Arche Noah. Anna Croissant-Rust

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Название Arche Noah
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711466681



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Schluchzen kommt heraus. In ihren Ohren ist ein Klingen und Läuten, ein Poltern und Dröhnen, als brause der Zug schon heran; sie steht vor der Freiheit; einen finsteren, feuchten, endlos langen Gang hat sie durchkeucht, nun liegt weit und licht das ganze Land vor ihr. Soll sie wieder umkehren müssen, wieder diesen engen, dunklen Gang zurücktappen, immer weiter, immer weiter? Wie mechanisch streckt sie die leeren Hände aus — sie muss zurück, sie werden sie zurückschleppen, sie hat kein Geld!

      Das ganze, kleine, rundliche Nönnlein zittert vom Kopf bis zu den Füssen; einen Augenblick macht sie eine Bewegung, als wolle sie den Weg wirklich nach oben nehmen; dann hebt sie mit einem Ruck das heilige Gewand, wie ein Pfeil ist sie in der Restauration neben dem Bahnhof verschwunden, hat auch gleich mit echtem Bauernspürsinn die Küche gefunden und steht dort, hochrot, von Schweiss überströmt, mit zur Bitte gefalteten Händen vor der Wirtin.

      Die Wirtin ist keine Wirtin „wundermild“, keine jener runden, gutmütigen, behäbigen Tiroler Wirtinnen, deren Herz man erweichen kann; lang ist sie und hager, die Knöpfe ihres dunkelgrauen Kleides verschliessen einen strengen und kargen Busen. Sie trägt ein Netz auf dem Kopfe und ein schwarzes Samtband davor, die wenigen Haare sitzen wie numeriert, jede Falte ihrer Schürze sieht nach Eigensinn und Widerstand aus. Das Nönnlein erkennt mit Schrecken an den Runen, in die sie ihr Gesicht legt, dass sie genau weiss, was sie dem Ruf ihres Hauses, das ein „chrischdliches“, und überhaupt, was sie der heiligen katholischen Kirche schuldig ist. Nicht dass sie etwa schimpft oder überrascht tut, dass ihr das Nönnlein ins Haus geweht wurde, bewahre! Sie stemmt nur die knochigen Hände in die Seite, dass die Ellenbogen eckig, wie ornamental zu ihr gestimmte Henkel an beiden Seiten ihres schlanken Leibesgefässes abstehen, und betrachtet die Zitternde von oben bis unten, als hätte sie all ihr Lebtag noch keine Ordens „schwäschder“ gesehen. Dabei entfährt ihrem grossen schmallippigen Munde ein boshaftes, meckerndes Lachen, das der kleinen Schwester Eudoria, die demütig vor der Langen steht, durch Mark und Bein geht. Dann wirft die Lange einen schnellen Blick nach dem Nebenzimmer, das mit einer Glastüre nach dem Gang zu sieht, streckt bedeutungsvoll den Zeigefinger aus — das Nönnlein wird ganz klein, ganzblass und ganz schmal. Oh, das ist nicht mehr die Moidel aus dem Vintschgau, die vorhin das heilige Kleid so fest gepackt und geradewegs in die Wirtschaft hineingeschossen ist, es ist die Schwester Eudoxia aus dem Kloster Ladins. Drinnen sitzen zwei geistliche Herren, ein alter Kurat und ein junger. Nun ist alles verloren! Das Nönnlein knickt zusammen und sinkt auf den Küchenstuhl, die Hände vor dem Gesicht, durch die Finger rinnen langsam die Tränen.

      „Gell, jetzt kannscht röhr’n?“ keift leise die Knochige, die noch immer einen Arm kriegerisch eingestemmt hat, und wirft rasche Blicke nach dem Nebenzimmer.

      „Mach di’ schnell ausser oder —“

      Das „Aussermachen“ ist die einzige Wohltat, die sie dem Nönnlein zu erweisen hat, und die kleine Nonne duckt sich auch gleich gehorsam.

      Aber da hat der Alte drinnen das dunkle Schwesternhabit schon gesehen; mit einer sonderbaren fahrigen Hast kommt er herausgetappt, er hinkt ein bisschen und reibt sich die Knie wie einer, der vom langen Hocken steif geworden ist. Ein paarmal wendet er schnell den Kopf zurück, dann heisst er barsch die Wirtin gehen. Sie geht nicht ohne Protest und murmelt noch, als sie die Türe des Nebenzimmers öffnet, aus der die hohe leidenschaftliche Stimme des jungen Kuraten kommt, der mit einem Dritten in einen erregten Disput verwickelt ist.

      Still und ergeben, mit gefalteten Händen, wie vor dem jüngsten Gericht, sitzt das Nönnlein vom Kloster Ladins da; sogar auf das Heulen hat die Arme vergessen, nur an der roten, glänzenden Stumpfnase hängt noch ein Tränlein.

      „Geld mögschst du?“ fragte der alte Herr hastig und stellt sich so, dass man die kleine Schwester nicht sehen kann. „Kein Geld hascht und fort mögschst? Glei fahrt der Zug daher — da!“

      Er drückt ihr etwas in die Hand. Das Moidele schnellt auf, die dunkle Kutte huscht an dem Alten vorbei, mit beiden Händen hält sie das Moidele hoch, dass es besser springen kann. Ein paar derbe Bauernbeine in blauen Strümpfen kommen zum Vorschein; die blauen Strümpfe rennen über die Strasse zum Schalter, vom Schalter nach dem Bahnsteig, heben sich dann in den Zug, der pustend weiter fährt, eine dicke, schwarze Rauchwolke ausstossend, dass man das weisse, stolze Kloster Ladins nicht mehr sehen kann, das hoch über dem Eisack auf schroffem Fels steht und mit vielen blinkenden Fenstern und drei wuchtigen Türmen über das Tal hinschaut.

      Vom Pinkepeter und vom Hasepeter

      Es waren einmal zwei Strolche, waschechte Strolche, das heisst Menschen ohne Smoking und nach Mass gemachte Hemden, ohne Skarf modernster Farbe, ohne Rohrplattenkoffer, ohne Sinn für Hygiene und Sport, ja Menschen sogar ohne Vorhemd und Kragen — aber ganz ihrem Beruf hingegeben, hervorragende Pflichtmenschen, voll Streben und Ausdauer in allem, was mit ihrem Berufe, dem süssen Nichtstun — dolce far niente — zusammenhing.

      Darin waren sie sich vollkommen gleich, so verschieden sie sonst im Wesen und in ihrem Aeussern waren. Das Aeussere war sogar grundverschieden, abgesehen von der nur ihnen eigenen „genialischen“ Mode sich zu tragen.

      Dem Pinkepeter sassen ein paar Augen in dem graugelben, verwitterten, wie Kalkfelsen zermürbten Gesicht, die fuhren herum wie der Blitz in wetterschwangerer Wolke. Darunter sass eine mächtige Hakennase, ein grosser, schmallippiger und gekniffener Mund über einem brutalen, kantigen Kinn. Gross war er, der Pinkepeter, breitschulterig und hager; seinen Oberkörper trug er auf ziemlich elegant geschweiften O-Beinen, die seinem Gang einen besonderen Rhythmus verliehen. Er ging ganz auf in seinem Berufe, er war Fanatiker des Berufs, und lächelte überlegen über all die Idioten, die sich einen andern erwählten.

      Dagegen nahm der Hasepeter, so leidenschaftlich er sich dem dolce far niente hingab, das übrige des Berufes keineswegs enthusiastisch auf, eher als etwas Unabänderliches, als ein Fatum; es war eben nicht zu ändern, und er glaubte, da er wohlbeleibt und kurzhälsig war, weder Atem noch Kraft zu etwas anderem zu haben, auch keinen Verstand, denn er hatte immer gehört, dass er „kurz von Verstand“ sei.

      Natürlich war er ganz unter der Herrschaft des Temperamentsmenschen Pinkepeter und ihm blindlings unterworfen.

      Da hätte sich auch ein anderer nicht mehr zu mucksen getraut, wenn ihn der Pinkepeter mit den hastigen Augen anblitzte, oder gar die Achseln zuckte! Der wäre gewiss und wahrhaftig ebenso zusammengeschnappt wie er, und hätte nicht mehr gepiepst.

      Er war klein, der Hasepeter, und schwammig gediehen. Seine Augen waren hell und elegisch und lagen wie matte Tümpel zwischen den Hügeln des Fettes. Die Nase strebte vergebens über ihre bedeutendere Umgebung herauszuragen, was ihr nur in der Gegend des Mundes gelang, der sehr klein und wie zum Pfeifen gespitzt war. Von Ohr zu Ohr, ehemals brennend rot, jetzt mit Grau gemischt, zog sich unter dem Kinn weg ein sogenannter Hambacher, während das übrige Gesicht fast bis unter die Augen mit grauen Stoppeln wahllos überdeckt war.

      Seit Jahren war ihm schon beschieden, ein ansehnliches Bäuchlein vor sich hertragen zu müssen, und es war einer seiner tiefsten Schmerzen, dass es entstanden, ohne dass er die eigentlich dazu nötigen ausgiebigen Mahlzeiten und Genüsse gehabt. Gewiss nahm sich das Bäuchlein gut und stattlich aus, und es war das einzige, das ihm sozusagen Uebergewicht über den Pinkepeter gab, aber es war ihm im Beruf hinderlich; .. der boshafte Pinkepeter zitierte öfter die Variante:

      „Die Bäuch’, die Bäuch’,

      Die Bäuch’ sin’ unser Schade!

      ‘s wär’ besser wahrlich sag’ ich euch,

      Mer alle hätten gar keen’ Bäuch

      Keen’ Bäuch und aa keen’ Wade.“

      Mit den Waden war es nun soso beschaffen, bis dahinunter war das Fett leider nicht gedrungen, und das Bäuchlein balancierte auf zwei sehr beweglichen, aber unsicheren, obwohl sehr ausdrucksvollen X-Beinen (das Ausdruckvollste an ihm). Für verständnisvolle Gemüter war es stets ein erhebendes Schauspiel, die beiden Kumpane miteinander wandeln zu sehen. Leider geschah das selten, höchstens gegen Abend, wenn sie der gemeinsamen Wohnung zustrebten. Nämlich der Pinkepeter liebte es viel mehr seine eigenen Wege zu gehen und sich von Hasepeter zu