Zum ersten Mal tot. Christian Y. Schmidt

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Название Zum ersten Mal tot
Автор произведения Christian Y. Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870110



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von einem kleinen Haufen, der von ehemaligen SDS-Studenten Anfang der siebziger Jahre gegründet worden war. Diese KPD zählte wie die KPD/ML (Marxisten/Leninisten) oder der KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) zu den sogenannten K-Gruppen. Auch die letztgenannten Gruppen orientierten sich an den Ideen Mao Tse Tungs und der kommunistischen Partei Chinas. Aber in Bielefeld gab es nicht viele KBWler, und die KPD/ML war nur im Stadtteil Brackwede stark. Deshalb landete ich, der ich bei irgendeiner Gruppe dabei sein wollte, die entschieden was gegen diesen Staat unternahm, eben bei der KPD.

      Das heißt, ich wurde mit Fünfzehn Mitglied der »Liga gegen den Imperialismus«, denn die KPD war eine sogenannte Kaderpartei, in die man erst nach harten Tests und Prüfungen eintreten konnte. Die »Liga« dagegen war eine von der eigentlichen Partei unabhängige sogenannte »Massenorganisation«, bei der jeder mitmachen durfte. Tatsächlich war der Verein aber ganz und gar abhängig von der KPD, und eine Massenorganisation war er mangels Masse natürlich auch nicht.

      Nun ja, mit Verweigerung, so wie ich sie bisher praktiziert hatte, war es in der Liga nicht weit her. Im Büro der Ortsgruppe herrschte Gerda, eine graue, etwas fülligere Frau um die dreißig. Zu politischen Fragen äußerte sie sich kaum. Trotzdem meldete sie sich auf der wöchentlichen Ortsgruppensitzung jedesmal zu Wort. Dann meckerte Gerda über die Unordnung im Büro oder die schlecht geputzte Schaufensterscheibe. Wenn sich mal ein Arbeiter in unseren Schuppen verirre, falle der doch vor Schreck über den Schmutz gleich wieder aus der Tür. So schlimm sah es wirklich nicht aus, aber nach Gerdas Ansprache schauten die Genossen jedes mal schuldbewusst zu Boden und versprachen sich zu bessern. Am Ende war es aber doch Gerda, die aufräumte, den Boden schrubbte, das Fenster putzte oder Topfpflanzen hineinstellte. Ob das einem Arbeiter gefallen hätte, weiß allerdings bis heute niemand. So lange ich Liga-Mitglied war, hat sich keiner im Büro blicken lassen.

      Angeführt wurde die lokale KPD nebst ihren vielen Zweigorganisationen von Sarah und Lars, einem Ehepaar. Die beiden Kader waren vom Dortmunder Zentralkomitee nach Bielefeld geschickt worden, um den ganzen Verein hier auf Vordermann zu bringen. Sarah und Lars hießen allerdings gar nicht so, diese Namen waren ihre konspirativen Partei- oder auch Kampfnamen. Wie Lars wirklicher Name lautete, habe ich vergessen, Sarah hieß jedenfalls im bürgerlichen Leben Edith. Geheiratet hatten beide, so hieß es, auf Befehl der Partei, die die Ansicht vertrat, verheiratete Kommunisten kämen bei der Arbeiterklasse besser an.

      Wohl aus demselben Grund trug Lars gerne einen Trenchcoat, fassongeschnittene Haare und einen Schnäuzer. Wenn man ihn sah, glaubte man einen Versicherungsvertreter vor sich zu haben. Sarah war überaus hager und hatte ein energisch geschnittenes Gesicht. Weil sie bei öffentlichen Auftritten der Partei fast alle Reden hielt, ist mir ihre meist vor Aufregung zitternde Keifstimme besonders in Erinnerung geblieben. Auf einer Busfahrt zu einer der vielen KPD-Aufmärsche schnappte sich Sarah einmal das Busmikrofon und begann zu singen. Ein Arbeiterlied, in dem die Zeile »Rot bin ich geboren« vorkommt. Ich habe mich für die entsetzliche Stimme dieser Frau so geschämt, dass ich am liebsten unter meinen Sitz gekrochen wäre.

      Als entschlossener Verweigerer machte ich natürlich auch bei der Liga nicht alles mit. Die Partei hätte es schon gerne gesehen, wenn ich mir einen massenfreundlicheren Haarschnitt zugelegt hätte. Lange Haare – und ich hatte wirklich verdammt lange Haare – waren Ausdruck kleinbürgerlicher Dekadenz. Ich aber weigerte mich beharrlich, mir eine larsähnliche Frisur verpassen zu lassen. Auf den vielen Busfahrten war es Gerda, die jedesmal ein striktes Rauchverbot verlangte. Mit einem Verweis auf Maos enormen Zigarettenkonsum brachte ich sie eben so oft zum Schweigen. Anschließend quarzte ich meine Selbstgedrehten besonders genüßlich. Auch die ersten beiden Zeilen der zweiten Strophe der »Internationale« sang ich nie mit. Die lauten: »Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun«. Das wollte ich nicht singen, weil ich es mir mit Gott nicht verderben wollte. Ich war nämlich nicht nur Kommunist, sondern obendrein noch Christ. Ich hatte es schon immer gerne etwas komplizierter.

      Ohne weiteres ließ ich mich allerdings von Gerda, Lars und Sarah zum Bund schicken, denn dahinter steckten schließlich die Chinesen. Weshalb man damals in Peking wollte, dass deutsche Maoisten zur Bundeswehr gingen, ist heute nur noch schwer zu verstehen. In erster Linie lag es an den Russen. Nach Meinung der chinesischen Führung hatten die nicht nur den Sozialismus verraten, sondern nach Ende des Vietnamkriegs auch die Amis als die weltweit gefährlichsten Imperialisten abgelöst. Die Sowjetunion, so lautete die Botschaft aus China, wolle nunmehr Westeuropa erobern, zur Not auch mit Gewalt. Ein unmittelbar drohender Krieg könne nur verhindert werden, wenn sich die westeuropäischen Staaten mit China und den Staaten der Dritten Welt verbündeten. Zu diesem Zweck traf sich der altersschwache Mao in Peking sogar mit Franz Josef Strauß. Ich aber hatte zur Bundeswehr nach Boostedt bei Neumünster zu gehen, um dort, wie es hieß, »die weltweite Front gegen die imperialistischen Supermächte, ganz besonders aber gegen den Hauptfeind der Völker, die sozialimperialistische Sowjetunion, zu stärken«.

      Meine Mission war aber nicht nur eine welthistorische, sondern auch eine äußerst vertrackte. Denn während die Chinesen und meine Partei einerseits von mir verlangten, die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr gegen den Aggressor aus dem Osten zu erhöhen, sollte ich andererseits dieselbe Bundeswehr als zwar als nicht ganz so gefährliche, aber dennoch immer noch üble imperialistische Armee entlarven. Im Bürgerkriegsfalle zum Beispiel hätte ich die Offiziere erschießen müssen, um mich sodann selbst an die Spitze meiner Bundeswehreinheit zu setzen. Eine Vorstellung, die mir in der Theorie ganz gut gefiel. Aber in der Praxis hätte ich das wohl kaum fertiggebracht. Dafür bin ich zu friedfertig.

      Das Ambivalente meines Parteiauftrags kam meinem Bedürfnis nach raffinierteren Verweigerungsstrategien entgegen. Während ein simpler ZDLer nur ein einziges Mal den Dienst an der Waffe verweigerte, um dann Zivildienst zu leisten, musste ich von Fall zu Fall entscheiden, ob es erforderlich sei, die Kampfkraft der Bundeswehr zu stärken oder doch eher Zersetzungsarbeit zu leisten. Wenn auch die Wirklichkeit ein wenig anders aussah, so war ich doch von nun an fünfzehn Monate lang jeden Tag gefordert.

      Von Anfang an war mir klar, dass ich das sogenannte feierliche Gelöbnis nicht ablegen würde. Normalerweise müssen das die neuen Rekruten am Ende der Grundausbildung während einer Zeremonie gemeinsam murmeln. Sie verpflichten sich damit, diesem Staat immer treu zu dienen und ihn tapfer zu verteidigen. Die Verweigerung des Gelöbnisses war KPD-Linie. Dies sei, so ließ das Zentralkomitee verlauten, ein ausgezeichnetes Mittel, um innerhalb der Bundeswehr für die Partei Propaganda zu machen. Die Kameraden sollten einen interessiert fragen, weshalb man das Gelöbnis ablehne. Das taten sie denn auch. Nachdem ich ihnen meine Gründe offenbart hatte, hielten sie mich für einen interessanten Irren.

      Die Verweigerung des Gelöbnisses selbst ist kein großer Akt. Kein Bundeswehrsoldat ist verpflichtet, bei dem Zeremoniell mitzumachen. Trotzdem gibt es praktisch niemanden, der sich ihm entzieht. Die Ausnahme bilden die Soldaten, die sich erst bei der Bundeswehr entschließen, den Wehrdienst zu verweigern. Nach einem abgelegten Gelöbnis wäre ihr Verweigerungsantrag schwer zu begründen.

      Als ich ein paar Tage vor der Gelöbniszeremonie zum Chef meiner Einheit ging, um ihn von meiner Absicht zu unterrichten, glaubte der deshalb, ich sei ein ganz normaler Kriegsdienstverweigerer. Ich erklärte ihm, dass das nicht so sei. Weshalb ich denn dann...? Ich grummelte, dass ich schon meine Gründe hätte. Den dummen Zugchef, der uns Soldaten gerne schikanierte, ratlos zurückzulassen, gab mir ein angenehmes Gefühl. Mulmig war mir trotzdem.

      Später kapierten irgendwelche Leute beim Militärischen Abschirmdienst, dass ich ein Chinatreuer war. Ich wurde zu einem Verhör befohlen. Dabei versuchte es der Sicherheitsoffizier erst einmal mit Anbiederei. Im Großen und Ganzen seien sich doch die Bundeswehr und die Maoisten einig. Unser Feind sei doch der gleiche usw. usf. Dabei zeigte er auf seinen Schreibtisch, auf dem ein ganzer Batzen maoistischer Zeitungen lag. Es waren allerdings diverse Ausgaben des Roten Morgen, dem Zentralorgan unserer Konkurrenz von der KPD/ML. Hihi, falsch getippt, triumphierte ich innerlich.

      Als der Offizier sah, dass er nichts ausrichten konnte, änderte er seine Taktik. Mit seinem Gesicht kam er meinem so nah, dass beide sich fast berührten. Dann schrie er mich mit aller Kraft an. Ich erschrak nicht schlecht. Gleichzeitig fand ich die Situation sehr komisch. Ich dachte, dass er das aus einem Spionagethriller hat und dass es tatsächlich nicht