Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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klappte stolz grinsend die linke Klappe einer der aufgenähten Brusttaschen um. Chanel, leuchtete uns ein Etikett entgegen.

      »Und die andere?«, fragte ich. Weingarten – Vater & Sohn, stand in seriösem Gold auf Schwarz unter der rechten. Ein Extra-Bier für den Bassmann.

      Als ich mich mit unserem neuen Bandmitglied im letzten Jahr ein wenig näher angefreundet hatte, bei dem einen oder anderen Bier nach Proben oder Auftritten, bei ausgiebigen gemeinsamen Frühstücken oder Stunden um Stunden, Kilometer um Kilometer im Bus eingesperrt – Schlagzeuger und Bassist, die Rhythmusgruppe, das Fundament jeder Band, müssen schließlich besonders gut zusammenpassen –, hatte er mir mal sein Zitatenbuch gezeigt. Eins einer ganzen Reihe von Zitatenbüchern – Oblong las eine Menge, schon seit seiner Kindheit, womit wir wieder etwas gemeinsam hatten, und hatte bei der Lektüre immer ein schwarzes Ringbuch griffbereit, in das er Dinge eintrug, die ihm besonders gefielen – oder eben nicht; die er auf jeden Fall für würdig hielt, festgehalten zu werden, wert, irgendwann mal, beim erneuten Lesen, beim wahllosen Durchstöbern der Zitatenbücher, noch einmal überdacht zu werden. Von diesen schwarzen, ordentlich durchnummerierten Ringbüchern hatte er einen ganzen Regalmeter voll, in fein säuberlicher, fast mädchenhafter Schrift, mit großen Kringeln auf den i’s und unter den Ausrufezeichen und drei zentrierten Asterisken unter jedem Zitat. Ich hatte einmal nach einem heftigen Besäufnis bei ihm übernachtet, und wir hatten zu zweit in der großen Wohnküche seiner Schwulen-WG gefrühstückt – jeder war mit einem Packen Zeitschriften versorgt, Chick Corea und Gary Burton duettierten im Kassettenrekorder, wir schlürften Gute-Laune-Tee aus dem Reformhaus, kauten an Käsebrötchen und Schokohörnchen und warfen uns gelegentlich bemerkenswerte Auszüge aus irgendwelchen Artikeln über den Tisch.

      »Du musst Acht geben, wenn du ausgehst, Süßer«, brummte ich zum Beispiel. »In Sachen Handtaschenraub gibt’s in Köln ’ne Steigerung um dreißig Prozent.«

      »Dann pass du gut auf bei deinem nächsten Frühschoppen«, entgegnete er. »Hier: ›Mit schweren Gesichtsverletzungen wurde ein Mann abends Ecke Mauenheimer und Merheimer Straße gefunden‹ – ist das nicht Nippes, dein altes Viertel? ›Der 34-Jährige erinnert sich, dass er gegen siebzehn Uhr eine Gaststätte im Bilderstöckchen verlassen habe, um heimzugehen – und das keineswegs betrunken. Kurz darauf seien ihm vier Personen entgegen gekommen, und er habe einen Schlag auf den Kopf gespürt. Mehr wisse er nicht mehr‹«.

      »Warum sollte ich mittags um fünf schon heimgehen? Und noch nicht mal besoffen?«

      »Ha!« Fünf Minuten später. »›Queen Elizabeth hat Bob Geldof für seine Verdienste um Live Aid zum Ehrenritter geschlagen. Der Popsänger und Krawattengegner hatte sich zu dem Anlass sogar eigens einen Frack gekauft – samt Schlips!‹«

      »Der Schleimer!«

      »Apropos«, griente Oblong und räkelte sich in einem wigwamförmigen Kaftan aus einem mit Ornamenten gemusterten Brokatstoff, wie ich ihn bloß von den Sesselbezügen in Oma Klütschs guter Stube kannte. »›Erst jetzt kam raus: Hinter dem Sprengstoffanschlag auf die JVA Celle 1978 steckte tatsächlich der Verfassungsschutz. Dessen Beamte verübten den Anschlag, um, Zitat: ›einen Spitzel in die Terroristen-Szene einzuschleusen‹. Ministerpräsident Albrecht sei, entgegen all seiner Dementis, in den Plan eingeweiht gewesen. Kanzler Schmidt hingegen bestreitet sein Wissen immer noch hartnäckig.‹«

      »Du kannst ja richtig lange Sätze«, wunderte ich mich.

      »Na ja«, tat er verlegen, »war ja abgelesen. Aber in kleinem Kreise schon.«

      »In größeren ist manch einer der Meinung, du seist taubstumm.« Schulterzucken.

      »Von mir aus.« Er stand auf, watschelte in sein Zimmer und kam mit einem der Ringbücher zurück. Blätterte kurz und hielt es mir dann vor die Nase.

      Schweigsame Menschen sind grundsätzlich im Vorteil gegenüber Plaudertaschen, las ich. Man glaubt, sie wissen was. Je mehr man auf sie einschwätzen tut, desto alberner kommt man sich vor, desto mehr erscheinen sie einem als eine Art Buddha … Die Stillen, die wissen wirklich was. Sie wissen, dass sie den Mund halten müssen. Sie haben kapiert, dass man sich durch Reden längst nicht so interessant machen kann wie durch standhaftes vielsagendes Schweigen.

      »Aha«, sagte ich. »Wer war denn so klug?«

      »Allan Gurganus. Und seine Rebellenwitwe. Schönes Buch. Noch ’n Tässchen Tee?«

      Als Bassist gab er sich ähnlich sparsam, aber immer auf den Punkt. Es hatte mir vierzehn Jahre lang großen Spaß gemacht, mit Eiermann zusammen die Rhythmusgruppe zu bilden – aber mit Oblong Fitz Oblongs schnörkellos präzisem, immer nach vorne marschierendem und trotzdem swingendem Spiel bekam das Bild vom Rückgrat der Band doch noch einmal eine ganz neue Qualität. Sein Humor gefiel mir auch ausnehmend gut, und seine Ringbücher waren eine wahre Fundgrube.

      Und man konnte auch prima mit ihm versacken. Den Spätabendspruch »Komm, wir trinken noch ein paar, und dann geh’n wir bald« hatten wir schon astrein unisono drauf.

      Well, a true friend is hard to find*, röhrte Richard Bargel. Na ja, ist halt nicht nur traurig, der gute, alte Blues.

      ***

      »Aber mal ernsthaft«, ließ Emerson nicht locker. Emerson lässt nie locker. Der hatte ja selbst sechs Jahre, nachdem ich angefangen hatte, ein paar Gitarrenakkorde zu lernen, nicht aufgegeben, mich in die Grundlagen der Harmonielehre einführen zu wollen, obwohl das ähnlich viel Sinn zu haben schien, wie mir die binomischen Formeln verständlich zu machen. »Wir sind nicht irgendeine Popkapelle, die von ihrer Firma nach Pöckensdorf geschickt wird, um sich beim alternativen Publikum einzuschleimen – wir sind Penner’s Radio. Ich finde, wir müssen was Passendes zum Thema von uns geben, ein Statement setzen.«

      »Wat der für Wörter kennt …«, murmelte Veedelnoh und deutete müden Applaus an.

      »Aber recht hat er«, rief Little Joe über die Schulter. »Also, warum tretet ihr ausgerechnet beim Paaf! auf? Wo es doch letztes Jahr noch hieß ›Wir haben keinen Bock mehr auf diese Scheiß-Festivals‹?«

      »Seit wann interessiert uns unser Geschwätz vom letzten Jahr?«, wich Noh aus. Er hatte ganz offensichtlich ähnlich wenig Lust darauf wie ich, sich mit Inhalten zu beschäftigen, mit Begründungen für in unseren Augen eigentlich selbstverständliches Engagement., mit Politik und politischen Sprechblasen, Parolen und Appellen. »Auf dieser Bühne wird’s mehr Betroffenheitsgeblubber und Solidaritätsgegreine und ›Wir Guten hier unten und ihr Bösen da oben‹-Verbrüderungsschleimerei geben, als wir nüchtern ertragen können.« Dem folgten zwei Minuten Schweigen, wahrscheinlich weil jeder von uns gerade überlegte, wann unser Gitarrist denn das letzte Mal nüchtern auf einer Bühne gesehen worden war.

      »Und – gehören wir zu den Guten oder nicht?«, fragte Emerson schließlich.

      »Alles eine Frage des Standpunkts«, sagte ich.

      »Ach. Und – haben wir einen?« Noh verdrehte die Augen.

      »Joe – was hast du gesagt, wie viele Benefizkonzerte wir in den letzten zehn Jahren abgeliefert haben?«

      »Zweihundertneun«, kam es wie aus der Pistole geschossen vom Fahrersitz.

      »Also. Muss ich danach noch irgendjemandem meinen Standpunkt verklickern?«

      »Warum nicht? Was stört dich so daran? Wieso sperrst du dich so dagegen?«

      Ich sagte ja, Emerson ist ein hartnäckiger Knochen.

      Und dabei hatte er heute noch nicht mal richtig angefangen zu kiffen.

      Um es kurz zu machen: Natürlich gehörten wir zu den Guten. Natürlich waren wir nicht irgendeine x-beliebige Popkapelle. Und natürlich würden wir in Pöckensdorf nicht einfach eine halbe Stunde von unserem üblichen Programm runterspulen, als sei’s eine Schülerfete oder irgendein Dorffestival.

      »Wir könnten ja – schließlich geht’s gegen Atomkraft und um alternative Energien – Nohs neuen Song