Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber

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Название Fritz und Alfred Rotter
Автор произведения Peter Kamber
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783894878313



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der Kritik im Residenz-Theater statt.25

      Der früh verstorbene Straßburger Goethe-Zeitgenosse Heinrich Leopold Wagner (1747–1779) hat sein Stück 1776 als ein Trauerspiel verfasst, das im Bordell beginnt und mit der Tötung des unehelichen Kindes durch Evchen endet. Dann schrieb er es um – die Bordell-Szene strich er und ersetzte den Kindsmord durch die Reue des Verführers und eine Hochzeit. Fritz Rotter verknüpft beide Fassungen und behält trotz der Verführungsszene – Evchen wird ins Bordell gelockt – das Happy End. Das Berliner Tageblatt meint ironisch, „die Regie“ mache „wunderliche Dinge: eine Ausstattung, die höchst elegant und höchst undenkbar ist; eine freche Kellnerin [gespielt von Olga Limburg] mit dem lieben Namen Mariannel wird in eine Kostümballkokotte verkleidet, natürlich halbnackt. […] Kät[h]e Dorsch, das arme Evchen, gibt dem brüchigen Abend den Zusammenhalt. […] Der Beifall, zuerst nur von der Claque besorgt, wurde dann stark.“26

      Jedenfalls bringt die Aufführung Käthe Dorsch den Durchbruch als Schauspielerin. Vorher ist sie in Operetten aufgetreten. Auch im Porträt von Käthe Dorsch aus dem Jahr 1949 im Magazin Der Spiegel heißt es: „Ihr Schauspiel-Debüt als tragisches Evchen Humbrecht wurde ein Riesenerfolg“.27

      Zunächst aber läuft ein Teil der damaligen Presse Sturm. Teils wegen Olga Limburg in ihrer Kellnerinnen-Rolle – vielleicht das früheste Beispiel für die Übertragung von Varieté und Cabaret aufs Theater in Berlin –, teils weil inzwischen bekannt ist, dass die Rotters anstreben, mit dem Lessing-Theater ein drittes Haus zu bespielen. Die Vossische Zeitung gibt sich entrüstet:

      „Schlimm ist, was die Regie ihrem Dichter raubt. Unerhört aber, was sie hinzufügt. Denn zur Aufmunterung lässt der Trust Rotter Brothers an pikanten Stellen ganze Dialoge im Berliner Schieberjargon einfügen! […] Eine Direktion, die nur mit dem Scheckbuch Regie zu führen weiß, kann gewiss gute Kräfte engagieren: […] Kät[h]e Dorsch als ein anmutiges Evchen ohne falsche Töne. […] Die Reklamepauke knallt über Berlin hin […]. Bereits das dritte Theater ist vom Trust bedroht. Die Brandgefahr ist ernst. So lasst uns zur Feuerspritze greifen!“28

      Die zwei Versionen von Wagner „vermanschen“ zu wollen, beschert den Rotters auch in der Weltbühne bitteren Spott. Herausgeber Siegfried Jacobsohn schreibt: „Heinrich Leopold Wagner wird von den beiden Bindelbands [den Rotters] auf ihr Residenz-Theater gebracht. Die erste Fassung seiner Kindermörderin beginnt in einem Bordell, die zweite endet vergnüglich. Wie gut muss erst Rollmops mit Schokoladensauce sein!“29

      Die Rotters schicken die Aufführung später auf eine monatelange Tournee, auch nach Hannover, wo sie im Mellini-Theater gastiert.30

      Es sei die „brutale Geschichte von einem jungen, verliebten Bürgerkinde, das […] nach einem Ball von einem gewissenlosen Elegant ins Bordell verschleppt wird, ein Kind empfängt“, heißt es in der hannoverschen Kritik. Fritz Rotter habe unter dem Pseudonym Eugen Rinteln das Stück bearbeitet, der Name Rinteln sei auf dem Theaterzettel „dicker gedruckt“ als der von Leopold Wagner: „Ihr Klassiker, merkt’s euch! Rette sich, wer kann!“, setzt man in Klammern hinzu.31

      Am 28. Januar 1920 inszeniert Fritz Rotter im Trianon-Theater das Stück Femina. Ein psychoanalytisches Lustspiel von den zwei niederländischen Autoren C. P. van Rossem und J. F. Soesman. Wenig bereit, sich auf Femina und herrschende Geschlechtermuster einzulassen, zeigt sich das Berliner Tageblatt. „Die Geschichte ist von A bis Z unwahr, und jede Szene ist ein Schlag mit gepuderter Hand ins Gesicht der Wirklichkeit. Es sind nur die alten Rollenkleiderstöcke, mit neuem, scheinbar neuem Flitter behängt. Der schüchterne Liebhaber: ein Professor; der Bonvivant: ein zuletzt enttäuschter Lebemann; zwischen beiden, äußerst aktiv, die Salondame, die höchst promenadenlustspielhaft, d. h. höchst unmöglicherweise den Tölpel von Professor liebt.“32 Eine andere Zeitung spricht von einer „höchst harmlosen Verspottung, die weder Freud noch seinen Schülern schlaflose Nächte bereiten wird!“.33 Nur die BZ am Mittag lobt diese Komödie über eine „Simulantin“: „der Dialog“ fließe „so natürlich dahin, gibt soviel lustige, nicht allzu scharf gespickte Pointen, verbreitet eine so gesunde Behaglichkeit, dass man ihn sich höchstens im letzten Akt gelegentlich kürzer wünscht“.

      Der Kritiker des Berliner Börsen-Couriers, Herbert Jhering, der sich fortan an den Rotters festbeißt, weil er ein strenges zeitgenössisches Theater fordert (und später Bertolt Brecht unterstützt), spricht erstmals vom umgehenden „Rottergeist“. „Den Situationswitz bestreitet ein Nervenarzt, der die Frau wissenschaftlich, aber nicht praktisch kennt“, so Jhering.

      Die Differenz in der Wahrnehmung von Frauen und Männern erscheint als das ständig wiederkehrende Thema Fritz Rotters. Doch Jhering sieht in dem Stück nur ein Beispiel für „feixenden, satten, trägen Humor“: „Fritz Rotter erweckte als Regisseur dieselbe Sehnsucht nach Alfred, die man nach Fritz hat, wenn Alfred Regie führt. Die Aufführung schmeckte nach saccharinsüßem Leim. Frl. Arnstädt macht Grüßchen und Mündchen. Sie schlug Lachroller und flötete. Sie warf Äugelchen und Händchen. (Man erwartete immer, dass Babychen das Fingerchen in den Mund stecken würde.) Auch Eugen Burg ist schon verrottert. Seine Sätze sind geölt, seine Bewegungen geschmiert.34

      Dann ist Alfred wieder am Zug. Im Residenz-Theater inszeniert er am 4. März 1920 Die Raschoffs von Hermann Sudermann, ein Stück, das erst am 18. Oktober 1919 in Königsberg uraufgeführt worden ist. „Rotters lieben nicht die tragischen Ausklänge“, schrieb der Theaterkritiker der BZ nach der Premiere. Auf ihre dringende Bitte hin hat der Autor das blutige Ende des Vater-Sohn-Konflikts weggelassen – stattdessen zieht sich die von beiden geliebte Frau zurück, um die sich der Streit drehte und über die es in jener Kritik heißt: „Trägt sündhaft elegante Toiletten; zeigt die Beine, ist überhaupt das personifizierte Berliner Sündenbabel […]“. „Es war eine Glanzpremiere; direkt ‚gesellschaftlich‘; Parkett 1a; Ministerloge […]. Beifallsstürme. Was sag’ ich, Stürme? Orkane.“ So derselbe Kritiker.

      Der Börsen-Courier bemerkt mit vergiftetem Lob, es lasse sich „immerhin bewundern“, „wie so ein Nudelteig, der jede Sekunde abzureißen droht, sich trotzdem in die Länge ziehen lässt“.35 Jhering kommt Monate später nochmals auf die Inszenierung zurück und moniert, „mit welch knalliger Aufdringlichkeit“ Olga Limburg in Sudermanns Raschoffs „eine Dirne spielte“.36

      In der Regie von Fritz Rotter folgt im Trianon-Theater ein weiteres Stück über schwierige Liebe: das aus dem Jahr 1906 stammende Drama Myrrha von Eduard Stucken – über eine Frau, die in eine „Nervenanstalt“ kommt und in dieser Zeit von ihrem Ehemann betrogen wird; bei ihrer Rückkehr lebt er mit seiner Cousine, die von Käthe Dorsch gespielt wird, und die beiden haben ein Kind.37 Das Schauspiel ist Fritz vertraut, er hat es bereits als Student auf der Akademischen Bühne gegeben.38

      Herbert Jhering geißelt das Stück. Es „beginnt als bürgerliches Ehedrama, wird dann zum symbolisch gesteigerten Mysterium und endet als Kolportageroman“: der Dramatiker Eduard Stucken habe „mit jeder Person ein neues Drama“ begonnen, „er wechselt auch die Ebenen, auf denen sich die Konflikte austragen“. „Ein anderer Regisseur als Fritz Rotter hätte hier versagen müssen. Dieser beherrschte den Zuschauerraum (…).“ Das ist ein ironisches Lob bei Jhering, wegen der Claquetruppe für den Applaus bei den Rotter-Premieren. Doch Käthe Dorsch „überzeugte“, findet er.39

      Auch andere Zeitungen heben Käthe Dorsch hervor: „Kät[h]e Dorsch wird morgen wieder Operette trällern. Hier, als Cousine, ist sie von ernstester Bescheidenheit, theaterfern, kunstnah, von dem heiligen Wesen schlichter Gestaltung erfüllt. Eine Zukunft, wenn sie selbst sie nicht zerstört.“40 Und der Lokal-Anzeiger lobt: „Über diesem Abend schwebte – wundersam es zu melden – der Geist Otto Brahms. In vergangene, vom heutigen raschlebigen Geschlecht wohl zum Teil bereits entschwundene Zeiten durfte man sich manchmal zurückversetzt wähnen. Leise, gedämpfte Stimmungen, verhaltene Töne, in zartem Grau verfließende Schattierungen, nur im letzten Akt gab es, sorglich vorbereitet, und in weisen Steigerungen herbeigeführt,