Der rote Elvis. Stefan Ernsting

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Название Der rote Elvis
Автор произведения Stefan Ernsting
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871155



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Elvis kommunizierte mit einem neuartigen Code, den »die Erwachsenen« einfach nicht verstanden. Er bewegte die Massen und löste eine neue Art von Fanatismus aus. Elvis etablierte mit der Art, wie er sprach, Frauen in die Augen sah, durch die Kleidung, die er trug, und vor allem mit dem unglaublichen Sex-Appeal, der von ihm ausging, ein menschliches Gesamtkunstwerk. Elvis war nicht das romantische Versprechen, das man mit Schnulzensängern wie Frank Sinatra verband. Mr. Presley war Sex und Rock ’n’ Roll, »the real thing«.

      Ebenso wie Sam Phillips seinen »weißen Neger« gesucht hatte, suchte die Musikindustrie nun nach einem sexlosen Elvis, eine Lücke, die vor allem von Cliff Richards besetzt wurde und Erfolg versprach. Rock ’n’ Roll hatte sich seiner schwarzen Wurzeln entledigt und in der Mainstreamkultur etabliert. Die erste Generation, die der Popkultur schutzlos ausgeliefert war, bekam die volle Dosis. Die Jugend von Japan bis Amerika sollte besser konsumieren als aktiv Musik zu machen. Man castete allerorts und probierte emsig neue Gesichter aus. Manche bekamen eine Chance und durften dem ersten Flop auch weitere Versuche folgen lassen. Einer dieser Glücklichen stammte aus Wheat Ridge, Colorado – Dean Reed.

      Im Lokalradio war er inzwischen als »Denver Kid« bekannt. Bereits mit 16 hatte sich ihm ein Mann namens Roy Eberhard vorgestellt, der mit bürgerlichem Namen Leroy Eberharder hieß. Eberhard wollte Reed unbedingt managen und drängte ihn, das College zu verlassen.

       Der Manager

      1959 erschien mit »I Kissed A Queen/A Pair Of Scissors« die zweite Single von Dean Reed. Als jugendfreier Elvis war er mit seinen blauen Augen erste Wahl. Die Platte fiel trotzdem nicht weiter auf. Vor allem die parallele Veröffentlichung in England wurde kaum bemerkt. Wieder hatte man dem Sänger einen Chor zur Seite gestellt, und erneut machte die B-Seite mit einem netten Gitarrensolo in der Mitte deutlich mehr Spaß als der vom Management favorisierte Song.

      Dean Reed war ein Landei par excellence. Er hatte nie mit einer Band in einem Keller geprobt, Joints geraucht oder sich für Kunst interessiert. Der frischgebackene Star zog zunächst in die Nähe seiner Eltern, die nach Phoenix umgezogen waren, und ließ sich bei kleineren Auftritten in seiner Heimat feiern. Zeitweise soll er im Raum Denver sogar einen Fanclub mit 6000 Mitgliedern gehabt haben. Dean Reeds Cousin Will Matlack erinnert sich im Forum von deanreed.de: »An einem Wochenende gab Dean an meiner Schule ein Konzert. Deans Bruder Vernon spielte Schlagzeug. Das Aufsehen hielt sich in Grenzen, aber ich war so von Dean beeinflußt, daß ich selbst eine Rock ’n’ Roll-Band auf die Beine stellte. Und ich spiele im Alter von 56 Jahren immer noch in einer Rockband.«

      Die »Rocky Mountain News« spekulierten in einem Artikel vom 16. Januar 1959, ob Dean Reed nicht der nächste Glenn Miller werden könne. Reed hatte mit Swing zwar nicht viel am Hut, aber Miller hatte ebenfalls die University of Colorado in Boulder besucht und war später zu Weltruhm gelangt. Weiterhin berichtete die kleine Zeitung, daß Dean Reed mit einem Empfehlungsschreiben eines gewissen Roy Eberhart bei Capitol Records aufgetaucht war. Auch die Zeitschriften »Movie Mirror« und »Records & Hi-Fi« sowie der Capitol-Newsletter berichteten 1959 über Dean Reed und erwähnten seinen Manager Roy Eberhard.

      Die Anekdote mit dem Anhalter erscheint insgesamt eine Spur zu märchenhaft. Dean Reed war später immer stolz, keinen Manager zu haben, und bemüht, für die Presse die Legende vom namenlosen Anhalter aufrecht zu erhalten, der ihm selbstlos das Ticket nach Hollywood verschafft hatte. Tatsächlich hatte Roy Eberhard vor allem ein finanzielles Interesse an dem jungen Sänger und managte Dean Reed mindesens seit 1959. In diesem Jahr zog der Manager samt Familie gemeinsam mit seinem Schützling nach Los Angeles. Denkbar wäre, daß der arbeitslose Musiker bereits vorher im Raum Denver auf Dean Reed gestoßen war und ihm eine große Karriere versprochen hatte. Möglicherweise war er auch schon vorher als Manager für Dean Reed tätig. Laut einem kurzen Interview mit der »Denver Post« vom 5. April 1957 hatte Dean Reed bereits zwei Jahre zuvor schon einen Manager. Er finanzierte sich seit 1956 selbst, was zu dieser Zeit ohne Manager schwer gewesen sein dürfte. Für einen Auftritt mit dem tourenden Tenor Lauritz Melchior brauchte man halbwegs gute Kontakte.

      Dean Reed verschwieg schon früh seine dreijährige Erfahrung als junger Showman, der von seinen Auftritten leben mußte. Der angeblich planlose Trip nach Kalifornien, der Anhalter, die wundersame Fügung, in der Chefetage sofort einen Termin zu bekommen, der sofortige Abschluß eines Plattenvertrages über sieben Jahre und die Option auf einen eigenen Spielfilm – im Vergleich mit den Gepflogenheiten der Musikbranche klang die Geschichte wenig glaubwürdig und eher nach einer später zurechtgelegten Erfolgsstory.

       Los Angeles

      1959 lebte Dean Reed zunächst mit Roy Eberhard und dessen Familie über den Hügeln von Canoga Park in einem Haus des früheren Kinderstars Shirley Temple. Eberhard war mit seiner Familie aus Österreich ausgewandert und hatte sich im amerikanischen Musikgeschäft bereits ein paar Kontakte verschafft. Das Haus befand sich in unmittelbarer Nähe der Ranch des singenden Cowboys Roy Rogers, Reeds Idol aus Kindertagen. Reed fand sich unversehens in den Händen von Geschäftemachern. Rund 25 Prozent seiner Einnahmen gingen an Eberhard, der Reeds Auto als mobiles Büro nutzte, zehn Prozent an seinen Agenten sowie je fünf Prozent an den Mann für die PR und einen Business-Manager. Dreißig Prozent gingen an die Steuer. 1960 verkaufte Eberhard seinen Vertrag, und Dean Reed mußte sich selbst um sein Management kümmern. In seiner 1980 erschienenen Autobiographie »Aus meinem Leben« äußerte er sich nur knapp über den Verkauf seines Vertrages: »Käufer war die Organisation, die in Hollywood mit allem, was es im Showbusiness gibt, handelt und die man getrost als Syndikat, als eine Art Mafia bezeichnen kann.«

      Der unerfahrene Cowboy aus Colorado büßte schon sehr früh für seine Naivität. Sein Vertrag mit Capitol garantierte ihm acht Master Aufnahmen, die ihm jeweils 45$ einbrachten. Er realisierte, daß das Label ihn nur als Produkt ansah und er vor allem weiter live auftreten mußte, um Geld zu verdienen. Damit war es aber noch nicht getan. Die Musikbranche erwartete, daß sich der Sänger den Gesetzen des Marketings unterwarf. In seiner Autobiographie erinnerte er sich an die Strategien zu seiner Vermarktung: »So erschienen eines Tages zwei Männer bei mir, die mir eröffneten, was ich nach Ansicht der Organisation alles falsch machen würde. Sie schrieben mir vor, was ich für Hemden anziehen sollte, welche Krawatten ich tragen müßte, mit welchen Frauen ich mich in den von Fotoreportern wimmelnden Restaurants am Sunset Strip sehen lassen sollte, und meinten, daß es übrigens sehr gut wäre, wenn ich mit Miß Sowieso einen kleinen Skandal inszenieren würde. Ich habe das abgelehnt. Ich wollte kein Sklave sein. Lieber blieb ich ohne Manager.«

      Dean Reed gab sich rebellisch und suchte die Konfrontation mit Eberhard, der ihn in seine Familie aufgenommen und bei sich hatte wohnen lassen. Der Manager hatte für Reed auch Gesangsunterricht, Bühnengarderobe und anderes bezahlt. Er probte sogar mit seinem Schützling vor dem Spiegel und schien an den Erfolg von Dean Reed zu glauben. Dieser fühlte sich aber zu sehr unter Druck gesetzt und es kam zu einem heftigen Streit. Dean Reed verließ Eberhard ohne ein Wort des Dankes und für Jahre durfte sein Name in Gegenwart des ehemaligen Managers nicht mehr ausgesprochen werden.

      Nach Aussage eines Freundes von Dean Reed, Johnny Rosenburg, der durch Reeds Vermittlung selbst einen Vertrag bei Capitol unterschrieben hatte, wurde sein Vertrag später »von ein paar Typen aus Abilene, Kansas, gekauft, die mit Cadillacs handelten«. Vermutlich lag er damit nicht ganz falsch. Das Musikbusiness wurde zu dieser Zeit von Gangstern, Self-Made-Managern, Songschreibern und gewerkschaftlich organisierten Studiomusikern kontrolliert. Die Interpreten spielten in der Plattenproduktion die kleinste Rolle. Man paßte ihnen Songs an wie die dazugehörige Bühnengarderobe. Jeder Musiker, der seine Karriere vor der Rock ’n’ Roll-Ära begonnen hatte, arbeitete quasi direkt für die Mafia. Das Copacabana in New York, das Riviera in Jersey, das Chez Paree in Chicago, der 500 Club – alle großen Läden gehörten dem organisierten Verbrechen. Man lud sich Musiker zur Belustigung ein und verdiente nebenbei ganz ordentlich an den Platten. Im Hip-Hop verhielt es sich heute ganz ähnlich.

      Besonders deutlich wurde dieser Zusammenhang bei Frank Sinatra als Bindeglied zwischen Mafiosi wie Sam Giancana oder Lucky Luciano, »den Kubanern« und »den Kennedys«. Sinatras Rat-Pack-Kumpan Peter Lawford war mit