Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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       Bonn, Sonntag, 20. Juli 1986

      »Ein sieben Milliarden teurer Flop!«, ereiferte sich Sabine Illenberger und schlug zur Betonung jedes einzelnen ihrer Worte fünfmal mit der flachen Hand auf die Tischplatte, dass das Teegeschirr klirrte. »Und nicht einmal die Stromkonzerne sind noch an Kalkar interessiert, weil der Brüter, selbst wenn er ans Netz gegangen wäre, nie im Leben mehr wirtschaftlich Strom erzeugen könnte!«

      »Na, kein Wunder, bei dem Preis«, sagte Martina Esser-Steinecke und versenkte einen weiteren Löffel Honig in ihrem Tee.

      »Weshalb unser guter Johannes Rau ja auch schon den Verzicht auf Kalkar zusagen konnte, ohne sich Ärger mit denen einzuhandeln«, ergänzte Rainer Kolbe.

      »Kanzlerkandidat – ha, ha!«, machte Sascha Zoller und schob einen Zahnstocher von einem Mundwinkel in den anderen.

      Bei jedem anderen fände ich das affig, dachte Martina, machomäßig. Aber bei ihm …, ja, bei ihm macht es mich an.

      »Als wenn die SPD in absehbarer Zeit gut genug dastehen würde, um einen nötig zu haben«, sagte sie. »Da sind ja eher wir dran«, fügte sie übermütig hinzu und genoss das schiefe Lächeln, das Zoller ihr gönnte. Wie im Reflex griff sie nach ihren Zöpfen und strich sie glatt. Einmal noch, dachte sie. Wir waren betrunken, und es ging alles so schnell … Einmal in Ruhe, vielleicht sogar eine ganze Nacht …

      »Aber hier müssen wir ansetzen«, warf Sabine ein. »Ohne Kalkar ist die Wiederaufbereitungsanlage ein Schmarr’n! Und das müssen wir den Leuten klarmachen!« Aber dafür bist du ja inzwischen berüchtigt, dachte Martina. Saschas schnelle Nümmerchen. Schnell und unverbindlich. Ich war ja vielleicht eine der Ersten, aber längst nicht mehr die Einzige. »Wer da draußen weiß denn schon, dass die sich verrechnet haben und dass die deutschen Uranvorräte völlig ausreichen, um auf unabsehbare Zeit Leichtwasserreaktoren zu betreiben?« Sogar mit dir hat er’s getrieben, du Heuchlerin! Von wegen ‚Nie im Leben würd’ ich was mit ’nem verheirateten Mann anfangen’! Auf dem Damenklo vom Pallament! Zählt wohl nicht unter ‚was anfangen’, ha?! Und dann erst noch so tun, als sei nichts gewesen – als hätt’s dir nicht jede angesehen, als hätte nicht jede mitgekriegt, wie lange ihr da verschwunden wart! Aber sich dann noch verschwörerisch über Paula beugen und kichern wie ein Backfisch und ihr zuflüstern – natürlich so laut, dass selbst ich es drei Hocker weiter mitbekommen konnte: ‚Es stimmt’ …! Vier Jahre EMMA-Redaktion, und dann, ein paar Pastis im Kopf, auf einmal beeindruckt von seinem …, seinem …

      Martina rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. Spürte, wie sie rot wurde, weil Zoller ihr einen Blick zuwarf, als habe er ihre Gedanken hören können. Was bin ich doch für eine verklemmte alte Zicke, dachte sie. Mag nicht mal in Gedanken das Wort in den Mund nehmen. Dabei hab’ ich’s in den Mund genommen, fuhr es ihr durch den Kopf, und wider Willen rutschte ihr ein Gackern heraus. Die Köpfe der anderen am Tisch ruckten zu ihr herum.

      »Was is’?«, fragte Sabine, sofort verärgert, weil sie sich unterbrochen fühlte.

      »Ach, nichts«, beeilte Martina sich zu sagen. »Ich hab’ mir dich nur gerade als Kanzlerin vorgestellt«, schob sie schnell nach. Zum Glück lachten alle herzlich darüber, sogar Sabine. Aber sie kam gleich wieder zurück auf das, was sie für heute vorbereitet hatte.

      »Schließlich soll die WAA Pöckensdorf den Plutonium-Brennstoff für den Schnellen Brüter liefern – und was macht das für einen Sinn, wenn der gar nicht erst in Betrieb geht? Da kann olle Strauß noch so sehr unken, dass von der Genehmigung für Pöckensdorf«, sie malte Gänsefüßchen in die Luft und versuchte sich an einem ulkigen bayrischen Akzent, »‚das Überleben der Bundesrepublik Deutschland als Industrienation abhängt’!«

      »Sogar die DWK weiß das selbst am besten«, sagte Kolbe. »Zwei Wochen nach Tschernobyl haben sie den Bauantrag für eine Alternative gestellt – eine …«

      »Genau«, unterbrach Sabine ihn und blitzte ihn kurz giftig an, weil er ihr ihren Text vermasselte. »Eine Anlage zur Konditionierung abgebrannter Brennelemente zur direkten Endlagerung – ohne Wiederaufbereitung!«

      Und natürlich hast du in deinem geilen, betrunkenen Köpfchen überhaupt nicht mitgekriegt, wie Paula daraufhin ihren Wein runtergekippt hat und mit Tränen in den Augen aus dem Laden gestürmt ist, du Ego-Zicke! Als wüssten nicht alle, dass Paula unsterblich in Sascha verknallt ist – da kann sie noch so demonstrativ Händchen halten in der Öffentlichkeit mit ihrem Admiral. Und genau deswegen treibt der Sascha mit ihr am heftigsten seine Spielchen – wegen dem Admiral, wegen dem Risiko! Und natürlich auch, weil Paula nun mal mit Abstand die Attraktivste von uns ist. Obwohl man gar nicht glauben möchte, dass das für ihn eine große Rolle spielt, wenn man bedenkt, wen er alles schon beglückt hat. Wahrscheinlich hat er dir auch versichert, dass deine fetten Hängeeuter wenigstens was zum Anpacken wären für einen Mann, genau wie mein Pferdearsch. Und wahrscheinlich hast du’s für ein paar Sekunden sogar geglaubt – genau wie ich. Komisch – darüber hat noch keine von uns gesprochen, in der Frauengruppe

      »Also, Sascha, was wirst du morgen Abend der Tagesschau erzählen?«, schloss Sabine und blickte Zoller zum ersten Mal seit Beginn ihres Vortrags offen an. »Ich hätte da noch ein bisschen was vorbereitet …« Der Blick unterschied sich erheblich von dem, den sie Kolbe eben zugeworfen hatte. Ein Unterschied, den Zoller, der natural womanizer, sehr wohl zu deuten wusste. Vergiss es, Liebchen, vergiss es! Was erwartest du – ein weiteres Fleißkärtchen auf dem Damenklo? Einen Heiratsantrag? Oder bloß Unterstützung bei deiner Parteikarriere? Tz! Vergiss es – der treibt mit uns allen seine Spielchen, seine eigenen Spielchen!

      »Super, Sabine«, sagte Zoller, und sie bekam rosige Wangen, versuchte aber eine Miene aufzusetzen, als sei ihre Arbeit selbstverständlich lobenswert und ein Lob von einem Mann das Letzte, was sie brauchte »Astrein!« Er nahm seine Füße in den gewohnten schwarzen Boxerstiefeln vom Tisch, steckte den Zahnstocher in ein Knopfloch seiner Lederjacke und kramte in deren Taschen. »Aber was haltet ihr davon, wenn wir erst mal ein kleines Zigarettenpäuschen machen?«

      Sabine sackten die Mundwinkel herab, aber Kolbe sprang natürlich sofort auf und schrie erleichtert »Na, endlich!« Martina hasste diese Rauchpausen – der Qualm von Zigaretten war für sie mit das Ekligste, was Menschen einander antun konnten; aber natürlich ging sie mit nach draußen – gerade wenn Zoller im Spiel war, wurde man anschließend viel zu oft mit Entscheidungen und Beschlüssen konfrontiert, überrumpelt eher, die in diesen zehn Minuten gefallen waren.

      Schnell versuchte sie herauszufinden, von woher der Wind wehte, als sie in den Hof der Bornheimer Villa traten, in der sie vorübergehend ihre Parteizentrale eingerichtet hatten, und stellte sich so, dass der Rauch der anderen nicht auch noch in ihre Richtung wehte. Erst da fiel ihr auf, dass Sabine Illenberger neuerdings auch wieder rauchte. Sogar dieselbe Marke wie Zoller. Ja, dachte sie, der hat uns alle im Griff. Kriegt von Sabine die Kippen, von Rainer Feuer, von Paula das ganze Herz, ich strahle wahrscheinlich die reinsten Hitzewellen aus, wenn er in meine Nähe kommt – und dass er übernächsten Freitag von uns allen grüne Karten gezeigt kriegt, ist so gut wie sicher. Wie ich das alles satt habe … Vielleicht sollte ich doch wieder zurück an meine Schule gehen. ‚Und – warum tust du’s nicht einfach?’, fragte sie sich selbst. Weil ich verdammt noch mal keinen Bock habe, mich bis fünfundsechzig mit diesen verfluchten Blagen herumzuschlagen. Weil ich, wenn ich noch drei Jahre Bundestag schaffe, quasi ausgesorgt habe. Kreta. Sonne. Meer. Vielleicht zwei, drei zweiwöchige Bildhauerkurse im Jahr – ansonsten das Leben genießen und mich nur noch um meine Katzen kümmern, die lebendigen und die getöpferten …

      Martina Esser-Steinecke lehnte sich an die hüfthohe Gartenmauer, und ihr war plötzlich nach Heulen zumute. Vor fünf, sechs Jahren erst waren da auch noch andere Gründe gewesen, aber sie schien sich an die schon nicht mehr so recht erinnern zu können. Du hast dich kaufen lassen, Steinecke. Du bist korrupt. Du bist genauso korrupt wie die, gegen die du mal angetreten bist, als dein Arsch noch neunzehn Kilo leichter war und quer durch eine Tür passte. Und der Esser ist dabei auch