Название | Geisterfahrten |
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Автор произведения | Theres Roth-Hunkeler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783906907451 |
Du hast schön schlanke Beine, sage ich, ohne eine einzige Krampfader. Stern lächelt.
Wenigstens das, sagt er, plätschert mit seinen Füßen ein wenig im Wasser und wirkt zum ersten Mal, seit wir hier sind, ziemlich entspannt. Ich überlege, wie ich den Moment nützen und ihn zum Reden bringen könnte, ich weiß auch, worauf ich hinaus möchte, aber ich mache einen Umweg, um so vielleicht mein Ziel zu erreichen.
Welchen Beruf würdest du erlernen, wenn du nochmals jung wärst, frage ich. Viel schneller als erwartet antwortet er: Physiker.
Fände ich toll. Du hast dich ja mit allerlei Handfestem herumgeschlagen. Sogar die Spezialkonstruktionen der Maschinen hast du selber ausgetüftelt, um deine Trocken- oder Hydrosaat auf dem Gelände auszubringen.
Lange her, brummt Stern und bewegt nun seine Füße so heftig, dass das Wasser überschwappt und auch meine Hose etwas davon abkriegt.
Lass mich laut denken, sage ich und kremple dabei mein feuchtes Hosenbein hoch. Du würdest dir also in einem nächsten Leben zuerst die physikalischen Gesetzmäßigkeiten aneignen für einiges, was du dir mühsam erarbeiten musstest? Und bei mir selber denke ich, wie interessant, mein Bruder, bei dem es oft in seinem Leben ums Psychische ging, möchte Physiker werden.
Stern nickt, betrachtet eingehend seine Füße, als hätte er sie schon lange nicht mehr gesehen und äußert schließlich: Bin mein ganzes Leben lang ein Bastler geblieben. Leider.
Allerdings ein erfolgreicher Bastler, immerhin hast du Grün gegründet, hast Glück gehabt mit deiner Firma und bist doch ziemlich reich geworden damit. Stern zuckt mit den Schultern.
Geld, sagt er, Geld …
Geld war zumindest am Anfang ein Problem. Erinnerst du dich noch an die Szene, als du Vater nach Geld gefragt hast für deine Unternehmung? Nun schaut mich Stern interessiert an. Ich jedenfalls, fahre ich fort, erinnere mich noch so genau, als wäre es gestern gewesen. Du willst also mit Autobahnen dein Geld machen, hat Vater aufgebracht gebrüllt. Anstatt unseren Hof weiterzuführen und mein Nachfolger als Förster bei der Korporation zu werden, willst du von diesen verfluchten Autobahnen profitieren, die Ackerland und Wälder durchschneiden und unsere Existenz und jene der Waldtiere bedrohen. Keinen Franken, ich sag es dir klipp und klar, keinen Franken bekommst du von mir für eine solche Firma, so lange ich noch nicht unter dem Boden bin. Etwa so hat es geklungen, weißt du das noch, Stern?
Er antwortet nicht, sondern starrt schon wieder ins Leere, ich aber weiß noch, wie explosiv die Situation war und wie erleichtert ich später war, dass niemand von mir erwartet hat, einen Bauern zu heiraten und den Hof zu übernehmen. Und dass Mutter oft zu mir gesagt hat: Mach du uns bloß nicht auch noch Verdruss, wir haben schon genug davon.
Den ganzen wüsten Streit nur wegen des Geldes … Stern schaut mich nun fragend an.
Wahrscheinlich ging es um mehr als um Geld, erwidere ich, apropos Geld, weißt du eigentlich, was die Behandlung, die ich nun gleich deinen Füßen angedeihen lasse, bei einer Fachperson kosten würde?
Keine Ahnung, weißt du es denn?
Klar, ich gehe regelmäßig zur Podologin, sie nimmt hundertzehn Franken pro Behandlung.
Brauchst du Geld?
Nein, sage ich lachend und greife nach der Espressotasse auf dem Tisch und trinke sie in einem Zug leer. Stern tut es mir gleich, es schüttelt ihn aber unmittelbar nach dem Schlucken.
Ekelhaft bittere Brühe, stößt er hervor, er brauche Zucker in den Kaffee. Zucker. Drei Löffel mindestens.
Ach, stimmt, das habe ich vergessen, tut mir leid, nimm einen Schluck Wasser, sage ich, breite dann ein Tuch vor dem Becken am Boden aus und bitte ihn, seine Füße daraufzulegen.
Stern gehorcht und macht Anstalten, sich hinunter zu beugen, um seine Füße trocken zu reiben, aber ich sehe, wie viel Anstrengung ihn das kostet. Lass sie an der Luft trocknen, das dauert nicht lange, sage ich und drapiere ein kleineres Tuch auf meinen Oberschenkeln. Nach einer Weile weise ich ihn an, seine Beine hochzuheben und sie so zu platzieren, dass seine Füße auf meinen Oberschenkeln zu liegen kommen. Ächzend tut er, was ich von ihm verlange.
Ruhig halten, wenn ich die Nägel schneide, bitte ich, greife zum Nagelclip und nehme mir Sterns rechten Fuß vor. Der Nagel der großen Zehe reicht weit über die Zehenkuppe hinaus, er ist verdickt und das Nagelbett ein bisschen entzündet. Vorsichtig setze ich den Clip so an, dass sich ein Stück Nagelplatte zwischen den Schneidstücken befindet, dann betätige ich den kleinen Hebel. Das abgeknipste Nagelstück spickt weg und landet irgendwo, jedenfalls nicht auf dem Tuch auf meinen Beinen. Der nächste Nagel ist fast eingewachsen und verlangt nach der Eckenzange, die sich in meinem Pediküre-Set befindet. Meine semiprofessionelle Ausstattung entlockt Stern einen bewundernden Laut, und er hält während der gesamten Schneideprozedur ganz still.
Stell dir vor, über welche Strecken dich diese Füße hier schon getragen habe, äußere ich, während ich seine Nägel feile und mich dann an die Bearbeitung der Hornhaut machen will. Stern brummt erst etwas Unverständliches und klagt dann, seine Beine würden schmerzen, er müsse sie wieder eine Weile auf den Boden stellen. Ich nutze die Gelegenheit und hole die Hornhautfeile im Bad, mit dem Bimsstein allein komme ich dem Zustand seiner Füße nicht bei. In Ermangelung eines speziellen Produktes für die Füße nehme ich auch mein Gesichtspeeling mit, zur Not wird man Sterns Füße auch damit bearbeiten können, ebenso greife ich nach der Tube mit der Fußcreme. Wieder draußen, stelle ich zwei Stühle mit Polster nebeneinander, damit Sterns Beine besser abgestützt werden, klopfe auf die Polster: Bitte, Beine wieder hoch, es ist nun bequemer für dich. Er tut, was ich verlange, und während ich mich mit geneigtem Kopf konzentriert der Hornhaut an seiner linken Ferse widme, die ich zuerst mit der groben, dann mit der feinen Feilenseite abrasple, frage ich: Wie ist es eigentlich für dich, zuschauen zu müssen, wie dein Lebenswerk verschwindet? Kurz blicke ich zu Stern hoch, er hat die Augen geschlossen, vielleicht genießt er es ja, dass sich jemand um seine Füße kümmert. Ich lege die Feile weg, wechsle zum Bimsstein, und als Stern nicht antwortet, rede ich weiter. Du weißt doch, dass immer mehr Autobahnen rundum saniert worden sind. Er zuckt nur mit den Schultern. Laut Verkehrsexperten, fahre ich fort, sollen ein neues Leitplankensystem und ein neuartiger Belag über alle Fahrbahnen hinweg mehr Flexibilität bringen.
Stern hat jetzt die Augen geöffnet, schaut mich aber nicht an, und so rede ich weiter, nun etwas langsamer: Stell dir vor, die begrünten Mittelstreifen verschwinden wohl gänzlich. Sie werden entfernt und durch Betonmauern, Stahlstreifen und andere Abschrankungen ersetzt.
Stern nickt, brummt wieder etwas Unverständliches und ich spüre, dass der Bimsstein, mit dem ich noch immer seine Fersen bearbeite, etwas wärmer geworden ist. Ich rasple und rasple und bleibe am Thema dran: Immerhin wird ein kleiner Teil jener Grünflächen entlang der Nationalstraßen, die meist als Lärmschutz dienen, aufgewertet werden, aber die begrünten Mittelstreifen verschwinden mehr und mehr. Wie findest du das denn? Nun halte ich kurz inne, um zu sehen, ob mein Bruder in irgendeiner Weise auf meine Frage reagiert, aber er bleibt unbewegt. Erst nach langem äußert er: So geht halt die Zeit.
Am liebsten würde ich ihn schütteln, um seinen Panzer aus Resignation zu durchbrechen, stattdessen rasple ich nun bloß etwas heftiger die Hornhaut an seinen Fußballen weg. Bereits tun mir der rechte Arm und der Rücken weh, das Verharren in gebeugter Position