Название | Die Leben des Gaston Chevalier |
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Автор произведения | André David Winter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783906907475 |
André David Winter
Die Leben des Gaston Chevalier
Roman
»Lange lernen wir an fremden Leben, irgendwann am eigenen.«
René David
Pour ma femme et mes enfants.
Inhalt
I
Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet. Nachmittags flirrte die Luft in der Hitze. Über der Kirchturmspitze von Goussainville türmten sich schwere Gewitterwolken. Nur wenige Menschen bewegten sich, langsam. Die meisten standen unter der Platane auf der Place Hyacinthe, einige im Schatten der Markise des Café du Paradis. Der Einzige, der nicht zum Schlangenmensch hinüberlinste, war der Kolonialwarenhändler. Ungewöhnlich eilig trug er seine Waren nach drinnen, sein Sohn kurbelte das Sonnendach hoch. Ein paar Kinder saßen auf dem Randstein in der prallen Sonne, andere lehnten an Laternenpfählen. Sie fächelten sich mit Blättern Kühlung zu, die Männer mit Hüten, die Frauen mit Tüchlein. Zwei Fräuleins beschatteten ihre Gesichter mit Sonnenschirmen aus Seide. Die Glocke von Saint-Pierre-et-Saint-Paul schlug fünf, als erste Tropfen fielen.
»Enfin …«, hörte man den Wirt des Cafés sagen. Er nahm seine Brille ab und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß vom Gesicht.
Yves Chevalier, der Kopffüßer – »artiste et céphalopode« stand auf dem Plakat –, hüpfte auf einer Hand, einen Ball auf seinen Füßen drehend, als der erste Donner durchs Val-d’Oise rollte. Gleich darauf ließ ein fürchterlicher Knall den Boden erzittern, als wäre eine der schweren Wolken heruntergefallen. Die Gläser auf den Tischen des Cafés klirrten. Ein Blitz zerriss den Himmel, schwere Tropfen prasselten auf die Blätter der Platane, auf die Markise des Cafés. Der Schlangenmensch sprang auf seine Beine und floh mit den anderen unter den Schutz. Ein Windstoß fuhr darunter und zerriss das Sonnendach, in Sekunden waren alle nass.
Yves Chevalier wand sich an feuchten Körpern vorbei ins Innere des Cafés. Jemand streckte ihm ein Glas Gros rouge, dem billigen Rotwein, hin. Merde, fluchte er und leerte das Glas in einem Zug. Wochenlang hatte dieser verwünschte Regen gewartet. Warum musste er gerade jetzt, bevor er das Geld eingesammelt hatte, losbrechen. Bald würden drei Mäuler zu stopfen sein. Albertine würde heulen, wenn er mit leeren Taschen nach Hause käme. Er drängte wieder nach draußen.
Noch einmal fuhr der Wind in die zerfetzte Markise. Gläser fielen auf den Gehsteig und zerbrachen. Ein Seidenschirm flog durch die Luft. Chevalier und der Wirt sahen die beiden zitternden Fräuleins unter der Platane stehen. Der Wirt rannte los, seine Brillengläser beschlugen augenblicklich. Bevor er den Baum erreichte, überholte Yves Chevalier ihn. Obwohl Yves klein war, packte er die beiden Frauen mit erstaunlicher Kraft und zog sie in den Schutz des Cafés. Nur kurze Zeit später schlug der Blitz in die Platane ein. Die Tropfen wurden zu Hagelkörnern, groß wie Taubeneier.
»Bravo«, riefen alle, die es gesehen hatten. Yves Chevalier zog seinen Zylinder, verneigte sich und hielt ihn dem Nächstbesten hin. Die Sous und Centimes klimperten nur so in den zerbeulten Hut. Die Fräuleins legten zwei Scheine hinein.
So plötzlich, wie er gekommen war, hörte der Hagel auf. Bald regnete es auch nicht mehr. Eigentlich wäre es für Yves Zeit, sich auf den Weg zu machen. Bis ins Quartier du Petit-Montrouge waren es ein paar Stunden zu Fuß. Vielleicht lag Albertine schon in den Wehen.
Die Ältere der beiden Fräuleins verabschiedete sich. Auf dem Schoß der Jüngeren vergaß Yves Chevalier die Zeit, seine Frau, ihre besonderen Umstände, alles. Zudem tat der Gros rouge seine Wirkung, schon bald schmiegte das Mädchen sich an ihn wie ein Kätzchen. Verliebt schaute sie ihm in die Augen:
»Ist alles an dir so winzig?«
»Lass uns nachschauen.«
Als Yves Chevalier endlich im Petit-Montrouge anlangte, lag seine Frau schon in den Wehen und schrie ihn an:
»Hol endlich die verfluchte Hebamme.«
Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn, ihr Gesicht war schneeweiß. Er schaute sie verdutzt an, seine sonst so flinken Hände hingen hilflos herab.
»Geh, so geh doch endlich«, schrie sie ihn nochmals an.
Yves rannte los. Doch die Hebamme war außer Haus, bei einer Gebärenden in der Rue Didot. Als er dort ankam, war sie bereits wieder weg.
»Wissen Sie, wo sie ist«, fragte er den frisch gebackenen Vater.
Der zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Sie sagte nur, nach dieser Plackerei brauche sie einen Schluck.«
Daraufhin suchte Chevalier sie in jeder Kneipe im vierzehnten Arrondissement. Sie war nirgends zu finden. Aber alle, die er auf die Hebamme ansprach, spendierten ihm ein Glas.
»Auf die Vaterschaft, copain!«
Bis er die Vaterschaft vergaß.
Eine