Der rote Elvis. Stefan Ernsting

Читать онлайн.
Название Der rote Elvis
Автор произведения Stefan Ernsting
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871155



Скачать книгу

Herrenabende endeten 1963 in Dallas. John F. Kennedy wurde erschossen, und finstere Verstrickungen von Politik, Mafia und Showbiz kamen ans Licht.

       Begegnung mit dem weisen Mentor

      1959 vermittelte Capitol Records Dean Reed einen Filmvertrag mit Warner Brothers. Man glaubte an sein Potential und schickte ihn für drei Jahre auf Warners School of Stars, wo er mit späteren Stars wie Jean Seeberg und Phil Everly auf der Schulbank saß. Phil Everly hatte mit »Wake Up Little Susie« 1957 einen zeitlosen Klassiker abgeliefert und später mit Hits wie »All I Have To Do Is Dream« oder »Bye Bye Love« nachgelegt. Everly verlor nie den Kontakt zu Dean Reed. Er vermachte seinem Weggefährten später eine Gitarre, die zu dessen wichtigstem Begleiter wurde. Everly trat sogar auf dessen Bitte im DDR-Fernsehen auf und besuchte Reed später mehrfach in seinem Haus in Schmöckwitz.

      An der Schauspielschule traf Dean Reed auf den Schauspiellehrer Paton Price, einen radikalen Pazifisten, der wegen Kriegsdienstverweigerung im Zweiten Weltkrieg zwei Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Paton Price war ein Übervater des alten Hollywood. Frank Lloyd Wright hatte für ihn eigens ein Theater in Hartford, Connecticut gebaut. Price übte großen Einfluß auf den jungen Mann aus Colorado aus. Zu seinen Schülern gehörten Don Murray, Roger Smith, Bob Conrad und Kirk Douglas, der zeitweise auch mit Price zusammen wohnte. Er hatte enge Kontakte zu den »Hollywood Ten«. Price machte Dean Reed u. a. mit den Ideen des russischen Schauspielers, Regisseurs, Theaterleiters und Pädagogen Konstantin Stanislawski bekannt, der 1898 mit Nemirowitsch-Dantschenko das Moskauer Künstlertheater begründet hatte. Er war ein Kämpfer für eine moderne Form von Realismus in Schauspiel und Regie und bekannt für seine realistischen Inszenierungen mit großer Liebe zu Details. Für Stanislawski waren die Erinnerungen an Gefühle der Vergangenheit von großer Bedeutung und seine Thesen wiesen Ähnlichkeiten mit der russischen Klavierschule auf, die ebenfalls mehr auf ein emotionales Verständnis für Musik baute, als die technisch perfekte Beherrschung des Instrumentes zu predigen. Theaterschulen zwischen Moskau und New York lehren bis heute nach Stanislawskis Theorien. In den USA wurde »The Method« vor allem von Lee Strasberg, Lehrer von Anne Bancroft, Marlon Brando, Paul Newman oder Marilyn Monroe, gelehrt. Auch Jane Fonda wurde über Strasbergs Tochter Susan von Stanislawski beeinflußt. Die Tochter des großen Mimen Henry Fonda war ebenfalls Schülerin an Warners Schauspielschmiede und freundete sich dort auch kurz mit Dean Reed an.

      Schauspieler waren in den USA längst zu künstlichen Medienstars geworden, deren Geschichte von der Yellow Press geschrieben wurde. Geschichten über Celebrities ersetzten reguläre Informationen. Paton Price predigte seinem neuen Adepten statt dessen, daß man ein guter Mensch sein müsse, um als Künstler überhaupt etwas von Wert schaffen zu können.

      Bei Reeds Ankunft in L. A. erkannte Paton Price sofort, daß sein Schützling noch nicht »entjungfert« war, und er verordnete ihm augenblicklich einen Besuch im besten Bordell der Stadt. Paton Price ließ ihn sich und seine Kollegin Jean Seeberg auch bei einer Probe nackt ausziehen, weil Reed sich nicht auf die Szene konzentrieren konnte. Später schrieben sich Paton Price und Dean Reed Telegramme, in denen sie sich mit der Zahl ihrer Affären zu übertrumpfen suchten. In seiner Autobiographie äußerte Reed sich zu dieser Freundschaft: »Obwohl uns ein großer Altersunterschied trennte, wurde Paton Price mein erster wirklicher Freund. Ich kann auch sagen: mein zweiter Vater […]. Paton war für mich von Anfang an ein Mensch, der mir bewußt werden ließ, was mir fehlte: Reife.«

      Obwohl er in Paton Price seinen Guru gefunden hatte, folgte Reed später nur noch seinem eigenen Instinkt. »Er nahm keinen Ratschlag mehr von mir an«, erinnerte sich Price, der 1981 als Berater an Sing, Cowboy, Sing mitgearbeitet hatte, im Dokumentarfilm American Rebel, den Will Roberts 1985 über Dean Reed drehte. Zwei Jahre lebte Reed im Haus des Schauspiel-Gurus in Burbank. Er wurde zu einem vollwertigen Mitglied der Familie und nannte den alten Mann ›Peeps‹. Dean Reed, der sich zu dieser Zeit bereits als Marxist bezeichnete, führte mit Paton Price lange Gespräche auch über Politik. Aus dem Wunsch nach einer Veränderung der sozialen Zusammenhänge wuchs langsam der Wille, sich selbst dafür einzusetzen. Hollywood nannte er ein »Prostitutions-Camp« und »eine Art Mafia«.

      Der Einfluß von Price war zu diesem Zeitpunkt so groß, daß der ehrgeizige Reed die Hauptrolle in der TV-Serie Wanted Dead Or Alive ausschlug, weil er auf der Leinwand keine Waffe tragen wollte. Man verpflichtete statt dessen den jungen Steve McQueen, und Reed galt in Hollywood fortan als schwierig.

       Eine Romanze im Sommer

      Am 4. Oktober 1959 stand die dritte Single von Dean Reed, eine Schnulze mit dem Titel »Our Summer Romance/I Ain’t Got You«, angeblich auf Platz 2 der Top 50 in den USA. Im Laufe der Zeit verkaufte sich die Platte auf der ganzen Welt fast eine Million Mal. Der große Hit in den USA wurde später zu einem wichtigen Element der Legende Dean Reed und sollte im Ostblock seinen Status als Weltstar beglaubigen. Niemand hat diese Geschichte je hinterfragt. Auch in Reggie Nadelsons 1991 erschienener Reed-Biographie »Comrade Rockstar« wurde der US-Charterfolg nicht weiter bezweifelt. Nach Reeds Umzug in die DDR hieß es immer wieder, Reed hätte trotz seines Erfolges auf eine Karriere in Amerika verzichtet. In der DDR hatte man ja kaum die Möglichkeit, die alten US-Billboard-Charts aus dem Regal zu ziehen, um die Story zu überprüfen. Aber belassen wir es zunächst bei Dean Reeds eigener Historienschreibung und kommen später auf den tatsächlichen Erfolg der Single zurück, der zunächst mehr als bescheiden ausgefallen war.

      »Our Summer Romance« stammte aus Reeds eigener Feder. Musikalisch paßte das Lied so gerade noch in die Zeit. Dean Reed war zwar kein klassischer Las Vegas-Crooner wie die Jungs vom »Rat Pack«, aber er klang wie einer, der es mit der Sehnsucht nach der Sommerromanze ernst meinte. In seinen besseren Momenten kam er sogar an Roy Orbinson heran, ohne aber dessen schwermütige Tiefe zu erreichen.

Werbefoto von Dean Reed

      3. Werbung von Capitol Records

      1959 hatte Dean Reed auch einen Auftritt in Dick Clarks TV-Show American Bandstand. Gäste dieser Sendung durften froh sein, daß sie hier auftreten durften, und freche Bemerkungen wurden nicht geduldet. Der erzkonservative Clark regierte seine Show wie ein Patriarch. Elvis wurde nur von der Hüfte aufwärts gezeigt. American Bandstand war eine Institution in Amerika und Dick Clark eine Legende. Ursprünglich hatte man in der Sendung Sensationsdarsteller vom Zauberer bis zur lebenden Kanonenkugel präsentiert, bis sich das Hauptinteresse auf die neuen musikalischen Stars verlagert hatte. Heute unterhält Dick Clark eine Fast-Food-Kette und wurde auch bekannt als der Mann, der Filmemacher Michael Moore in Bowling for Columbine die Autotür vor der Nase zuknallt.

      Von ähnlichem Kaliber wie American Bandstand war die Bachelor Father Show, wo Dean Reed am 4. Februar 1960 mit dem heute verschollenen Titel »Twirly Twirly« auftrat. John Forsythe begründete mit dieser Sitcom seine Karriere. Die Bachelor Father Show war ein gutes Beispiel für die hilflosen Versuche, der Teenage Rebellion mit altväterlich autoritären Rollenmodellen zu begegnen und dabei die Realität mit Mitteln der Fiktion zu bändigen. In solchen Serien sagte am Ende tatsächlich noch jemand Sätze, die mit »Ich habe heute auch etwas gelernt« begannen.

      Dean Reed tauchte in Episode 61 auf, die den Titel Bentley and the Majorette trug. Nichte Kelly und ihre Freunde üben darin für einen Trommelwettstreit, und Onkel Bentley wird böse, als einige der Kids nicht mehr zu den Proben erschienen. Dean Reed sang zwischendurch irgendwann seinen Titel »Twirly Twirly«. Da Popstars die beliebte Serie nur in Ausnahmefällen mit Sangesdarbietungen unterbrachen, spricht Dean Reeds Auftritt durchaus für seine Reputation in dieser Zeit, auch wenn er seinen Text in der vorgestanzten Variante, die das Studio am liebsten mochte, darbot. Wer sich nicht an die Regeln solcher Shows hielt, hatte in der Popwelt nichts verloren. Popmusik mit sozialkritischem Inhalt war immer noch unvorstellbar.

      Die Rebellion fand unterdessen auf der Straße statt und manifestierte sich musikalisch in Eddie Cochran, der als Angestellter eines Tonstudios jede freie Minute nutzte, um eigene Songs zu produzieren. Während Cochran der Nachwelt