Название | Mudlake - Willkommen in der Hölle |
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Автор произведения | M.H. Steinmetz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961881437 |
Das Motorrad mit dem Ledersattel und einem einzigen Zylinder machte keinen besonders gepflegten Eindruck. Die Felgen waren rostig und der Lack zeigte sich stumpf. Hinten hatte er zwei Packtaschen und einen Schlafsack festgeschnallt. Musste ein ausländisches Fabrikat sein.
»Hey, Hope«, feixte Brady, »warum hast’n geschrien dort hinten im Feld?«
»Hab an deine dämliche Visage gedacht und Angst bekommen«, schnauzte Hope zurück. Langsam entwickelte sie einen Hass auf den Typen. Nicht, weil er diesen Unsinn verzapfte, sondern weil er das pure Gegenteil eines hormongesteuerten Idioten sein konnte, wenn er nur wollte. »Mit dir hab ich eh ’n Hühnchen zu rupfen, Homeboy!«
Brady öffnete den Mund, um ihren Angriff zu erwidern, doch Jamie stieß ihm mit dem Ellbogen in die Rippen. »Lass jetzt einfach gut sein, Brady.« Er sah leicht verlegen zu Hope. »Denke, wir alle wollen nur so schnell wie möglich weiter, hab ich recht?«
Hope lächelte, weil sie seine Geste nett fand. »Danke, Jamie …« Hope musterte Jamie und fand, dass er sich ziemlich gut gemacht hatte in den letzten Wochen. Die Cops hatten ihn völlig verwahrlost ins Waisenhaus gebracht. Zuvor hatte er wie ein Hobo gelebt, sich aus dem Süden bis zu ihnen nach New York durchgeschlagen. Und das konnte man durchaus wörtlich nehmen. Jamie hatte nie darüber gesprochen, was mit seinen Eltern war, nur dass es sie für ihn nicht mehr geben würde. Manchmal sprach er von einem Onkel Joe, zu dem er sich geflüchtet hatte, wenn sich seine Eltern stritten. Er hatte Hope nie erzählt, was für ein Typ Onkel Joe war und ob es sich bei ihm um einen echten Onkel handelte. Oder, was nicht ausgeschlossen war, dass er nur in Jamies Kopf existierte.
Hope wollte nicht mehr über solche Geschichten nachdenken, weil ihr sonst ihre eigene in den Sinn kam. Sie warf dem Motorradfahrer einen scheuen Seitenblick zu. Er scharrte mit den Boots nervös auf dem Boden herum, sah auf seine Stiefelspitzen. Ihm schien das alles unangenehm zu sein. Hope räusperte sich. »Cooles Motorrad.«
Wie dämlich …
Als hätte sie ihn aus einem Traum geschreckt, sah er zu ihr auf, blinzelte. Er antwortete jedoch nicht sofort, sondern schien sich die Worte zurechtzulegen. »Ist ’ne Enfield … Bullet 500.« Seine Stimme hatte diesen angenehmen weichen Klang der Südstaaten, wo man die Worte mehr sang als sprach. Der Kerl sah in seinen schmutzigen Wranglers und der abgewetzten Canvasjacke, die er trotz der Hitze trug, nicht besser aus als das Motorrad, das er fuhr. Er roch nach Benzin und frischem Schweiß, was ihn aber nicht weniger attraktiv machte.
»Und was verschlägt Mister Schweigsam in diese gottverlassene Einöde von Iowa?« Sie grinste ihn frech an. »Will er etwa Maisbauer werden?«
Er ignorierte ihre Spitze und hob seine breiten Schultern, denn ihm fiel nichts dazu ein. »Hm … Kein Maisbauer, nein … Ist eher so’n Auf-den-Spuren-der-Vergangenheit-Ding.« Er sah zu ihr auf und lächelte. »Ich bin Jason.« Er zwinkerte leicht mit dem rechten Auge, was wie ein Tick rüberkam. Jason wischte sich die öligen Finger an der alten Canvasjacke ab und streckte ihr die Hand entgegen.
Hope musste wegen der unbeholfenen Geste lachen und ergriff seine Hand. Der Händedruck war fest, aber nicht schmerzhaft. Seine Handflächen waren rau, jedoch nicht unangenehm. »Hope … Hope Burke.« Sie löste sich von ihm, nickte zum Motorrad. »Na, was ist, bekommt Kindermann die wieder flott?«
Jason lachte. »Der hat keine Ahnung von Motorrädern.« Er ging in die Hocke. »Ist was mit der Zündung, nehm ich an.«
Hope schluckte, weil seine Jacke beim Bücken nach oben rutschte und sie das Messer sah, das er am Gürtel trug. Ein Riesending in einer speckigen Lederscheide mit indianischen Mustern, mindestens dreißig Zentimeter lang.
Lang genug, um einem den Kopf damit abzuschneiden …
»Na, war jedenfalls nett, dich kennengelernt zu haben«, stammelte sie unbeholfen. Hope hatte eine rege Fantasie. In ihrem Kopf formten sich bereits Bilder dessen, was er mit einer Klinge wie dieser alles anstellen könnte.
Jason sah zu ihr auf. »Mister Kindermann meinte, er könne die Maschine hinten auf dem Gepäckträger festmachen und mich bis zu eurem Übernachtungsstopp mitnehmen …« Er griff sich in die Innentasche und entnahm ihr eine zerknautschte Zigarettenschachtel, zog mit den Fingern eine heraus, legte sie sich lässig zwischen die Lippen. Er steckte die Packung weg, ohne ihr eine anzubieten. »Hast nicht zufällig Feuer?«
»Liegt im Bus«, antwortete Hope. Jason war nett, aber sie hatte den Eindruck, dass er etwas vor ihr verbarg. Und das Messer weckte schlimme Gefühle in ihr, Vorahnungen gleich. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass er ein für ihn sehr persönliches Ziel verfolgte und dieses Wissen nicht mit ihr teilen wollte. Und da war sein Blick, den sie nicht deuten konnte.
Jeder hat ’n Ziel vor Augen, also mach dich jetzt bloß nicht lächerlich, schalt sie sich selbst. Der Typ ist süß und hier draußen alleine hätte ich auch ’n Messer dabei …
»Dann geh’n wir es holen, hm?« Jason wandte sich von ihr ab und wollte zur offenen Bustür gehen.
Hope ergriff seinen Arm. »Ähm, hallo?« Sie sah Hilfe suchend zu Schwester O’Hara, die sich mit Kindermann hinten am Bus aufhielt. Der war damit beschäftigt, den Gepäckträger nach unten zu klappen. »Schwester O’Hara? Könnten Sie bitte mal kommen?«
Die Ordensschwester sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Mit wehendem Kleid lief sie zu Hope, die Jason festhielt. »Was ist hier los?«
»Jason wollte in den Bus.« Hope versuchte, Schwester O’Haras strengen Blick standzuhalten, senkte aber ihren eigenen. »Ich dachte, das sollten Sie wissen.«
Schwester O’Hara bemaß Jason mit einem langen, eindringlichen Blick, dass Hope fast den Eindruck bekam, sie würden auf eine verborgene Weise miteinander kommunizieren. »Junger Mann, helfen Sie Mister Kindermann mit dem Motorrad?« Dann, an Hope gerichtet: »Ich denke, du kannst Mister Bullock jetzt loslassen. Es war richtig, dass du mich gerufen hast.« Dann, mit einem strengen Blick auf Jason: »Schließlich kann man heutzutage nie wissen, was sich hinter einem freundlichen Gesicht für kranke Gedanken verbergen, nicht wahr, Mister Bullock?«
»Wenn Sie das sagen, Ma’am!«
Hope ließ Jasons Arm los und sah ihm hinterher, wie er zu seinem Motorrad ging, um es zu Kindermann hinter den Bus zu schieben. »Da ist was, dass Sie wissen sollten, Schwester.«
»Und das wäre?«
»Na ja. Jason, ich meine Mister Bullock, trägt ein ziemlich langes Messer am Gürtel.« Hope druckste herum, weil sie sich albern vorkam. »Hat mir ’n bisschen Angst gemacht …«
Schwester O’Haras schlanke Finger berührten Hopes Kinn und hoben es an, damit sie ihr in die Augen sehen konnte. »Solange ich bei dir bin, brauchst du nichts zu fürchten. Denn der Herr ist an deiner Seite!«
Hope schluckte. Normalerweise hätte sie sich über einen derartigen Spruch lustig gemacht, das Gesprochene veralbert, weil sie einen feuchten Dreck auf Gott und seine Engel gab. Es war die eiskalte Härte, die in den Worten klang, der stahlharte Blick, der Angst einflößte. Nicht dass sie deswegen an Gott glaubte, denn das war ausgeschlossen. Nicht nach dem, was geschehen war. Woran sie allerdings glaubte, das war die Stärke von Schwester O’Hara. Hope war sich sicher, dass körperliche Gewalt durchaus ein Mittel war, das die Schwester zur Durchsetzung ihres Willens für legitim befand. Ihr fiel dazu ein sehr treffender Spruch aus der Bibel ein.
Den Weg verlassen bringt böse Züchtigung, und wer Zurechtweisung hasst, der muss sterben …