Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber

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Название Fritz und Alfred Rotter
Автор произведения Peter Kamber
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783894878313



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übernehmen – während eines „Lazarett-Aufenthalts“ in der Stadt. Eine Zeitung berichtet jedenfalls anekdotenhaft, „sämtliche Sanitätsfeldwebel, Sanitätsunteroffiziere wirkten abends im Zirkus Sarrasani als Claqueure mit, wo der Lazarettkranke Sophokles-Aufführungen veranstaltete.“66

      Schon am 6. Juni 1916 wird er als „Landsturmmann“ entlassen.67 Sein Berliner Arzt ist der Ansicht, Fritz leide „seit längerer Zeit an allgemeinen, funktionell-nervösen, neurasthenischen Beschwerden, namentlich auch einer hartnäckigen Neuralgie im Gebiete der linken Oberaugenhöhlennerven (‚Neuralgia supraorbitalis‘)“.68

      Der ältere der beiden Brüder, Alfred Rotter, erkrankt im Februar 1916 wie berichtet an einem Nierenleiden; das führt schließlich zur Dienstbefreiung.69 Er ist in den späteren Erfolgsjahren öfter kränklich und leidet an chronischer Gastritis.

      Vom Militär vorläufig dispensiert, wagen sie schließlich die Rückkehr nach Berlin. Fritz Rotter wird 1917 Mitinhaber des Trianon-Theaters.70 Es befindet sich an der Georgenstraße 9, unter dem S-Bahn-Bogen am Bahnhof Friedrichstraße, ist 1902 eröffnet worden und bietet Platz für 600 Personen. Vor Kriegsausbruch bevorzugt diese Bühne „französischen Schwank und Sittendrama“71. Nun, „unter neuer, literaturbeflissener Leitung“, wird es, wie die um Neutralität bemühte Neue Zürcher Zeitung ironisch feststellt, „entgallisiert“.72 Fritz Rotter erklärt Ende 1917 in einem Lebenslauf, er wolle am Trianon-Theater „aus einer Bühne, die seit Jahren den leichtesten französischen und deutschen Schwänken diente, eine Stätte ernster Kunst […] machen“.73

      Eine enge künstlerische Beziehung verbindet Fritz und Alfred Rotter mit der damals vierundfünfzigjährigen, in den Niederlanden geborenen Starschauspielerin Adele Sandrock. Eine Zeitung schreibt später74:

      „Sie hatten inzwischen schon gelernt, dass man mit Berliner Gastspielen in der Provinz Geld machen kann, sie schleppten Adele Sandrock als Antigone [richtig: Elektra] durch halb Deutschland. In Hamburg stand auf dem Zettel: ‚An der Orgel: Edwin Fischer‘. In Wahrheit tippte Fritz Rotter auf den schwarzen Tasten disharmonische Kadenzen. Im Eisenbahnzug zwischen Hamburg und Berlin kaufte Fritz Rotter dem gerade an der Alster durchgefallenen Ludwig Fulda [1862–1939] alle Aufführungsrechte seines Lebensschülers ab; er [Fritz] dichtete den Schluss um, brachte das Stück im Trianon-Theater heraus – es ging 375-mal. Weil nämlich die Brüder Rotter jeden Sonntag die letzte Seite des ‚Weltspiegel‘ gekauft hatten, auf der sie die Bilder ihrer Stars und die wohlwollendsten Kritiken ihrer Aufführungen inserierten.“

      In der Hamburger Fassung des Lebensschülers, die am 18. Januar 1916 uraufgeführt wird, soll am Tag der Mobilmachung 1914 aus dem neuen Jahrhundert ein sogenanntes „männliches“ werden. Fritz Rotter aber scheint an Fuldas Stoff genau das nicht zu interessieren, weshalb er den letzten Akt anders ausgehen lässt. Ein „starker Erfolg mit vielen Hervorrufen“, berichtet das Berliner Tageblatt von der Berliner Premiere am 20. September 1917 im Trianon-Theater.75 Ludwig Fulda ist persönlich anwesend. Mit Sicherheit inszeniert Fritz Rotter; pro forma aber ist ein junger Schauspieler der Regisseur, der neu vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg nach Berlin gekommen ist: Kurt von Moellendorff. Im Stück spielt er die männliche Unschuld vom Lande, den jungen Dichter Gert aus dem Ferienort Leutra. Der wird von seiner Schwester nach Berlin geschleppt, worauf der heimliche Verehrer der Schwester, ein Rechtsanwalt, den jungen Mann „in die Schule des Lebens schicken“ will und an seine Ex-Geliebte Hella verkuppelt – eine „muntere, von keiner Moral schlaflos gemachte, schillernde Dame“, die der Dichter Fulda „sehr gut gesehen, sehr gewandt mit neunundneunzig reizenden Lastern und einem einzigen Sehnsuchtsblick nach Reinheit ausgestattet hat“.76 Hella nimmt es mit der Wahrheit über ihr eigenes Leben nicht so genau und belügt Gert über die eigene Biografie. Später im Stück sagt Hella: „Ich bin, was man aus mir macht. Ein Engel oder ein Teufel, je nachdem. […] Du bist meine Kreatur, ein Jüngelchen, das ich zum Mann werden ließ. […] Keine, der nicht zu meinem Sklaven würde, falls ich ihn dazu haben wollte.“77

      Just an dieser Stelle hat Ludwig Fulda in der Originalfassung mit der Mobilmachung 1914 eine Deus-ex-Machina-Lösung gesucht. Diesen pathetischen Schluss lässt Fritz Rotter weg. Keine Soldatenlieder, die vom Sammlungsplatz in Leutra dringen, keine Phrasen über den „Grabgesang einer alten Zeit, das Wiegenlied der neuen“, keine Ankündigung: „Der Tag des Weibes ist zu Ende; der Tag des Mannes steigt herauf.“ Und Gert antwortet auch nicht: „Krieg! So weiß man wenigstens, wie man mit Anstand sterben kann.“ Gestrichen die letzte Regieanweisung: „Gert vernimmt in sich selber den großen Appell. Eine merkwürdige Veränderung geht mit ihm vor. Seine Züge werden stählern; seine Glieder straffen sich.“

      Der neue Schluss Fritz Rotters lässt den Ausgang des Spiels zwischen Hella und Gerd bewusst offen. Das Berliner Tageblatt fragt sich: „Lockt Hella, die Sirene, den reinen Jüngling Gert in sein Verderben? Oder ‚wird er sich wiederfinden‘, wie jetzt das Schlusswort des Schauspiels lautet? Genau erfahren wir es nicht.“78 Die Neue Zürcher Zeitung berichtet: „In einer früheren Fassung sollte der Krieg die Erziehung des Unerfahrenen zur Männlichkeit durchführen; jetzt wird ihm das Los aufgebürdet, sich in den Lauf der Welt zu finden.“79

      Fritz Rotter entzieht sich geschickt jeder Kriegspropaganda, und bezeichnenderweise kommen die beiden Brüder ausgerechnet mit diesem Fulda-Stück in der Schlussphase des Kriegs wieder hoch. Wenn das Stück in der abgeänderten Fassung in Berlin zum Zugstück wird, nachdem es in Hamburg untergegangen ist, dann wesentlich deshalb, weil am Trianon-Theater die Geschlechterbalance und der Eros in seiner weiblichen Form eine Rettung finden. Das wird, nach den Lehrjahren mit Strindberg und der unverwüstlichen Benedix-Hochzeitsreise, zum Rotter’schen Erfolgsrezept für Berlin.

      Alles bisher Geschilderte wäre vielleicht, so gesehen, nur ein Blick zurück, eine traumartige Schlaufe der Gedanken, wie sie Fritz Rotter 1932, zurückgelehnt, gleichsam bei angehaltenem Atem, durch den Kopf gegangen sein könnten, während sein kleingewachsener Friseur, das Faktotum Archibald, ihn am späteren Morgen in der Villa in Grunewald – etwa nach einer langen Probenacht mit Fritzi Massary für Eine Frau, die weiß, was sie will – mit scharfem Messer nass rasiert …

      Wer Haare schneiden und mit der langen Klinge rasieren kann, versteht sich auf Psychologie, reagiert auf den feinsten Wink. Archibald, der diskret bleibt, weiß mit Sicherheit mehr als die Presse, kennt auch die Gespräche der beiden Brüder untereinander – das „Man würde ja gern, man könnte auch, wenn man nicht müsste, sondern dürfte“ –, je nachdem, in welcher Stimmung Menschen gern oder ungern einen ereignisreichen neuen Tag beginnen.

      Wenn hingegen Uraufführungen bevorstehen, geht der Blick in den Rasierspiegel und nicht selten in die eigene Vergangenheit. Und möglicherweise wird der belesene Fritz Rotter bei Archibald dann und wann auch an die Bemerkung eines „Buckligen“ im Roman Modeste Mignon von Honoré de Balzac gedacht haben: „Ach, was Sie für meinen Buckel halten, ist das Futteral meiner Flügel.“80

      In solchen stillen Momenten im Haus hält Gertrud Rotter, wie zu vermuten ist, in ihrem Tagebuch die laufende Chronik fest. Nur zwei Einträge sind überhaupt erhalten. Am Sonntag, 24. April 1932, schreibt sie über eine Nachmittagsprobe mit ihrem Mann: „[…] Alfred alles geändert. 5 Uhr zuhause. Tauber mitgegangen. […]. Tauber dabei bis 7 Uhr.“ Und zum Ablauf des Montags, 9. Mai 1932, notiert sie: „Zu Tisch allein. Zum Café Dénes, Barsony, Bernhardy und verschiedene Leute zum Vorsingen. Ab 6 Uhr [18 Uhr] Lessing-Theater Generalprobe, klappte noch gar nicht. Bis [0]3 Uhr geprobt. Zu Hause noch viel geredet bis [0]4 Uhr.“81

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      Ida Wüst als