Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
---|---|
Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
Sie waren nicht überrascht, im Laufe der Jahre zu entdecken, dass bei den Bohemiens das Phänomen der Schwiegermutter als Demeter weit verbreitet war. Überall, wo sich Künstler und Schriftsteller in ihrem Existenzkampf zusammentaten, tauchte sie auf. Ewiges Heil der Schwiegermutter!
DIE DICHTERLESUNG
Cluthberts Schwester Agatha war nun schon zum fünften Mal an diesem Tag dabei, ihn mit ihrer seichten Art am Telefon zu nerven. Warum konnte sie ihn bloß nicht in Ruhe lassen? »Hör mal zu, Agatha, das werde ich nie im Leben gutheißen, dass du das Haus verkaufst. Mein letztes Wort.«
Cuthbert hauste im Colburne Hotel am Washington Place, nicht weit vom Washington Square, in einer düsteren Bude, in der etwa vierzig bis fünfzig verhutzelte Apfelsinenschalen herumlagen. »Also diese Apfelsinenschalen weißt du, die werden noch die Schlangen anziehen«, hatte ihn seine Schwester gewarnt.
»Hier, mitten in Greenwich Village?«
»Man kann nie wissen! Ich wette, dass die in deiner Nachbarschaft mindestens eine Schlange als Haustier haben, unter all den schrägen Vögeln, die sich da so einnisten.«
Cuthbert hatte weißes, schimmerndes Haar. Seine Augenlider waren meist rosig, ebenso seine Wangen, die sich als ziemlich regelmäßige rosige Ovale abzeichneten. Immer wenn er Gedichte las, schob sich seine Oberlippe nach vorn und in die Höhe. Er war einundsechzig. Und seit vierzig Jahren schrieb er jetzt schon in aller Gemütsruhe seine Gedichte. Das Hotelzimmer war von oben bis unten vollgestopft mit Erinnerungen ans literarische Leben des Village seit den zwanziger Jahren.
»Also, Agatha, ich muss jetzt Schluss machen. Ich muss in ein paar Minuten los zu einer Dichterlesung im Gaslight Café.«
»Willst du da etwa auch lesen?«
»Ja. Die anderen werden wohl alle gut 45 Jahre jünger sein als ich — es ist eine offene Lesung, verstehst du? — das wird also auf jeden Fall ein denkwürdiger Abend, entweder ein totaler Reinfall oder wahnsinnig aufregend. Und noch was — lass mich doch bitte mal für ein paar Tage in Frieden, okay?«
Cuthbert stand nackt in der Mitte des Zimmers, kaute auf einer Gurke herum und überlegte, welchen Stapel er gestern angehabt hatte. Der Poet hatte nämlich eine Kleiderordnung entwickelt, bei der er alles weggeworfen hatte bis auf sieben komplette Kombinationen, die er im Abstand von etwa einem Meter stapelweise übers Zimmer verteilt hatte. Um die Klamotten des jeweiligen Tages herauszufinden, brauchte er bloß das Bündel vom vorangegangenen Tag suchen, seine Augen entgegen dem Uhrzeigersinn einen Kleiderstapel weiterwandern zu lassen und in dieses Bündel zu steigen. Auf diese Weise entdeckte er, dass er bloß noch alle neunundvierzig Tage große Wäsche machen musste.
Das Gaslight war zum Bersten voll. Ein paar Zeitungsfritzen drückten die Leute aus dem Weg, um bessere Photos schießen zu können. Jemand fragte die Frau, die vorn die Eintrittskarten zu einem Dollar das Stück verkaufte, flüsternd: »Ist Ginsberg auch dabei?« Cuthbert schätzte die Beats zwar nicht besonders, zollte aber der Aufmerksamkeit, die von Ginsberg, Burroughs, Corso, Kerouac und Konsorten auf die moderne Dichtung und ihre Schöpfer gelenkt wurde, höchsten Respekt, ganz egal wie sie ausfiel, ablehnend, wohlwollend oder sonst wie. Das Beatfieber der Studenten griff um sich. Für Dichterlesungen waren von heute auf morgen nur noch Stehplätze zu kriegen. Die New York Daily News hatte die Lesung von letzter Woche in ihrem Mittelteil gebracht. In New York ansässige Magazine hatten mehrere Stories über die Beats veröffentlicht, die allerdings von Zynismus und Verachtung nur so trieften; allen voran eine mit dem Titel »Zen Hur«, die kürzlich in der Times erschienen war. Der ganze Mist, der von diesen abgetakelten Sprachrohren der Mittelklasse verzapft wurde, trug dazu bei, die Bewegung noch weiter aufzuplustern. Cuthbert war fest davon überzeugt, dass einer, der sich mit den ausgeblasenen Eierköpfen des Time Mag anlegt, in jedem Fall auf der richtigen Seite steht. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er bei der Lost Generation von Paris schon mal eine Chance verpasst, und nun hegte er keineswegs die Absicht, sich eine neue erfolgreiche Literatengeneration durch die Lappen gehen zu lassen — besonders wenn es sich um ein Phänomen handelte, das so unaufhaltsam und interessant zu sein schien wie dieses hier. Also beschloss er, einzusteigen und am selben Strang zu ziehen wie die Beats. Was hatte er schon zu verlieren?
Das Ereignis war als offene Lesung für Beat-Poeten angekündigt; es stellte sich aber sehr schnell heraus, dass von den echten Beats gar keiner auftauchen würde. Dafür erschienen aber schätzungsweise vierzig andere Poeten, und neunzehn davon trugen sich drüben am heiligen Listentisch zum Lesen ein. Eine Frau regte sich über das Fünfzigcentminimum auf. »Wir sollten wenigstens ’nen Kaffee dafür kriegen, dass wir den ganzen Weg machen, bloß um hier zu lesen!«, zeterte sie.
Aber der Manager war auch nicht auf den Mund gefallen: »Genauso gut kann man sagen, ihr seid uns was schuldig, weil ihr hier lesen dürft!«
Die Dichter wurden gebeten, sich auf jeweils drei Gedichte oder höchstens fünf Minuten zu beschränken, aber die meisten machten locker mindestens sieben Minuten draus, ehe die nervösen anderen Dichter im Publikum vor lauter Wut finster vor sich hinstarrten und unruhig auf ihren Stühlen herumrutschten. Der Besitzer des Cafés kam nach vorne und kündigte an, dass jeglicher Applaus zu unterlassen sei, weil sich sonst die Nachbarn über den Lärm beschwerten. Zusammen mit der Polizei hatte man sich darauf geeinigt, das Händeklatschen durch Fingerschnippen zu ersetzen. Die Dame am Listentisch beugte sich tief über ihren Stenoblock und notierte die Namen der Dichter der Reihe nach in einer Liste, die zumindest offiziell demokratisch war: Der Erste, der sich eintrug, war auch zuerst mit Lesen dran. Aber der Mann, der vor Cuthbert stand, forderte mit herrischer Stimme: »Setzen Sie mich bitte an den Anfang vom ersten Set« — er trug ein pelzbesetztes Cape und hielt einen silberbeschlagenen Spazierstock in der Hand, — »... ich habe nämlich vor, ein kurzes Versstück mit dem Titel Theseus und die Zeitmaschine zu rezitieren und brauche einen besonders günstigen Zeitpunkt für den Vortrag, denn schließlich ...«, hier senkte er den Kopf und knallte die Hacken seiner mit Spucke gewienerten Reitstiefel zusammen, »ist es das Werk eines Genies!«
Cuthbert war für den zweiten Auftritt des dritten Sets vorgesehen; also würden seine Ohren erst mal eine ganze Weile von den Versblizzards seiner Vorgänger strapaziert werden, was er auch keineswegs bereute, ganz im Gegenteil, er liebte es gradezu, anderen Dichtern zu lauschen. Andererseits wollte er mit seinem Platz auch nicht gelinkt werden und schielte während der ganzen Lesung ständig mit einem Auge rüber zum Listentisch, immer auf der Hut vor faulen Tricks. Tatsächlich kriegte er auch ein oder zwei Mal mit, wie einer auf den Tisch zuschlenderte, sich runterbeugte, womöglich charmant lächelte und der Dame was ins Ohr flüsterte – und siehe da! Sie strich doch wirklich mal hier einen Namen aus und setzte dort einen ändern ein! Cuthbert scherte sich nicht drum, was mit den anderen war, solange es im Set Drei, Platz Zwei bei »Cuthbert Mayerson« blieb.
Das Fingerschnipsen war irgendwie auch nicht ganz das Richtige, um den immensen Applausbedarf einiger Dichter zu decken. Nur ganz wenige schafften es, das Publikum so zu begeistern, dass es sich zu einer kurzen Brise von Schnipsern hinreißen ließ, wenn sie mit Lesen fertig waren — aber das klang dann auch höchstens wie das Knistern von dürrem Gestrüpp. Und nach einem Dichter, auf den die Zuschauer nicht so abfuhren oder den sie nicht verstanden (beispielsweise wenn er keinen Humor hatte), waren bestenfalls vier oder fünf armselige Schnipser fällig und dann kam ein langes Schweigen, das sich nur zögernd aufzulösen schien. Peinlich war es, wenn das Fingerschnipsen schon vorbei war, ehe der Dichter sich auf den Weg zurück an seinen Tisch gemacht hatte, und davor fürchtete sich Cuthbert ganz besonders. Böse Vorahnungen schossen ihm durch den Kopf: »Wenn mein Vorgänger bloß fünf Schnipser kriegt, mit wie viel kann ich dann wohl rechnen — drei?«
Cuthbert bemerkte im Publikum mehrere Dichter, die wie wild schrieben, solange einer auf der Bühne rezitierte, und nur dann eine Pause einlegten, wenn die anspornende Stimme dort oben aufhörte, grad so, als ob dieser Wortschwall ihren eigenen geschwätzigen Griffel erst so richtig in Fahrt brachte. Andere wappneten sich mit einer Jubelgarde von guten Freunden, die sich fürsorglich an ihren Tischen versammelten; und wenn einer auf die Bühne losmarschierte, um seine Verse