Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber

Читать онлайн.
Название Fritz und Alfred Rotter
Автор произведения Peter Kamber
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783894878313



Скачать книгу

und Alfred verlassen daraufhin das Theater und verabschieden sich mit einem „sehr bitteren Brief“ an Lantz. Alfred stellt die an sein Verbleiben geknüpfte Gewährung weiterer Darlehen ein. Die neue Theaterleitung ändert den Stückplan – statt Strindberg gibt es zunächst eine „Posse“. Neun Monate später, Ende Januar 1914, kommt der Konkurs. Ein Gerichtsurteil bescheinigt Alfred, dass ihn keine Schuld trifft und er zu keinen weiteren Darlehen verpflichtet ist.22

      Zutage tritt allerdings die damals schon buchhalterische Nachlässigkeit des Bruderpaars. Die werden sie auch später nicht mehr los. Direktor Lantz als der eigentlich Verantwortliche für die Bilanzen hat sich nicht um die Buchführung gekümmert, Fritz und Alfred offenbar ebenfalls nicht – sie waren aber dazu auch nicht verpflichtet. 1913, nach dem frühzeitigen Ausscheiden des Brüderpaars, kann sich der hinzugezogene Bücherrevisor Bachmann in den Büchern „nicht zurechtfinden“ und hält fest, dass „die Bücher sehr unordentlich geführt“ sind. Lantz erklärt, „dass Schaies sich beliebige Gelder aus der Kasse genommen hätten“ – laut Vertrag gehören ihnen jedoch auch „35 Pfennig für jedes Billet“23.

      Genau an diesem Punkt werden nur wenige Jahre später, 1917 und 1918, andere Gegenspieler ansetzen. Theaterzensor Curt von Glasenapp greift gegen Ende des Ersten Weltkriegs diese Affäre wieder auf, in blinder Entschlossenheit, das Bruderpaar zur Strecke zu bringen. Sein Hauptmotiv: 1914 haben sich Fritz und Alfred nicht eben vorgedrängt, um an die Front zu kommen. Nun unternimmt Glasenapp alles, was in seiner Macht steht, um sie als angebliche „Fahnenflüchtige“ zu überführen und ihnen nachträglich – wenn nicht die Schuld an der Niederlage des Kaiserreichs – eine Mitschuld am Zusammenbruch des Deutschen Schauspielhauses anzuhängen.

      Die dazugehörige Geschichte ist die folgende: Anscheinend lassen sich Fritz und Alfred bereits kurz vor Ausbruch des Krieges vom Wehrdienst zurückstellen, vermutlich mit Hinweis auf das – wegen ihrer Theaterarbeit – unabgeschlossene Studium. Beide sind als Jurastudenten eingeschrieben. Diese Genehmigung würde durch einen Kriegsausbruch ungültig, das wissen sie.

      Später, bei seiner Festnahme 1915 in Dresden, versucht Fritz im Verhör klarzumachen, dass er lediglich noch nicht gemustert worden sei. Er habe sich am 2. August 1914 in der Polizeidirektion Charlottenburg in die „Kriegsstammrolle“ eintragen lassen, einen Tag nach der Verkündigung der allgemeinen Mobilmachung, sei aber „bei verschiedenen Regimentern in Berlin und Spandau nicht angenommen worden“, obwohl er „von einem Generalarzt für tauglich befunden“ wurde.24

      Fritz Rotter meldet sich danach als Kriegsfreiwilliger in Leipzig bei der dortigen Train-Abteilung 19. „Train“ ist der Truppenteil, der für Nachschub sorgt und nicht an Kampfhandlungen teilnimmt. Warum in Leipzig? Schon vorher haben sie – als in Leipzig Geborene – erneut ihre sächsische Staatsbürgerschaft beantragt. Fritz hat die preußische erst am 28. November 1913 bekommen; die neue sächsische Aufnahmeurkunde erhält er am 4. Juli 1914.

      Sie melden sich zum „Notexamen“ auch nicht in Berlin an, sondern in Naumburg – für den 4. September 1914. Jura studieren sie ohnehin „so nebenher“, wie sie später dem Neuen Wiener Journal erzählen – „mit dem Erfolg, dass der Bruder Fritz, am Vorabend seines Referendarexamens von Alfred über die Grundbegriffe des römischen Rechts befragt, nur mit tragischem Schweigen antworten kann. Zähneklappernd steht Fritz Rotter am anderen Morgen vor dem examinierenden alten Staatsrechtler Loehning im Prüfungssaal des Naumburger Oberlandesgerichts. Aber der fragt nicht nach römischem Recht, sondern redet den Kandidaten an: ‚Nehmen Sie einmal an, Sie wären Theaterdirektor und ich kaufe an Ihrer Kasse einen Parkettplatz. Welches juristische Verhältnis entsteht da?‘ Da ist Fritz Rotter gleich im Bilde. Er besteht das Examen mit Prädikat. Hinterher fragt er den Professor, ob er denn gewusst habe, was für ein Theaterhase er sei? Dass er gerade diese Frage gegen ihn gezückt habe? Der Alte schüttelt den Kopf, die Frage sei reiner Zufall gewesen. Aber dieser Zufall ist ebenso schicksalsbestimmend wie einst das unerwartete Wohlwollen Otto Brahms.“25 Auch Alfred besteht.

      Wegen des Examens sind sie bis zum 1. Oktober 1914 vom Militärdienst befreit. Dann gewährt man ihnen einen weiteren Aufschub, weil sie sich entschließen, so Fritz später, „zunächst unsere Doktor-Arbeit zu machen und nicht sofort bei einem Gericht als Referendar einzutreten“. Als sie eine Aufforderung erhalten, sich in Charlottenburg zur Musterung einzufinden, verweisen sie darauf, dass sie bereits in Sachsen, genauer in Leipzig, als Kriegsfreiwillige angenommen worden seien.

      Bis 1915 bleiben sie unbehelligt. Sie wohnen bis Ende Dezember 1914 in der Germania Pension in Leipzig „unter unserem richtigen Namen Schaie“, wie Fritz später angibt. Die Leipziger Polizei hat sie zwar vorgeladen und ihre Militärpapiere sehen wollen – doch sie weisen Bescheinigungen vor, wonach Alfred bei einem Regiment in Dresden bis Oktober 1915 als „überzählig“ zurückgestellt und Fritz in Berlin in der Stammrolle eingetragen sei.

      Dann ziehen sie um in die Leipziger Pension Müller in der Gottschedstraße 22, wo sie bis Juni 1915 unter ihrem Familiennamen gemeldet sind. Die Miete wird durch Eilboten geschickt, „der Bote aber gibt keine Auskunft“, wo sie sich aufhalten. Die Inhaberin der Pension, Martha Glöck: „Die ersten 3 Monate sind sie immer spät nachts in die Wohnung gekommen und haben dann bis Mittag geschlafen. Sie sind dann stets ausgegangen. Was sie da getrieben haben, weiß ich nicht.“26 Nur für einen Monat, im Juli 1915, wechseln sie in die Pension Waldenberger. Der Inhaberin teilen sie mit, sie würden täglich „ihre Einberufung erwarten“27. Und sie wollen nicht polizeilich angemeldet werden. Darauf lässt sich die Wirtin nicht ein, sie gibt zu Protokoll: „Später haben sie in Hannover im Hotel Herzog Ernst und in Harzburg im Hotel Continental gewohnt, wohin ich ihnen die Postsachen nachgesandt habe.“28

      Fritz Rotter beteuert später im Verhör: „Von den Kontrollversammlungen im April und Oktober 1915 haben wir keine Kenntnis gehabt. Wir haben die Anschläge nicht gelesen, auch nicht gesehen.“ Es wird ihm vorgehalten, dass das wenig glaubhaft sei, aber Fritz bleibt dabei: „Ich habe sehr viel zu tun gehabt und mich nicht viel auf den Straßen aufgehalten.“29

      In Dresden werden Akten angelegt. Darin heißt es unter anderem: „Fritz Schaie wird dauernd gesucht“ und „Die Schaie sollen große Gauner sein“.30 Fritz wird am Morgen des 19. Oktober 1915 im Dresdener Hotel Exzelsior von einem Kriminalbeamten verhaftet und sein Bruder Alfred auf die Liste derjenigen gesetzt, über die es heißt: „Entziehen sich ihrer Militärpflicht. Dem nächsten Bezirkskommando zur Musterung als Heeresunsichere zuzuführen.“31 Nach eigener Aussage wird Fritz zuerst zur Polizei gebracht, dann militärisch eingezogen. Am 20. Oktober 1915 kommt er als „ungedienter Landsturmmann“ zum „12. Train-Ersatz-Bat. 2. Abt. 2. Eskadron, Dresden“. Er bleibt auf freiem Fuß, wird aber in Uniform gesteckt und kaserniert. Eine kriegsgerichtliche Untersuchung beginnt.

      Ein knappes Jahr zuvor sind sie stille Teilhaber des Lessing-Verlags geworden, den ihr Geschäftsfreund Dr. Julius Blumenthal32 im November 1914 in Leipzig gründet. Für diese neue Tätigkeit haben sie sich den Namen Langenfeld zugelegt. Sie sollen auch mit Musiknoten gehandelt haben – einem späteren Gegner zufolge „mit den Noten von Kriegsliedern“. Das Dienstmädchen der Familie Blumenthal kennt nur ihr Pseudonym: „Wie ich ab und zu sah, arbeiteten sie Programme aus zu einem zu veranstaltenden Künstlerkonzert. Zwei derartige Konzerte haben sie auch im städtischen Kaufhaus und im Zentraltheater gegeben. Mir waren die Gebrüder Schaie nur unter diesem Namen bekannt. Es kamen aber öfters Leute, bevor die Konzerte gegeben wurden, und frugen [fragten] nach Gebrüder Langenfeld. In der ersten Zeit schickte ich die betreffenden Leute wieder fort, weil mir die Gebrüder Langenfeld nicht bekannt waren. Später erfuhr ich aber, dass die Gebrüder Schaie den Künstlernamen Langenfeld führten.“33

      Fritz und Alfred Schaie besitzen eine „schriftliche Generalvollmacht“ und die Befugnis, die Firma zu vertreten. Doch der zweiundzwanzigjährige Blumenthal betrachtet sich als „alleinigen Inhaber“ des nach Lessing