Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
Zu dieser Zeit waren die Maßnahmen des FBI, wenn sie die gesuchte Person nicht antrafen, reine Routinesache. Sie schoben ihr ein genormtes Formular unter der Türritze durch, auf dem folgender schreckenerregender Text vorgedruckt war. Ganz oben stand der volle und rechtskräftige Name des »Subjekts«, das sie zu belästigen wagten, drunter die Aufforderung: »Setzen Sie sich bitte mit unserem Special Agent Edward Barnes in Verbindung. Federal Bureau of Investigation.« Und dann die Nummer vom FBI mit dem Nebenanschluss von Mr. Barnes.
Der Poet hatte natürlich keine Ahnung von dem Brief, der beim FBI eingegangen war. In seiner Vorstellung spielten sich die grausigsten Visionen von Polizeistaat und Bullenterror ab. Erstmal spülte er seinen gesamten Shitvorrat, der in der Wohnung verteilt war, ins Klo. Sollte das etwa ein gezielter Angriff auf Beatdichter sein? Absurder Gedanke. Aber hatte er nicht neulich seine Unterschrift unter eine Petition gesetzt, die für die Begnadigung von Caryl Chessman eintrat? Vielleicht hatten sie deshalb hier rumgeschnüffelt? Er überlegte hin und her, hörte im Geist schon das Gerassel imaginärer Handschellen und hatte ständig den Soundtrack vom FBI-Radioprogramm im Ohr.
Er rief beim FBI-Büro an und wurde aufgefordert, in einer Kleinigkeit, die seinen Militärdienst anging, an der Siebenundsechzigsten Straße Ost vorzusprechen. Uh-oh. Uh-oh und Terror.
Man verhörte ihn in einem abgelegenen Zimmer, das voller Agenten und Schreibtische steckte. Sie erzählten ihm, dass sie gar nicht scharf drauf wären, ihn zu schnappen, aber sie müssten nun mal einen Bericht machen, weil das vorgeschrieben sei. Er machte ihnen weis, dass er sich nächstes Semester bestimmt in der Schule zurückmelden würde, und tat sein Bestes, um seinen zukünftigen Schwiegervater als exzentrischen Zittergreis hinzustellen.
Wenn der Alte ans FBI geschrieben hatte, überlegten die beiden, dann konnte man wohl mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass er auch die New Yorker Polizei verständigt hatte; kleiner Hinweis auf Drogenmissbrauch womöglich. In den nächsten paar Jahren suchten sie sich für ihr Gras höchst raffinierte Verstecke aus. Beispielsweise benutzten sie die Gras-aus-dem-Fenster-Abseil-Methode mit einer Rasierklinge in der Nähe. Oder auch die Shit-überm-Klo-Baumel-Technik. Es war zwar umständlich, solche Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, aber in diesen Zeiten auch nicht ungewöhnlich. Die beiden kannten einen Burschen, der hatte seinen Hund zum lebenden Grasschlucker abgerichtet, für den Fall, dass die Bullen plötzlich an die Tür klopften. Das Vorhandensein eingebauter Verstecke gehörte wahrend der Beat-Ära zu den wichtigsten Gründen, die für oder wider eine bestimmte Wohnung sprachen, Risse oder Sprünge im Mauerwerk, Vertiefungen usw., aber auch die Überlegung, wie lange im Notfall die Haustür den Drogenschnüfflern standhalten würde.
Die nächste Krise wurde bei ihrer Heirat ausgelöst, als die Familie allen Ernstes erwog, entweder sie oder ihn oder alle beide in die Klapse zu verfrachten. Ein Onkel in der Sippschaft war Arzt. Sie setzten den armen Kerl mit allen Mitteln unter Druck, nur um ihn so weit zu kriegen, dass er den Beatnik einlieferte. »Um Marias willen ...«, schluchzte Mutter am Telefon, und ihre Tränen tropften auf den Hörer. Als Antwort darauf ließ der Beatnik die Botschaft »Nur über unsere Leichen« unter dem Stammbaum explodieren und auf einen Schlag waren die Fronten wieder ruhig.
Die Kinder milderten den Hass der Familie ein bisschen. Der Dichter selbst begnügte sich mit Schreiben und Schweigen. Aber als ihnen der totale Entzug ihrer Enkelkinder drohte, wurden die Eltern langsam weich. Von ihm aus konnten sie alle zum Teufel gehen, dachte sich der Dichter nach all den Jahren harten Kampfes. Wenn sie es wagten, ihm auf den Wecker zu fallen, würde er mal kurz grunzen und die Stirn runzeln, ansonsten aber keinen Ton von sich geben, das schwor er sich. Mit einem naserümpfenden, misstrauischen Beatnik in zerlumpten Klamotten musste übrigens so manche Mittelstandsmutti fertig werden, wenn sie sich in die Slums vorwagte, um einen Blick auf ihre Enkel zu werfen.
So vergingen die Jahre der Armut in glücklicher Eintracht mit Kakerlaken, Ratten und haufenweise Abfall. Manchmal ging es ihnen so dreckig, dass sie T-Shirts zu Windeln umfunktionieren mussten, weil sie sich keine Pampers mehr leisten konnten. Einmal rissen sie sogar einem National-Book-Award-Poeten, der grad bei ihnen zu Besuch war, das Hemd vom Leib und machten eine Windel draus. Und das nur ein paar Tage nach seiner Preisverleihung.
Gelegentlich suchten sie alle ihre Gedicht- und Romanerstausgaben zusammen und verscherbelten sie an Antiquariate. Ständig baten sie Schriftsteller, ihnen ihre Bücher zu signieren. Auf Dichterlesungen im Y auf der Zweiundneunzigsten Straße hingen sie gewöhnlich back stage bei den Dichtern rum und kassierten ihre Autogramme ab. Eine signierte Erstausgabe, oh Mann, das war was!
In einem Anfall von schierer Verzweiflung stellte er sich auch manchmal in die wartende Menschenschlange vor der Blutbank auf der Third Avenue und ließ sich für zehn Dollar einen halben Liter aus dem Arm zapfen. Zehn Dollar, das machte: $ 1.98 für Pampers, siebzig Cent für vier Päckchen Spaghetti, fünfunddreißig Cent für eine Schachtel Spinatnudeln, ein Pfund Hüttenkäse neunundsechzig Cent, Zucker, Kartoffeln, vier Liter Milch, Eier und drei Marshmallows aus dem Supermarkt, zwei Dosen Bier, eine Cola — und alles, was dann noch übrig blieb, waren lumpige drei Dollar. Aber dafür war auch morgen ein besonderer Tag, einer mit besseren Aussichten — mit stundenlangem Studium vervielfältigter hochverräterischer Schriften und tiefgründigen Diskussionen im Tompkins Square Park, vier ausgeprägten Halluzinationen, zahllosen Spaziergängen in Richtung Fourth Avenue und ihren Buchläden, aber vor allem ein Tag der F r e i h e i t.
Im Laufe der Jahre tauchte dann allmählich das Phänomen der Plastiktüte auf. Wenn die Schwiegermutter bei ihren gelegentlichen, hastigen Samstag- oder Sonntagnachmittagsbesuchen in der verdreckten Feindeswohnung auftauchte, schleppte sie meistens Plastiktüten von beachtlicher Größe an. Oft brachte sie sogar Sachen aus ihrer eigenen Speisekammer mit, so verrücktes »Zigeuner«-Zeug, wie verschmähte Dosen mit Palmenherzen, Streit’s schokoladenüberzogene Matzen, eingelegte Melonen in Stücken oder kleine Schachteln Kasha. Die Plastiktüten enthielten aber auch stapelweise Windeln, Milch oder Zucker. Offenbar schmiss die Schwiegermutter nie irgendwas weg. Ihre besonderen Reißer waren Babysachen für die Enkelkinder, die schon deren Mutter, ihre Tochter, in diesem Alter getragen hatte. Das Gleiche galt für Spielzeug und Puppen, mit denen die Mutter vor zwanzig Jahren gespielt hatte. Ab und zu kam es vor, dass Schwiegermutter mitten in eine politische Versammlung platzte, in die Organisation einer Demonstration zum Beispiel mit Amerikas berüchtigtsten Radikalen, jungen Männern und Frauen, für die die Regierung Millionen von Dollar zum Fenster rauswarf, nur um sie zu bespitzeln, zu belästigen, zu verhören und ihnen nachzuschnüffeln. Sie alle rückten schweigend auseinander, wenn Großmutter mit ihren Bündeln von Zeugs durchs Zimmer stampfte. Der Schwiegervater hielt es am längsten aus und blieb in seinem Hass auf den »dickköpfigen Beatnik-Fatzke« lange unversöhnlich. Einmal spritzte er sogar heimlich grüne Pflanzenfarbe in eine frische Milchtüte, die dann bei einem der typischen Plastiktütensonntagsnachmittagsbesuche in den Saustall geschmuggelt wurde. Sie machten die Tüte erst später auf. Es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt, als sich ein Glas frische Milch einzugießen und plötzlich faulig grüne Schlieren vom Mars aus der Öffnung sickern zu sehen. Aber allmählich wurde sogar der Alte ruhiger und fand sich mit der Ehe ab.
Absolut nichts konnte die Schwiegermutter abhalten — kein Schuppen und kein geodätischer Sommerdom irgendwo draußen im Wald, keine Mietskaserne voller Junkies war ihr abwegig genug, dass sie nicht mit ihren fünfunddreißig Pfund Obst, Gemüse, Klamotten, Schreibpapier, Vitaminen und Zeitschriften angewalzt kam, und es war ihr ganz egal, wie viele Treppen hoch sie ihren Krempel schleppen musste, den sie in zwei oder drei Care-Paketen verstaut hatte — wie sie von den beiden spaßeshalber genannt wurden.
Im Sommer 1964 verbrachten sie mit ihren Kindern ein paar Monate in den Catskill-Wäldern, abseits von einer Holzfällerschneise bei Phoenicia, New York. Sie hausten in einem alten gestreiften Partyzelt, das aus einem Long-Island-Nachlass stammte. Darüber im ersten Stock befanden sich ihre Schlafquartiere — ein Baumhaus, das nach allen Seiten offen war, dafür aber ein Dach aus Plastik hatte. Mehrere Wochen lebten sie in glücklicher Abgeschiedenheit vor sich hin, bis sie eines schönen Sonntagnachmittags — Stampf!