Deplatziert. Jörn Birkholz

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Название Deplatziert
Автор произведения Jörn Birkholz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870189



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Gesprächspause entstand.

      „Und, was machst du so? Studierst du?“ fragte sie.

      „Ja.“

      „Und was?“

      „Egal, irgendwas.“

      „Sag doch mal“, bohrte sie kokettierend lächelnd.

      „Ich will nicht über mein Studium reden.“

      „Ich möchte mit dir ja gar nicht darüber reden, ich wollte nur wissen, was du für Fächer studierst.“

      Widerwillig nannte ich meine Studienfächer.

      „Aha, das ist doch interessant“, quiekte sie. „Ich studiere seit sieben Semestern Philosophie und Betriebswirtschaft.“

      „Das ist ja eine entzückende Kombination. Geistige Stimulation gepaart mit konventionellen Karriereambitionen.“

      „Ich geh mal eben tanzen.“

      „Tolle Idee.“

      „Halt mal bitte kurz.“ Sie reichte mir ihre fast leere Bierflasche und ging. Mein Fläschchen hatte ich bereits ausgetrunken. Ich betrachtete sie. Sie tanzte teils anmutig, teils kontrolliert zu Funktionsmusik und wirkte dabei erneut unfreiwillig komisch.

      Mein Kumpel Elias kam angeschlichen – oder vielmehr angekrochen. Er hatte mich erst jetzt gesehen. Ich hatte ihn und sein Delirium bereits erspäht, als ich eintraf. Kurz vorher hatte er noch zusammengesunken, sich an einem Barhocker festhaltend, an der Theke gestanden. (Er war kurz davor, die vierte Stufe zu erklimmen.) Auf allen Vieren kauerte Elias vor mir und begann sich wie ein Kleinkind, das bei seiner Mutter Schutz sucht, an meinem Hosenbein hochzuziehen. Amüsierte und irritierte Blicke der Umstehenden. Ich begrüßte ihn und half ihm hoch.

      „Wer war denn die Alte?“ fragte er lallend.

      „Keine Ahnung.“

      „Aber du hast doch mit ihr gesprochen. Was sagt sie denn?“

      „Nichts von Belang.“

      „Würdest ihr wohl gerne deine Hodensammlung zeigen, was?“ bemerkte er schief grinsend.

      Ich antwortete nicht und versuchte ihn zu ignorieren.

      Elias verhielt sich nun unvermutet gleichgültig. „Alles klar, Mann, gib mal ne Kippe und n bisschen Kohle fürn Wodka.“

      Ich öffnete mein altes Lederportemonnaie und gab ihm mein gesamtes Kleingeld: zwei Euro und siebenundzwanzig Cent. Ich überreichte ihm noch eine Zigarette, und unsicher dahinschwankend entfernte er sich, ohne sich zu bedanken. Ich schaute wieder zur Tanzfläche. Sie wurde von einem Weißhemd mit feschem Errol-Flynn-Bärtchen und zurückgegelten Haaren angetanzt. Falsch lächelnd wies sie ihn zurück.

      Mein langjähriger Freund Udo, den ich zuvor im Menschengewimmel noch nicht entdeckt hatte, gesellte sich zu mir. „Wie geht’s Elias?“ fragte er amüsiert, nachdem wir uns begrüßt hatten.

      „Den Umständen entsprechend.“ Nur wann sind die Umstände schon entsprechend?

      „Wer war denn das reizende Fräulein, mit dem du da gerade geredet hast?“

      „Irgend so ne Studentin.“

      Grinsend wies Udo auf das Weißhemd. „Interessanter Typ da bei ihr ... ein Kommilitone oder ihr Zuhälter?“

      Ich schwieg.

      „Wie war denn das Konzert?“

      „Weihnachten bei meinen Eltern ist aufregender.“

      „Das tut mir leid.“ Lässig tippte er mit dem Zeigefinger gegen ihre Flasche in meiner Hand. „Übrigens, dein Bier ist fast alle“, bemerkte er mit einem vielsagenden Lächeln.

      „Willst du mir eins ausgeben?“

      „Vielleicht später.“

      Udo verschwand in Richtung Herrentoilette, wo er Elias in die Arme lief, der ihn überschwänglich begrüßte. Ich blickte wieder auf die Tanzfläche. Sie hatte fertiggetanzt und kam auf mich zu.

      „Hallo“, sagte ich.

      Sie war ein wenig außer Atem, was bei mir leicht wollüstige Gedanken aufkommen ließ.

      „Tanzt du nicht?“ fragte sie verspielt.

      „Nur bei bevorstehender Persönlichkeitsstörung.“

      Sie schaute mich mit ernüchterter Miene an. „Dein Pech.“

      „Willst du was trinken?“

      „Nein danke, ich hab doch noch.“

      Sie griff nach ihrer noch immer in meiner Hand befindlichen Flasche und betrachtete misstrauisch den dürftigen Inhalt.

      „Also, ich hol mir noch was“, ließ ich verlauten.

      Ihre kleine Hand umfasste meinen Unterarm. „Warte, bring mir noch einen Gin Tonic mit. Ich gebe dir auch Geld.“

      „Schon gut.“

      Ich begab mich zur Theke und bestellte einen Gin Tonic und ein Bier. Ich wurde, trotz enormen Ansturms, sofort bedient. Ein Privileg, das ich genoss, seitdem ich meinen dreißigsten Geburtstag hinter mir gelassen hatte. Ich bezahlte mit meinem letzten Zehn-Euro-Schein. Direkt neben mir vernahm ich die lallende Stimme des betrunkenen Elias. Ich hörte deutlich, wie er eine stark geschminkte Dame mit verlebtem Gesicht und verblühtem Körper fragte: „Willst du ficken?“

      „Bist du betrunken?“

      „Jawohl!“

      „Dann nicht.“

      „O.k.“, erwiderte Elias und verschwand im Gewühl.

      Ich kehrte zu meiner Pseudoeroberung zurück und reichte ihr das Getränk. Keck lächelte sie mich an. „Das ist aber lieb von dir.“ Sie leerte geschwind den halben Drink und musterte mich durchtrieben. „Dir gefällt die Musik hier nicht, hab ich recht?“

      Ich ließ sie wissen, dass in diesem Laden nicht die Musik gespielt wurde, die meine Hüften in Wallung brachte, und dass es mir im Grunde vollkommen egal war, was lief, da ich sowieso nicht wirklich hinhörte.

      „Was für Musik hörst du denn?“

      Ich nannte ihr zwei oder drei Bands, die ich durchaus schätze. Eine enttäuschte Miene breitete sich in ihrem süßen Gesicht aus. „Kenn ich nicht.“

      „Nicht wichtig.“

      „Warum gehst du eigentlich in diesen Laden?“

      „Hier gibt’s Pistazien und Salzstangen umsonst.“

      „Echt, das wusste ich gar nicht“, rief sie gekünstelt naiv.

      „Auf jedem Tisch steht ne Schale, und an der Theke gibt’s auch was.“

      Überstürzt lehnte ich mich über das Geländer und griff nach einer halbvollen Schale mit Pistazien, die auf einem runden Tischchen stand. Die jungen Leute am Tisch warfen mir missmutige Blicke zu, protestierten aber eher zaghaft. Als ich mich mit dem Schälchen in der Hand wieder meinem Mädchen zuwandte, wurde sie gerade von einem schneidigen Jüngling umarmt. Sie erwiderte die Umarmung, küsste ihn auf seine schwitzende Wange, und beide lächelten sich dämlich an. Man kannte sich anscheinend. Dann wies sie auf mich und stellte mich diesem Knaben unnötigerweise auch noch vor. „Das ist ... wie war dein Name noch gleich? Ich kann mir Namen so schlecht merken ... Das war doch so ein komischer Name.“

      Unzufrieden, mit einer halbvollen Schale Pistazien in der Hand, nannte ich erneut meinen gottverdammten Vornamen. Der Typ nannte mir den seinen und grinste mich geistesschlicht an. Ein paar bedeutungslose Sätze wurden gewechselt. Der Idiot zog sich daraufhin aufs Tanzparkett zurück. Im Augenwinkel nahm ich wahr, dass er sich angeregt mit dem Weißhemd unterhielt. Ich reichte ihr die Schale mit den Pistazien.

      „Nein danke“, sagte sie abwesend und schaute auf den Bildschirm von ihrem