Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber

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Название Fritz und Alfred Rotter
Автор произведения Peter Kamber
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783894878313



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– bringen die Brüder Elektra von Sophokles auf die Bühne. Zwar gewinnen sie eine erstklassige Schauspielerin, doch es zeigt sich, dass Fritz und Alfred eigentlich auf der Flucht und die Aufführungen nur Tarnung sind: Sie pfuschen, reisen mit fast leeren Händen an. Blumenthal im Rückblick, 1918, lange nach dem Bruch: „Schaie haben in Frankfurt am Main ein Ensemblegastspiel mit Adele Sandrock in Elektra angezeigt. Unter Ensemble versteht man eine zusammen eingespielte Gemeinschaft von Künstlern. Das ‚Ensemble‘ wurde zum Teil erst in Frankfurt in letzter Minute zusammengestellt. Ergebnis: mäßige Kritik in der Frankfurter Zeitung. Bei der Abrechnung Differenzen mit Direktor Seeth. Noch heute Prozess.“ Zudem haben sich Fritz und Alfred nicht um Aufführungsrechte für die verwendete Übersetzung bemüht. Blumenthal: „Nur meine Beziehungen zur Vertriebsstelle haben eine Verfolgung wegen dieser Verletzung vermieden.“34

      Das Stück wird am 20. Juni 1915 auch in der Stadthalle von Hannover gezeigt, aber erst, nachdem es Blumenthal gelingt, einen Streit mit dem Stadtmagistrat zu schlichten – zwischen letzterem sowie Fritz und Alfred kommt es fast zu einer „handgreiflichen Auseinandersetzung“35, als dieser den Mietvertrag für die eigentlich am 9. Mai 1915 geplante Aufführung wieder rückgängig macht. Auch Blumenthal kritisiert den „Widerstand der Behörde“, merkt aber an: „Es wären indessen meines Erachtens keinerlei Schwierigkeiten entstanden, wenn sich nicht Schaie von Anfang an dort unbeliebt gemacht hätten. […] Der Hannoversche Kurier schrieb eine sehr schlechte Kritik. Auch von Seiten des Publikums sind – soweit ich mich erinnern kann – Klagen gekommen.“36

      Zu dieser Zeit sind die Brüder auch „als Alfred und Fritz Langenfeld bei der Direktion des Deutschen Theaters in Hannover tätig“, und zwar bis 15. August 1915.37 Aus Hannover geht die erste anonyme Anzeige ein, mit denen die Leipziger Akten über Fritz und Alfred Schaie am 12. August 1915 beginnen. Darin heißt es, „dass sie sich unter dem Namen Dr. Langenfeld im Deutschen Theater in Hannover aufhalten, um sich der Einberufung zum Heeresdienst zu entziehen; sie hätten sich ebenso wie Dr. Blumenthal im August vorigen Jahres freiwillig gemeldet, seien auch angenommen worden, aber teils infolge der Führung falscher Namen, des stetigen Wechsel ihres Wohnsitzes und durch die Bestechung der Feldwebel von der Einberufung verschont geblieben.“38

      Besser läuft es beim Sommergastspiel 1915 am Intimen Theater in Nürnberg, für das Blumenthal selbst die Federführung übernimmt – und sich über „restlos ungemeine Erfolge“ freut. Die Rotters setzen auf den jungen Schauspieler Hans Albers – der ihnen zunächst wenig Beifall einbringt, nach dem Krieg aber wieder bei ihnen auftreten wird. Auch Fritz behält jenen Sommer 1915 in starker Erinnerung, wie 1933 in einem Interview mit dem 8 Uhr-Blatt Nürnberg deutlich wird. „Fritz Rotter“, so schreibt der Reporter, „hat heute noch in seinem Archiv eine Kritik über Hans Albers verwahrt, der damals mit Rotter in Nürnberg weilte und ganz jämmerlich verrissen wurde“.39

      Im Oktober 1915, erneut in Frankfurt am Main, folgt ein Wagner-Abend. Aber die angezeigten Ernst Kraus und Eva von der Osten sagen ab. Auf den „erst ganz kurz vor Beginn zum Verkauf“ gebrachten Programmen werden zwar die „Namen der als Ersatz engagierten Künstler“ gedruckt, aber die Presse ist nicht informiert, und weder in der Zeitung noch „an der Tages- und Abendkasse“ wird die veränderte Besetzung angezeigt. Es gibt „polizeiliche Rückfragen, ob Kraus und Osten überhaupt verpflichtet gewesen waren“ – das trifft zu. Dennoch: „Starker Angriff der Frankfurter Zeitung. Flut von Zuschriften aus dem Publikum mit Verlangen zur Rückzahlung des Eintrittsgeldes“, so Blumenthal. Ihr Ruf ist dahin.

      Derselbe Wagner-Abend geht in Hamburg ohne Hindernisse über die Bühne. Die Rotters wohnen im Hotel Vier Jahreszeiten. Sie bleiben ungefähr vierzehn Tage, dann soll die kleine Tournee nach Dresden weiterziehen. Dort wird Fritz, von Alfred am 19. Oktober 1915 vorausgesandt, schließlich verhaftet und ins Militäruntersuchungsgefängnis gesteckt.

      Anfänglich sind Fritz und Alfred mit Julius Blumenthal gut befreundet, er weiß viel über sie und gilt ebenfalls als „unsicherer Heerespflichtiger“40. Später, nach der Trennung, gibt er sie preis. Unter Befragung des Berliner Theaterzensors Glasenapp, vermutlich im Februar 1918, sagt er aus: „Ungefähr folgendes Verfahren haben Schaie angewandt, um nicht einberufen zu werden. Sie wechselten häufig ihren Aufenthalt, nachdem sie sich wohl zuvor von Berlin abgemeldet hatten. Sobald sie im Begriff waren, abzureisen, meldeten sie sich auf dem Bezirkskommando an. Ihre Post ließen sie sich dann irgendwohin nachsenden. Dort aber – so äußerten sie – möge sie liegen. Sie sagen einfach, sie haben [den] Gestellungsbefehl nicht bekommen. So erhielt ich eines Tages einen Gestellungsbefehl für Schaie ins Feld hinausgesandt, weil sie meine Feldadresse als Nachsendungsort für ihre Post angegeben hatten.“41

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      Zirkus Sarrasani in Dresden, Postkarte von 1916

      In den Tagen unmittelbar vor und auch nach der Festnahme und militärischen Kasernierung von Fritz arbeiten sie noch einvernehmlich zu dritt – Julius Blumenthal selbst ist bis dahin der Einberufung entgangen.

      Für das „sogenannte Wagnerkonzert“ soll Fritz vor Ort in Dresden mit dem Verwalter des Zirkus Sarrasani-Gebäudes verhandeln, Johannes Winkler, Baumeister von Beruf, neununddreißig Jahre alt. Der überlässt dem Trio Schaie-Blumenthal gegen eine Pachtsumme von 1200 Mark am 31. Oktober 1915 das Gebäude des Zirkus Sarrasani für einen Abend. Gewisse Dinge machen den Verwalter aber stutzig. Sowohl Blumenthal als auch Alfred Schaie, beide kurzfristig aus Hamburg hergekommen, hätten sich für die beim Telefonamt bestellten Ferngespräche nur mit „Bl.“ für Blumenthal oder „L.“ für Langenfeld – dem damaligen Theaternamen der Brüder Schaie – angemeldet.

      In seiner Kaserne hat Fritz offensichtlich Ausgang bekommen. Verwalter Winkler: „Am 31.10. wohl schon vormittags waren Blumental und die beiden Schaie da, zuerst kam Fritz, dem ein Trainsoldat einen Karton nachtrug; Fritz Schaie sagte mir selbst, es seien seine Zivilsachen drin. Fritz übernahm die Kasse, verhing die vier Kassenfenster alle so, dass nur eine Öffnung von etwa 30 zu 20 zum Durchreichen der Billette übrig blieb; er blieb auch dabei, obwohl ich dagegen protestierte. Außerdem stand er noch auf einer Kiste, so dass man seine Brust und seinen Kopf nicht sehen konnte. Er wollte sich offenbar unsichtbar machen.“42 Winkler wird misstrauisch: „Nach meiner Überzeugung haben sie alles mögliche getan, um ihren wahren Namen zu verschleiern […].“ Weiter: „Während des Konzertes, und während sich Fritz Schaie in der Kasse befand, ging ich mit Blumenthal und Alfred Schaie im sogenannten Reitergang, der hinter dem Zuschauerraum liegt, auf und ab, und dabei frugen sie mich, ob ich wohl geneigt oder in der Lage wäre, ihnen den Zirkus auf eine längere Zeit, wohl auch bis zu einem Jahr zu fortgesetzten Aufführungen zu verpachten […].“ Mit einem solchen Pachtvertrag hätten sie allenfalls vom militärischen Dienst freigestellt werden können. „Ich antwortete ihnen, dass das vielleicht nicht ganz unmöglich sein würde, um den Angestellten Brot zu schaffen, habe aber auch gleich hinzugesetzt, dass von einem ganzen Jahr dabei keine Rede sein könne.“ Sie einigten sich auf eine vorerst sehr viel kürzere Pachtdauer: „als Endtermin war anfangs der 28.11., bei den späteren Verhandlungen der 31.12. […] in Aussicht genommen“43 worden.

      Da die musikalische Vorführung ausreichend Publikum anzieht, verhandelt Winkler weiter mit Alfred Schaie, der am 8. und 14. November 1915 erneut anreist und unter dem Namen „Rechtsanwalt Dr. Fränkel aus Hamburg“ in „Schillers Hotel“ absteigt,44 zusammen mit einer Frau. Vermutlich ist das schon seine spätere Gattin Gertrud, die Hochzeit findet knapp zwei Jahre später am 10. Juli 1917 statt. Währenddessen erlebt Fritz den Drill der militärischen Grundausbildung.

      Alfred spricht mit Winkler über Theateraufführungen, aber auch über den Plan „eines Lichtspielprogramms im Zirkus Sarrasani“ – er will Kino machen. Winkler fällt aber an Alfred unangenehm auf, dass „er mir stets seine Wohnung verheimlichte und mir auf meine Frage nach seinem Militärverhältnis stets ausweichende Antwort gab“.45 Wie Fritz zuvor gibt sich auch Alfred dem Verwalter gegenüber nur unter dem Bühnennamen Langenfeld zu erkennen.

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