Viel zu sehr war sie sich bewusst, dass sich sein muskulöser Oberschenkel an ihren Arm drückte. »Du hast mich so komisch angeguckt, eben, da drinnen. Was hast du denn wirklich gedacht?«

      Das würd’ ich dir nicht mal erzählen, wenn du mir deine Scheiß-Kippe jetzt ins Ohr stecken würdest, dachte Martina.

      »Wie meinste’n das?«, fragte sie laut und wandte sich ihm mit einer halben Drehung zu.

      »Ach, weiß nicht«, sagte er leichthin. »Irgendwas schien in der Luft zu hängen.« Sie zuckte die Schultern und zog ihre Zöpfe gerade. »Aber was anderes«, sagte Zoller und schlug wie beiläufig ein Bein über das andere, sodass nun wie unabsichtlich sein Knie ihre Brust berührte. »Was machste’n heut’ Abend?« Martinas Atem setzte einen Moment aus. Sie spürte das Knie, die Kraft und die Wärme, und sie spürte, wie rote Flecken von dort ihren Hals hinauf kletterten. Und sie hoffte, dass die nicht zu sehen waren. Aber wieso dann wanderte sein Blick jetzt von ihren Augen dorthin? Und von da zu ihren Lippen, ihrem vollen, breiten Clownsmund, auf den sie – zu Recht – so stolz war?

      Oh nein, Steinecke, du wirst jetzt nicht ohnmächtig werden.

      »Wieso?«, fragte sie und versuchte zu ignorieren, dass ihre Brust anschwoll, ihr Nippel sich versteifte. Zoller antwortete nicht. Lächelte bloß sein verdammtes, herzerwärmendes, von sich selbst überzeugtes Lächeln und schlug in Zeitlupe die Wimpern hoch, bis er wieder in ihre Augen sah, mit seinen braun-grün gefleckten, permanent zwischen schläfrig und stechend changierenden, die immer auf sein Gegenüber los gingen wie der Kettenhund eines hessischen Bauernhofs. Wo Zoller ja auch herkam. Grüne Augen, Froschnatur, von der Liebe keine Spur, ging Martina ein alter Kinderreim durch den Kopf. Aber sie schluckte. Musste schlucken. Er will mich immer noch. Er will mich noch mal. Und dann sah sie Sabines waidwunden Blick zu ihnen herüber, sah Paulas Tränen, Christas scharfe Falten um den Mundwinkel, Annemaries Wut, Helgas abgekaute Fingernägel, sah sich selbst mit verquollenen Augen in ihrem Bonner Appartement sitzen und sich an einer Flasche Rotwein festhalten und Mon Chéri in sich hineinstopfen. Sie drehte sich ganz zu ihm herum, trat einen halben Schritt zurück und legte ihm beide Hände auf die Oberschenkel. Ziemlich weit oben. Holte einmal kurz und heftig Luft durch die Nase, blickte ihm in die Augen und sagte:

      »Mit Verlaub, Herr designierter Parteivorsitzender, Sie sind ein Arschloch!« Und sie sah sich selbst an einer Hafenmole stehen, der Wind peitschte ihr die Zöpfe um die Wangen, und das Horn eines Dampfers tutete, und vor ihr rasselten Ketten und Taue von Pollern, rutschten platschend ins Wasser, und ein Schiff legte ab. Aber es war kein Schiff, es war die weiße Küste Kretas, und sie entfernte sich, langsam, aber unaufhaltsam, in Richtung eines strahlend Ägäis-blauen Horizonts, und lachende Matrosen in blau-weiß gestreiften Hemdchen warfen Ballast ab – tönerne Katzenfiguren in allen Stellungen; und aus dem Inneren des Schiffsbauchs erklang das klägliche Maunzen und Miauen zum Ertrinken verdammter, noch lebender Katzen, und Martina hatte beide Hände um das letzte, schenkeldicke Tau gekrallt, versuchte, die Insel festzuhalten, ihren Traum festzuhalten …

      Und jemand neben ihr lachte aus vollem Hals.

      Nein, vor ihr. Und dann legten Zollers Hände sich um die ihren und lösten die in seine Oberschenkel gekrallten Finger, und eine der Hände kam hoch, und ein nach Nikotin stinkender Zeigefinger hob ihr Kinn an.

      »He«, sagte Zoller, immer noch lachend. »Ich weiß ja nicht, was du dir gedacht hast – aber ich wollte mit dir mal über den Umweltministerposten in Hessen reden. Unter vier Augen.«

      Sie wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Aber dann konnte er es doch nicht lassen – sein Scheiß-Casanova-Syndrom eben, und seine Hand wanderte von ihrem Kinn über ihren Hals, legte sich schmeichelnd um ihren Nacken, sein Daumen glitt an ihrem Hals hoch und spielte mit ihrem Ohrläppchen …

      »Fick dich«, sagte Martina, drehte sich um und ging ins Haus.

       6 – Heinz

       Stuttgart, Sonntag, 20. Juli 1986

      »Fuck!«, sagte German Heinz zu seinem Spiegelbild. »Ich nehm’ Strom!« Das Spiegelbild grinste ihn an, ein verzerrtes, schiefes Wolfsgrinsen, nicht nur wegen der unzähligen weißen Flecken von Zahnpasta und verkalktem Wasser auf dem Glas und weil der Spiegelschrank in seinem Badezimmer arg schräg, nämlich nur noch an einem Nagel hing. »Ja, ja, ich auch, ha ha. Mächtig unter Strom, mein Lieber. Feines Stöffchen, das uns der liebe Steuerzahler da beschert hat!« Unbewusst rieb Heinz über die verschorften Einstichstellen in seiner Ellbogenbeuge. »Aber ich meine den Meisterkiffer. Wir könnten einen kleinen, unverdächtigen Unfall inszenieren, ein bisschen Strom auf seine Gitarre legen und ihn in die Fußstapfen von Leslie Harvey und John Rostill schicken. Einfach die Erde vom Netzstecker seines Scheiß-Amps abklemmen – und schwups! Ghost riders in the sky! Ha ha! Lacrimosa, dies illa statt Legalize it!« Der Spiegel blieb unbeeindruckt. »Lacrimosa, dies illa …«, sang Heinz übertrieben pathetisch die achtzehnte Strophe von Thomas von Celanos Hymnus vom Jüngsten Gericht. Dann kicherte er. »Kannst ja mal sehen, was die Richter da oben von deiner Kampagne halten, Alter!«

      »Na, vielleicht kiffen die auch«, sagte das Spiegelbild, und Heinz setzte sich erschrocken auf die Kloschüssel. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass es damals um einen beschissenen Apfel ging, oder?«

      »Baum der Erkenntnis«, murmelte Heinz und spürte, wie ihm kalte Schweißtropfen auf Stirn und Schläfen traten.

      »Padah!«, bot ihm der Spiegel einen Tusch. »Erste Erkenntnis: Man muss wissen, welchen Verstärker das Opfer benutzt. Zweitens: Dann muss man dessen Netzkabel für ein paar Minuten unter Kontrolle bringen. Unbeobachtet. Denn drittens: Um den Verstärker herum wimmelt es von Bühnenhelfern, Ordnern, Musikern, Roadies … Viertens: Das Kabel muss wieder an seinen Platz. Fünftens: Das bisschen Strom auf Gitarrensaiten ist zwar unangenehm – aber möglicherweise tödlich nur dann, wenn das Opfer gleichzeitig mit nackter Haut die Saiten berührt und das Mikrophon. Oder barfuß auf einer nassen Bühne steht. Vielleicht kriegt es aber auch bloß kräftig eine gewischt, setzt sich auf seinen Hintern und ist für zwei, drei Minuten ein wenig blass um die Nase und hat ein Weilchen eine taube Lippe. Und wird dann noch gefeiert, weil es trotzdem weiterspielt. Baum der Erkenntnis …!«, giggelte der Spiegel. »Dass ich nicht lache. Die allererste Erkenntnis lautet ja wohl: Nachdenken, Heinzi! Erst denken, dann handeln!«

      Dann schwieg der Spiegel. Eine ganze Weile. Aber schließlich entfuhr ihm noch einmal ein schrilles Kichern. »Ach, du Scheiße!«, quiekte er – und der letzte Nagel löste sich aus dem schimmeligen Putz, und der ganze Spiegelschrank rutschte mit Geschepper und Geklirre ins Waschbecken.

      Heinz war ziemlich froh, dass er schon auf der Toilettenschüssel saß. Und dass er, obwohl er es sich seit vier Monaten fast täglich vornahm, immer noch nicht den abgebrochenen Klodeckel ersetzt hatte. Und dass er sich nach dem Duschen noch nichts angezogen hatte.

       7 – Büb

       München, Montag, 21. Juli 1986

      »Aber wir dürfen natürlich auch die nackten Tatsachen nicht aus den Augen verlieren«, sagte Dörmann gerade, als wir in Pfundigs Hinterhofbüro ankamen, und war, als er mich erkannt hatte, nach einem nervösen Wimpernflattern bemüht,