Название | Geisterfahrten |
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Автор произведения | Theres Roth-Hunkeler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783906907451 |
Zeig mir bitte die Übungen, fordere ich ihn auf. Jetzt lacht er und sagt: Gut, wenn du unbedingt einem Alten beim Turnen zuschauen willst. Ich werde gleich mal mit dem schwierigsten beginnen.
Bitte nicht, du musst dich doch zuerst ein wenig aufwärmen. Stern aber schüttelt den Kopf, steht langsam auf, schiebt einen Stuhl zur Seite, geht in die Mitte des Raumes, schaut mich an, lächelt.
Die Schwalbe, sagt er, mal schauen, ob ich sie noch hinkriege. Er breitet die Arme waagrecht aus, verlagert sein Gewicht auf das linke Bein und hebt das rechte langsam hoch. Tatsächlich versucht er sich an der Standwaage. Und scheitert. Er stürzt mit Gepolter. Ich erstarre. Dann springe ich auf, beuge mich über ihn, der aufzustehen versucht, es aber nicht schafft.
Warte, ich hole Hilfe. Nur wo, nur wie, durchfährt es mich, als ich kopflos die Treppe hinunterrenne und die Haustüre aufreiße. Da steht doch tatsächlich ein Mann auf dem Vorplatz und betrachtet Ruths Ferienhaus. Er späht es nicht aus, ist nicht bestrebt, um jeden Preis einen Blick in einen der Innenräume zu erhaschen, sondern er steht ruhig da und lässt das gemauerte Gebäude auf sich wirken. Ich kann ihn gut verstehen, denn dieses Haus wirkt auf manche Passanten anziehend in seinen harmonischen Dimensionen und seinem zurückhaltendem Gelb. Und auch ich habe die Angewohnheit, auf Spaziergängen durch die Dörfer oft stehen zu bleiben, Häuser zu betrachten und sie auf mich wirken zu lassen.
Nun aber stürme ich aus diesem gelben Haus direkt auf den Mann zu, der ganz versunken scheint in seinem Anblick und mich überrascht, fast erschrocken anschaut, als ich rufe: Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir vielleicht helfen? Als er nicht antwortet, stelle ich ihm dieselbe Frage auf Italienisch und dabei wird mir klar, dass es sich bei ihm um den Mann handelt, der mir vorgestern beim Abendessen im Garten des Albergo aufgefallen war.
Guten Tag, sagt er nun, ich spreche Deutsch. Wie soll ich Ihnen denn helfen?
Guten Tag, sage auch ich nun, bitte entschuldigen Sie, ich bin Lisa Hauser, und eben ist ein älterer Mann hier im Haus gestürzt und ich schaffe es nicht allein, ihm wieder auf die Beine zu helfen. Als der Fremde noch immer schweigt, erkläre ich: Wir sind im Urlaub, er und ich, eine Freundin hat uns dieses Haus für ein paar Tage überlassen, wir kennen niemanden hier. Nun lächelt der Fremde, streckt mir seine Hand entgegen und stellte sich vor: Erik Sanders, auch im Urlaub, ich logiere im Albergo, wir haben uns doch neulich dort gesehen, nicht?
Ich nicke, wahrscheinlich erröte ich. Er befinde sich auf einem morgendlichen Dorfrundgang, aber klar helfe er mir, fährt er fort und macht einen Schritt auf mich zu. Ich lächle diesen Erik Sanders erleichtert an, bedanke mich, bitte ihn, mir zu folgen und eile voraus, trete ins Haus, steige die Steintreppe hoch und gehe direkt ins Wohnzimmer, wo Stern noch immer am Boden liegt. Er hat sich auf den Rücken gedreht und versucht immer wieder, hochzukommen, mit schmerzverzerrtem Gesicht, aber es gelingt ihm nicht.
Ich habe Hilfe geholt, sage ich zu ihm, und schon beugt sich dieser mir völlig unbekannte Helfer über ihn und fragt, wo er Schmerzen habe. Mein Bruder schweigt.
Wo tut es dir am meisten weh?, fasse ich nach. Stern schüttelt bloß den Kopf und streckt uns beide Hände entgegen. Dieser Sanders kniet nun neben meinem Bruder, ich tue es ihm auf der anderen Seite gleich, und er sagt zu Stern: Wir werden nun versuchen, Sie aufzurichten, um zu überprüfen, ob Sie sitzen können. Stern schaut mich ängstlich an, deutet aber ein Nicken an. Also fassen wir ihn vorsichtig unter und richten ihn mit ein wenig Hilfe seinerseits langsam auf. Das Sitzen klappt, aber er beginnt sofort heftig zu zittern. Sanders gibt mir einen fragenden Blick.
Keine Sorge, das sind seine Medikamente, die dieses Zittern auslösen, es ist nicht neu, erkläre ich und bin ungemein erleichtert, als Stern es ein wenig später mit unserer Unterstützung tatsächlich geschafft hat, aufzustehen und sich nun, rechts und links von uns gestützt, mit kleinen Schritten zum Sofa begibt, wo er sich, noch immer gestützt von uns, langsam und mit einem Ächzen niederlässt. Vorsichtig heben wir seine Beine an und lagern sie hoch.
Hast du Schmerzen?, frage ich.
Wie ist denn der Sturz passiert, fragt Sanders gleichzeitig. Sind Sie über einen Gegenstand gestolpert? Als mein Bruder nicht antwortet, wiederholt Sanders seine Frage nochmals lauter und deutlicher und schaut Stern dabei forschend und freundlich zugleich an. Wissen Sie noch, wie sich der Sturz zugetragen hat? Jetzt nickt Stern und sagt: Schwalbe. Standwaage, übersetze ich.
Standwaage?, wiederholt Sanders fragend. Ein winziges Lächeln zeigte sich auf Sterns Gesicht, als er bekräftigt: Genau, die Standwaage, meinetwegen, wir sagen Schwalbe dazu.
Ballettübungen sollten Sie vielleicht künftig besser unterlassen, meint Sanders und lacht auch ein wenig, ich pflichte ihm bei: Hast du gehört, Stern, lass die Standwaage künftig bleiben. Mit Kapriolen wie der Schwalbe ist nun leider definitiv Schluss. Stern schweigt wieder, er hält die Augen eine Weile lang geschlossen, fasst dann mit einer Hand an seinen Brustkorb rechts und äußert leise: Ein, zwei Rippen angeknackst, glaub, nicht schlimm. So ist das halt.
Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, sage ich zu Sanders, als ich ihn nach unten begleite. Ich biete ihm einen Kaffee an, aber er lehnt ab. Gerne ein anderes Mal, nun aber würde er lieber seinen Dorfspaziergang fortsetzen. So begleite ich ihn vor das Haus, wo wir noch eine Weile stehen bleiben.
Geben Sie Ihrem Vater ein Schmerzmittel, rät er, angeknackste Rippen können heftig wehtun. Ich schaue ihn forschend an.
Sind Sie Arzt? Er verneint.
Zwar habe er viele Jahre in einem Krankenhaus gearbeitet, allerdings in der Verwaltung, aber er habe eine Zeit lang bei der Pflege seines eigenen Vaters mitgeholfen. Dieser sei auch mehrere Male gestürzt, sein letzter Sturz habe schießlich zur Überweisung in ein Pflegeheim geführt, wo er nach nicht einmal drei Wochen verstorben sei. Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll zu Sanders Ausführungen, der noch immer neben mir steht. So schweigen wir, es ist nicht unangenehm, und schließlich fragt er:
Wie alt ist Ihr Ballettvater denn? Ich muss über diese neue Bezeichnung für Stern lachen. Stern sei dreiundachtzig, und er sei nicht mein Vater, sondern mein Bruder.
Stern? Ich nicke.
Genau, Stern, so heißt mein Bruder, der mir heute Vormittag die Standwaage vorführen wollte. Der Name ist ein Anagramm, füge ich an, als Sanders mich noch immer anschaut, und er enthält eine lange Geschichte. Ich beschließe, keine weiteren Erklärungen mehr abzugeben, und so streckt er mir die Hand entgegen. Ich nehme sie.
Haben Sie vielen, vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich weiß gar nicht, was ich ohne Sie getan hätte. Sanders hält meine Hand ein klein wenig länger als üblich.
Sehr gerne geschehen, Lisa, wirklich, und passen Sie gut auf Ernst auf. Falls Sie Unterstützung brauchen, wissen Sie, wo Sie mich finden können. Ich nicke, dann lässt er meine Hand los, wendet sich ab, geht ein paar Schritte das Sträßchen hoch, dreht sich nochmals um und winkt mir zu, bevor er in der nächsten Kurve verschwindet.
Im Wohnzimmer ist Stern auf dem Sofa eingeschlafen. Ich befühle seine Hände, sie sind kühl, so decke ich ihn mit einer Tagesdecke zu, setze mich auf den Sessel gegenüber dem Sofa und betrachte ihn. Er muss meinen Blick gespürt haben, denn nach ein paar Momenten öffnet er die Augen schon wieder:
Hör auf, mich anzustarren.
Ja, in Ordnung, aber wie geht es dir?
Wie immer.
Versprichst du mir, nicht aufzustehen, bis ich wieder da bin? Ich habe etwas zu erledigen und muss dich für einen Moment allein lassen. Es dauert nicht lange.
Kein Problem. Stern versucht, sich auf die Seite zu drehen, stößt aber einen kleinen Fluch aus dabei und gibt das Unterfangen auf. Als ich vor dem Sofa stehen bleibe, fährt er mich an: Los, geh endlich, bin kein Kind, das du hüten musst, auch wenn ich auf die Schnauze gefallen bin.
Er sei zum Glück nicht auf die Schnauze, sondern irgendwie auf die Flanke gefallen, präzisiere ich, was ihm zwar nun wehtue, aber nicht vorzustellen wäre, wenn er sich das Gesicht verletzt und die Zähne eingeschlagen hätte. Er macht