Arche Noah. Anna Croissant-Rust

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Название Arche Noah
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711466681



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das Städtchen zu betreten, die Landschaft ausserhalb gefiel ihm besser, und den Umgang mit den uniformierten Menschen, die sich ihm immer so sehr aufdrängten, fand er gar nicht standesgemäss.

      Die Eisenhut’n aber wohnte ziemlich abseits, in einem niederen weissen Giebelhaus zwischen Hecken und Gärtchen. Dahin zu gehen, war ihm nicht allzu unangenehm, wenn nur die Eisenhut’n überhaupt daheim war, und er die schwere Last anbrachte! Die Eisenhut’n war daheim. Sie stand, gerade wie wenn sie ihn erwartet hätte, mit freudig gerötetem Gesicht unter der Türe, hielt die Hand vor die Augen und sah die Strasse entlang. Also war sie von ihrem wichtigen Gang nach Hause gekommen, und von Erfolg begleitet gewesen. Freundlich nahte sich der Hasepeter. Der grosse Augenblick war da, wo er Madame Eisenhut erobern konnte. Er machte seinen schönsten Kratzfuss und schickte sich an, die „Pann“ zu überreichen. In demselben Augenblick sah er das Gesicht der nützlichen Witwe blaurot werden. Sie stiess ein Kreischen aus, — nein! es wurde aus ihr gestossen — er hörte es zwar nicht mehr recht, denn etwas sehr Schweres fiel über ihn (war’s die Pann oder die Eisenhut’n?). Er fühlte sich gepackt, gezerrt, gerissen, geschoben, gepufft, getreten, und, obwohl er nach vorn und hinten bockte, wurde er mit einer Geschwindigkeit, die ihn starr vor schreckhaftem Staunen machte, in den dunklen Hausflur geschleift. Dann fiel die Türe hinter ihm zu, der Riegel kreischte — und nun gab’s keine Zeit mehr zu sehen, zu hören oder zu staunen, es gab nur zu fühlen. Ehe er nur reden, ehe er des Pinkepeters Kompliment ausrichten konnte, fiel unter Gekreisch und Geschimpfe ein Regen von Püffen, Stössen und Schlägen auf ihn nieder, dass er wähnte, mindestens ein halbes Dutzend Frauenzimmer sei um ihn beschäftigt, und dass er sich nur ducken und mit den beiden Armen schützen konnte, damit sie ihm wenigstens den Kopf nicht gar zu heftig zertrommelten; es tat an anderen, ungeschützteren Körperstellen so schon weh genug. „Han se d’r geschmeckt, die Pannekuche, du Oos, du freches?! Aa noch die Pann selwer se bringe! Haag fescht zu, Nikel, reiss’m die Hoor aus, Gret!“ zeterte die Eisenhut’n in der höchsten Fistel. „E Kumpliment vum Pinke —“ keuchte der Hasepeter, und versuchte vergebens sich seines Auftrags zu entledigen — weiter kam er nicht. Und nicht wegen der Schläge allein. Ein Blitzstrahl der Erkenntnis war vor ihm niedergefahren. Nein, deren zwei! Oh, der Pinkepeter — pfui! — Und dann: „Gret!“ hatte die Eisenhut’n geschrien? Wenn das seine Gret war? Hatte sie nicht immer mit dem Ammenikel, dem Sohn der Eisenhut’n, geprahlt? Wenn sie ihn nur denken lassen wollten! Aber da schlugen sie gerade auf seinen Kopf los — sie liessen ihn auch nicht reden, sie schlugen ihn auf den Mund, sie liessen ihn auch nicht sehen, sie pickten ihm förmlich die Augen aus — wie hätte er wissen können, ob das seine Gret war?!

      Auf einmal öffnete sich die Türe wie durch einen Zauberschlag, ein Stoss, — der Hasepeter flog förmlich — das war der Nikel! — ein paar gehörige Tritte auf den zuletzt verschwindenden Körperteil — das waren die Weiber! — und draussen sass der Peter und heulte wie ein kleines Kind, und war in allen seinen Tiefen erschüttert und konnte doch nichts begreifen.

      O weh! Kraft hatte der Nikel! Ja, wenn die Konkurrenz beteiligt war! Des Nikels Rache war verständlich. Er war vom Metier, er war ein scharfer Konkurrent — und er warb auch um die Gret! Aber wenn die Gret selber dabei war — seine Gret! (Innerlich getraute er sich, sie so zu nennen!) Himmelwelt! Wenn die mit geholfen hatte! Und während ihm das Herz weh tat, konnte er nicht umhin, sich die Stelle zu reiben, auf der er eben sass, und die ihm so sehr weh tat, weil sie — umfangreich wie sie nun einmal war — die meisten Hiebe gekriegt.

      Dennoch sprang er, allen Schmerzen zum Trotz, rasch auf, als die Türe abermals ging, und war sofort fluchtbereit. Ein zweites Mal? Nein, nicht um alles in der Welt! Aber zur Türspalte heraus kam nur ein friedlich scheinender bepantoffelter Fuss, und auf der Spitze dieses Fusses wippte seine Mütze: „soin Kapp“. Und siehe da, das zum Pantoffel gehörige Frauenzimmer versetzte seiner Kopfbedeckung einen soliden Schwung, so dass sie ihm mitten ins Gesicht flog — die Mütze nämlich!

      Sie war’s! die Gret! die Geliebte! Gewiss war sie ihm trotz allem Unerklärlichen gut, hätte sie ihm sonst seine Mütze wiedergegeben? Nur zum Ammenikel sollte die Gret nicht gehen! Er hätte sie doch so gern geheiratet! Wenn er nur den Mut gefunden hätte, es ihr gerade heraus zu sagen! Sie war doch eigentlich über seinem Stand, sie besass ein kleines Haus, weit, weit draussen in den Feldern —

      Was hatte er dagegen zu geben? Wenn sie sein Gemüt nicht zu schätzen wusste, brachte er nichts mit in die Ehe ausser der Schere und einem alten silbernen Ringlein seiner Mutter.

      Ach, wie war das Leben so schwer! An so vieles musste der Hasepeter auf einmal denken! So viel hatte er in seinem ganzen Leben nicht denken müssen, und es waren schwere und trübe Gedanken, und je näher er seinem Salon kam, desto mehr verdüsterten sie sich. Zu Hause warf er sich, von Verachtung für das Dasein erfüllt, auf sein Lager. Was war denn das für eine Gerechtigkeit, wenn man für drei Pfannenkuchen Prügel für sechs Leute bekam? Und wenn ein „Mädche“, das für einen allein da sein sollte, auf einmal für einen andern da war?

      Als der Pinkepeter pfeifend heimkam, muckste er sich nicht, und gab auch keine Antwort auf seine Reden: „No, was hot die Eisenhut’n gesaht? — Hm? — Nix? — Mir scheint, die Pannekuche drücken dich als noch?!“

      In der Nacht warf sich der Hasepeter ohne Ruhe herum und stöhnte nach der Gret, so dass ihn der Pinkepeter, die Hände in den Taschen, am Morgen keck frug: „Was is dann des mit der Gret? Was kreischde dann immer: Greet?“ Trotzdem des Hasepeters Herz vor Bitterkeit quoll, riss es ihm doch ein paar Worte heraus, die er eigentlich nicht hatte sagen wollen: „Sie war beim Ammenikel!“

      „No — und?“

      „Sie soll nit zum Ammenikel!“

      „Warum?“

      „Wann ich se doch heirate will!“

      Da lachte der Pinkepeter aus vollem Halse; dann zog er überlegend die Stirne in Falten: „Siehscht’s. Tätscht du dich rasiere! Hunnerdmol han ich d’rs schunn gesaht, aber du fuchtelscht als norre mit dere roschtige Scheer im Gesicht erum. Die rasierte Leid kriechn die Mädcher! Der Ammenikel is rasiert! Braucht dich aber nit gar so arg se kränke, ich han d’r die Pannekuche verschafft, ich verschaff d’r aach die Gret. Heit Owend bring ich se mit. Alla adieh!“

      Als der Pinkepeter draussen war, fing der Hasepeter laut zu heulen an und fuhr sich dabei prüfend über das Gesicht. Ach Gott! der hatte ja recht, es starrte ja von Stoppeln! Aber er war viel zu elend und viel zu enttäuscht, um aufzustehen und sich gründlich anzusehen, oder sich gar die Schere zu holen. Da, o Wunder, sah er auf einmal das Rasiermesser blinken! Der Pinkepeter war weggegangen und hatte es nicht versteckt!

      Wenn er jetzt —? Ach, es lohnte sich nicht! Mit aller Wucht, wie um seinen Entschluss zu bekräftigen, warf sich der Hasepeter auf die andere Seite, dass alles nur so krachte, und döste in seinem schwarzen Elend weiter. Er hörte die Mittagsglocke läuten, hörte die Schulkinder vorbeischwatzen, schlief und wachte und wachte und schlief wieder. Endlich erblasste das Stückchen Horizont, das er von dem kleinen Fenster aus sehen konnte, eine feurige Röte stieg am Himmel auf und warf ihren Abglanz durch das schmutzige Stück Glas auf des Hasepeters Bett. Der Abendwind rauschte in den Bäumen, Tritte näherten und entfernten sich wieder — da überkam’s ihn plötzlich, dass er das blitzende Rasiermesser nicht mehr aus den Augen lassen konnte. Willenlos, von einer höheren Macht gezogen, musste er von seiner Streu aufstehen und in einer wilden, sich immer steigernden Erregung auf seinen Backen herumkratzen. „Er bringt die Gret mit, er bringt die Gret mit,“ flüsterte er mit gespitzten Lippen vor sich hin, und dann wieder: „Die rasierte Leid kriechn die Mädcher —“

      Und er wollte rasiert sein, er wollte das „Mädche krieche“. So schabte und kratzte er denn weiter, und vernichtete alles, was im Zwielicht erreichbar war. Er glühte so sehr in seinem schönen Eifer, dass er gar nicht hörte, wie die Türe aufging und zwei mit sachten Schritten hereinkamen. Erst als ein kalter Luftzug über seine nackten Beine strich, sprang er mit einem Schrei vom Fenster weg und mitsamt dem Rasiermesser ins Bett. Mit einem Satz war aber auch der Pinkepeter hinter ihm drein, er hatte sein Rasiermesser gesehen!

      „Du kannscht doch nit erinn! Es is doch zugeschloss’!“ machte der Hasepeter weinerlich und versuchte