Название | Der rote Elvis |
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Автор произведения | Stefan Ernsting |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871155 |
Sündenpfuhl Hollywood
Die Legende, die Dean Reed selbst um sein Leben spann, beginnt meist mit einem mysteriösen Anhalter. Sonnenuntergang in Arizona. Man stelle sich einen Zwanzigjährigen vor, der unter einer Überlandleitung am Rande von Nirgendwo steht. Das weite Land. Irgendwo eine Tankstelle und ein Supermarkt. Die Einsamkeit der Rancher und Cowboys, die den ganzen Tag im Sattel oder in ihrem Jeep hockten. Dean Reed dachte über sein Leben nach. Er wollte frei sein und Mädchenherzen erobern. Seine Sommerferien dauerten noch zwei Wochen. Er beschloß, nach Hollywood zu fahren, um einmal im Leben zum Spaß den Sunset Boulevard rauf und runter zu fahren. Es sollte eine schicksalsträchtige Tour werden.
Der junge Mann aus Colorado knatterte mit seinem schwarzen 1957er Chevrolet Impala Cabrio durch die Kakteenlandschaft gen Kalifornien. Er wollte werden wie Elvis und hatte bereits eigene Songs im Kopf. Mitten in der Wüste sammelte er einen etwas schmuddeligen Anhalter ein, der die Fahrt mit witzigen Anekdoten zu verkürzen wußte. Dean Reed sang dem Fremden »Don’t let her go« vor, das Lied für seine erste Liebe. Der Tramper zeigte sich beeindruckt. Er berichtete von seiner eigenen Karriere als Musiker in einer Dixie-Band, die er einst mit seiner Frau hatte und die wie alles am Ende mit Streit und Geldsorgen ihr Ende fand.
Der Tramper machte Dean Reed ein Angebot. Falls der junge Mann ihm in L. A. ein Motel-Zimmer für eine Nacht bezahlen würde, könne er ihm ein Date mit einem großen Musikproduzenten vermitteln. Das Zimmer kostete sechs Dollar. Dean Reed hatte noch genug Reserven und ging auf das Angebot ein.
Am Montag darauf hatte Dean Reed einen Termin bei Capitol Records, die auch Frank Sinatra und Ella Fitzgerald unter Vertrag hatten. Am Dienstag machte er Probeaufnahmen im Studio, und am Freitag sang er vor Voyle Gilmor, dem Präsidenten von Capitol Records. Noch am gleichen Tag unterschrieb er einen Plattenvertrag über sieben Jahre und ein gewisser Roy Eberhard übernahm sein Management.
In einem Capitol-Newsletter vom 13. Januar 1959 wurde Dean Reed kurz vorgestellt. Man beschrieb ihn als Sportskanone, der seinem Manager das Rauchen abgewöhnt hatte und Liegestütze machen ließ. Der Wettbewerb der Leichtathletik schien ihm universell anwendbar. »Athletics is a way of life. If you learn competition in that, you can apply it to everything«, wurde Dean Reed für die Werbung des Labels zitiert, der ferner angab, mit Vorliebe historische Bücher zu lesen.
Im Januar 1959 erschien »The Search«, die erste Single von Dean Reed, der mit »Annabelle« auch einen selbstgeschriebenen Song für die B-Seite beisteuerte. In vielerlei Hinsicht war diese Single die beste Platte, die Dean Reed jemals produzieren sollte. »The Search« war mit viel Bombast überproduziert und bestand aus verschiedenen Versatzstücken, die gerade populär waren: ein weiblicher Background-Chor, ein frecher Break im Refrain, ein Hauch von »Runaway« in der Stimme und dengelnde Gitarren. Mit der B-Seite bewies Reed, daß er auch anders konnte. »Annabelle« erinnerte latent an »Dizzy Miss Lizzy« und klang viel mehr nach Rock ’n’ Roll als die zurückhaltende A-Seite, aber alles in allem fehlte der Nummer dennoch das gewisse Quentchen Originalität.
»The Search« wurde vom »Billboard Magazine« zum Hit der Woche gekürt, landete im Februar auf Platz 96 der Charts, war aber bereits nach einer Woche wieder verschwunden. Das Volk wollte lieber Connie Francis, Perry Como und Paul Anka hören. Rock ’n’ Roll hielt man noch immer für eine lästige Mode, die von einem gewissen Elvis Presley persönlich erfunden worden war, um die Jugend zu verderben.
The King
Der US-Pop vor Elvis glich einem Propagandafeldzug für amerikanische Lebensart. Die Musiklandschaft war fest in der Hand der imaginären Tin Pan Alley, der Gegend rund um das Brill Building nördlich des New Yorker Times Squares, einer gewaltigen Schnulzenschmiede, die sich aus Musik als Kunstform nicht viel machte und jegliche Veränderung fürchtete. Dicke Männer mit Zigarren versuchten das Zeitalter der Big Bands aus der Vorkriegszeit zu erhalten. Alles war hübsch sauber, die Jugendlichen durften sich auch mal verlieben und Tränen vergießen, aber im wesentlichen hatte die Musik weiß und jugendfrei zu sein. Neu war lediglich Frank Sinatra, der als Sänger in den Vierzigern erstmals erreichte, was sonst nur Filmstars vorbehalten war: Die Frauen fielen bei seinen Auftritten reihenweise in Ohnmacht.
1951 veranstaltete ein DJ namens Alan Freed eine Konzertreihe in der Cleveland-Arena, bei der sowohl weiße als auch schwarze Bands auftraten. Freed empfand den Begriff R & B schon lange als rassistisch und taufte die Show The Moon Dog Rock ’n’ Roll Party. Der Begriff etablierte sich schnell, und auch der kommerzielle Siegeszug war nicht zu stoppen, auch wenn Freed den Begriff natürlich nicht erfunden hatte. Schon 1934 erschien die Single »Rock ’n’ Roll« von den Boswell Sisters, und als rüde Umschreibung für den Geschlechtsakt hatte sich Rock ’n’ Roll unter Schwarzen bereits lange zuvor etabliert. 1954 tauschten Bill Haley und seine Saddlemen die Cowboyhüte gegen karierte Jacketts ein und stürmten mit reichlich Fett in den Haaren und einer Coverversion von »Rock Around The Clock« die Charts. »Rock around the clock« war im schwarzen Original nicht weiter aufgefallen, aber die weiße Version übertraf auch die kühnsten Träume der Musikindustrie. Die Platte wurde nicht einfach nur ein Hit. »Rock Around The Clock« wurde zur Hymne und verkaufte sich weltweit schneller als man nachpressen konnte. Die jungen Leute wollten das Gedudel ihrer Großväter längst nicht mehr hören. Erstmals in der Geschichte hatten sie genug eigenes Geld, um selbst als Zielgruppe entdeckt zu werden. Schnell drehte die Industrie mit Blackboard Jungle einen Film dazu und mit Don’t Knock The Rock gleich noch einen, um den Millionenseller von Bill Haley weiter auszupressen.
Dann kam Elvis, und plötzlich war nichts mehr so wie zuvor. Er kam, sah und versetzte die gesamte Jugend in eine nie zuvor dagewesene Hysterie. Ohne Elvis hätte es keinen Dean Reed gegeben, und auch viele andere Künstler wären wohl allenfalls in den Startlöchern geblieben.
Das Erfolgsgeheimnis des »Kings« war nicht wirklich neu und von anderen bereits erfolgreich in Szene gesetzt worden. Carl Perkins, Chuck Berry und Jerry Lee Lewis wirkten souveräner. Gene Vincent und Eddie Cochran, die eigentlichen Urväter des weißen Rock ’n’ Roll, waren authentischer und gefährlicher. Little Richard hatte ihm mit »Tutti Frutti« längst den Weg bereitet. Sein Kostüm mit dem hohen Kragen hatte der King bei dem Helden seiner Kindheit, Captain Marvel jr., abgeguckt. Die Posen hatte er im Kino bei James Dean und Marlon Brando studiert. Auch als Filmstar taugte er nicht viel, aber historisch markierte er einen gewaltigen Umbruch.
Die Geschichte von Elvis begann mit einer Marktlücke. »Wenn ich einen Weißen finden könnte, der den ›Negersound‹ und das ›Negerfeeling‹ besitzt, dann könnte ich eine Milliarde Dollar verdienen«, offenbarte Sam Phillips seiner Sekretärin Marion Kreisker, als er sein Label Sun Records 1952 in Memphis startete.
Im Sommer 1953 kam ein junger Weißer ins Sun-Studio, der mit den alten Bluesmen im Mississippi-Delta aufgewachsen war. Für vier Dollar nahm er zwei Songs auf, und im Januar 1954 kehrte er für zwei weitere Aufnahmen zurück. Phillips witterte das Potential des jungen Mannes. Er hatte das richtige Aussehen, eine gute Stimme und das gewisse Etwas in seinem Auftreten. Er überredete ihn zu Aufnahmen mit Scotty Moore und Bill Black von Doug Poindexter’s Starlight Wranglers. Man probierte einige Nummern, aber erst bei dem traditionellen Blues »That’s All Right« von Arthur »Big Boy« Crudup platzte der Knoten. Sam Phillips hatte seinen »weißen Neger« gefunden.
Im Juni 1955 kam Elvis mit »Baby, Let’s Play House« erstmals in die Country & Western-Charts, und 1956 schoß »The Pelvis« mit »Heartbreak Hotel« in alle Charts der Welt. Ein Hit nach dem anderen pflasterte seinen Weg. Die Medien nannten ihn »Hillybilly Cat« oder »King of Western Bop«, und er beherrschte allein die Charts für Pop, Country und Rhythm and Blues, bis das Denken in Schwarz und Weiß keinen Sinn mehr ergab. Kreischende Mädchen und Halbstarke zerlegten reihenweise das Mobiliar der Auftrittsorte, wenn