Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber

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Название Fritz und Alfred Rotter
Автор произведения Peter Kamber
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783894878313



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Kunst- und Wissenschaftshäuptern ausbeuten und managen zu lassen.“72

      Das Mittel im Stück heißt „Mirakulin“, der neue Kunststil „Kompressionismus“. Die Zeitungskritik wendet Fuldas Spott über das „Unwesen der Reklame“ und die „Kritiklosigkeit, mit der das Publikum irgendeinem gut inszenierten Bluff erliegt“, aber sofort gegen die Rotters selbst: Der Autor Ludwig Fulda habe „vielleicht kaum bedacht“, dass „die Direktion den freundlichen Erfolg seines Lustspiels gewisslich mit ihrem bewährten System binnen kurzem zu einem sensationellen hinaufloben wird […], als er sein Stück schrieb und es einer von den Gebrüdern Rotter geleiteten Bühne überließ.“

      Die Rotters halten Fulda die Treue. Emil Faktor vom Börsen-Courier meint hingegen nur herablassend: „Schade um Ludwig Fulda! Ich bin sein Feind nicht. […] Ich kenne außerdem ziemlich viele Stücke von ihm und begegne ihm nicht selten in der Untergrundbahn. Wenn ich dann sein stets verdrossenes Gesicht sehe, will mir bedünken, dass die Welt an ihm viel gesündigt hat, indem sie ihm eine Zeit lang Dichtertum einredete.“73 Inspirierter über Das Wundermittel äußerte sich der Stilist der damaligen Kritiker-Zunft, Alfred Kerr: „Doch wenigstens die Luft ist reinlich – es riecht nicht schlecht. […] Das Stück ist harmlos; nicht ganz echt. Doch wie gesagt, es riecht nicht schlecht.“74

      Auch Eduard Stucken wird Hausautor der Rotters. Nach Myrrha inszeniert Fritz von ihm Die Gesellschaft des Abbé Chateauneuf.75 Uraufführung ist am 10. Februar 1921. Es ist die Geschichte einer Frau, die „auch noch nach ihrem Tode durch die Hand vieler Männer gegangen ist, die dann Romane, Dramen und sogar Opern mit ihr zeugten“: „Als sie lebte, hatte sie mit einem Marquis einen Sohn […]. Dieser junge Mann verliebte sich, wie man weiß, in die unbekannte Mutter. Er kam nicht, wie Ödipus, dazu, sie zu heiraten. Als er erfuhr, dass es das Fräulein Mama war, das er anbetete, erschoss er sich. […] Ihr verliebtes Söhnchen war Hans Brockmann. Es ist eine zuckerige Rolle; der Schauspieler ließ sich tenorsäuselnd nicht entgehen, sie noch in Schmalz zu backen und Saccharin darüberzustreuen. Festessen für kleine Mädchen“, so das Berliner Tageblatt.76 „Welch wunderlicher Mensch und Poet, dieser junge Eduard Stucken!“, ruft Franz Servaes im Lokal-Anzeiger nicht ohne Bewunderung. „Mit jedem Stoffe, den er aufgreift, scheint er selbst sich zu verwandeln.“ Andere Zeitungen spotten: „Rotters sind zum Kostüm übergegangen“ – „Barock. Ringellocken. Spitzenkragen; galante Abbés, frivole Chevaliers, geistvolle Marquisen; roter Samt, matte Seide, und immerzu Esprit“.77 Auch Herbert Jhering ist unerbittlich: „In der Tat reichen die ungeprägten Weisheiten, die hier […] ausgetauscht werden, für zehn Rotter-Inszenierungen. In der Tat reichen die unformulierten Witze, die sich hier als Esprit ausgeben, für das Residenz-, das Trianon- und das Kleine Theater zusammen. In der Tat genügt die süßliche Tragik für das Sentimentalitätsbedürfnis einer ganzen Saison.“78

      Danach arbeitet Fritz Rotter nie wieder als Regisseur.

      Doch anders, als die Theaterkritik es wahrnimmt, sind diese frivolen Salonstücke um Frauen, die den gesellschaftlichen Konventionen den Rücken kehren, nicht lediglich ein Merkmal für das starke Zerstreuungsbedürfnis der unruhigen, schwierigen Zeit nach Ende des Ersten Weltkrieges und während der Inflation, sondern spiegeln die Suche nach einem neuen Selbstbild von Frau und Mann.

      Die neuen Komödien der Inflationszeit sind gesellschaftliches Traummaterial und offenbaren – so wie später das Operettenfieber in den Jahren der Weltwirtschaftskrise – tiefere Sehnsüchte. In beiden tragischen Phasen der Weimarer Republik geben die Rotterbühnen kulturell mit den Ton an. Die Rotters enthüllen ein Stück Berliner Befindlichkeit. In ihrem Leben und in ihren Aufführungen verkörpert sich ein besonderes Zeitbild der deutschen Hauptstadt zwischen den beiden Weltkriegen.

      Allerdings ist es nur eines neben anderen Bildern. Trude Hesterberg erinnert sich:

      „Wenn man an die Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg zurückdenkt, so kann man sie nur mit einem höllischen Spuk vergleichen. Alles fiel auseinander, was früher Gültigkeit besaß. An jeder Ecke standen die Opfer des verlorenen Krieges. Zerlumpt und auf Krücken oder ohne Beine auf der Erde hockend, hielten sie ihre alten, zerschlissenen Soldatenmützen auf. Was sollte man hineintun? Fünfhundert, tausend, eine Million? Am Tag darauf war das so viel wert wie ein Pfennig! Bettelnd standen diese Menschen mit ihren ausgehungerten Kindern an den Ausgängen der Bars und der Tanzdielen, die wie giftige Pilze aus dem Boden schossen. Alles wurde kürzer, die Haare, die Kleider, die Liebe, der Schlaf! Das Leben spielte sich ab, wenn es dunkel wurde. Der bunte Flittermantel der Nacht deckte die grausamen Blößen des Tages zu.“79

      Wie ein Sinnbild für diese Zeit steht die Aufführung des bereits älteren Lustspiels Nur ein Traum von Lothar Schmidt, das Eugen Burg am 22. April 1921 für die Rotters am Kleinen Theater Unter den Linden neu inszeniert und in dem eine Frau ihre Nacht mit einem anderen Mann nachträglich dem eigenen Gatten „so darstellt, als wäre sie wirklich nur ein Traum gewesen“. Der Börsen-Courier beobachtet, dass die „Flut der ‚feineren Lustspiele‘ steigt. Vielleicht wird sie uns, über Jahr und Tag, verschlungen haben. Der Bedarf meldet sich allerorten.80

      Alfred Kerr schreibt dazu im Rätselstil scherzend und in Klammern gesetzt: „Ein Berliner würde sagten: die Möchte ist heut noch stärker als die Kannste.“81

      Zugkräftige Stücke schicken die Rotters wie schon in den Tingeltangel-Jahren während des Ersten Weltkriegs gleich auf Gastspieltournee. So erreichen sie ein Publikum in der ganzen Republik. Als sie im Oktober 1921 in Hannover Arthur Schnitzlers Reigen im dortigen Residenz-Theater zeigen, kommt es jedoch zum Skandal. Das Stück „erregt allgemein Anstoß“: „Es werden Protestkundgebungen vor dem Opernhause und in der Marktstr[aße] vor dem Theatergebäude veranstaltet, der Verband der Bürger-Vereine protestiert gegen die Verschmutzung des hannover[schen] Theaters durch derartige unsittliche Stücke. 37 andere Vereine, Verbände und Ausschüsse verlangen polizeiliches Einschreiten.“ Der Direktor des Residenz-Theaters in Hannover beugt sich dem Druck und löst „bald hernach die geschäftliche Verbindung mit der Rotter-Bühne.“82

      Fritz und Alfred Rotter einigen sich hierauf mit dem Eigentümer des etwas kleineren Deutschen Theaters Hannover und zeigen von nun an ihre laufenden Neuheiten dort, zuletzt 1924 sogar unter dem Direktionsnamen Vereinigte Rotterbühnen Berlin-Hannover. Da Gertrud Rotter, genannt Trude, die Gattin von Alfred, aus Hannover ist, fühlen sie sich dieser Stadt verbunden.

      So stark der Zustrom des Publikums, so heftig bleibt die Ablehnung der gehobenen Berliner Theaterkritik gegen die Rotters. Die Abwehr ihrer psychologischen Stücke, welche durchgängig die Geschlechterrollen thematisieren, ist direkt auffällig und richtet sich indirekt gegen Wien. Herbert Jhering ist überzeugt, aus Wien hätten „die Rotters den Gemütsspeck auch nach Berlin geschmuggelt“. In Wien erfolge die „Auflösung szenischer Widerstände durch seelische Prostitution“ und das „Gefühl selbst“ werde „Trick und Kulisse“. In Berlin aber gelte es, „Effekt und Kunst zu scheiden“: „Dass man in Wien die Gemütsstimmung, in die das Publikum durch das Sensationsstück geraten will, gleich mitspielt, ist der Unterschied gegen Berlin.“83 Gewiss, Jhering schätzt den Wiener Arthur Schnitzler, insbesondere dessen Reigen, weil da die „Dialoge aus diesem erotischen Nervengefühl geboren sind, das nur noch um einen Grad sublimiert zu werden brauchte, um Klang und Ton zu werden“ – dieses Drama werde „in der deutschen erotischen Literatur, die arm ist, bleiben“.84

      Jhering meint in einem Rundfunkvortrag von 1931 zugespitzt, Schnitzlers Stücke geben aber „das Weltbild der Vorkriegszeit“ wieder, und „nach dem Zusammenbruch einer ganzen Welt“ könne „an dieses Bild nicht wieder angeknüpft werden“, es gebe kein Zurück zu diesen „psychologischen Stücken oder vielmehr zu der von ihnen geforderten psychologischen Darstellungsweise“.85

      Wie viel verdrängte Vorkriegszeit in den Zwanzigerjahren noch immer vorhanden