Arche Noah. Anna Croissant-Rust

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Название Arche Noah
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711466681



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war der grosse und behende Pinkepeter im Nu verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt, des guten Hasepeters aber, der um keinen Preis die süsse Last fahren lassen wollte, und der sie wie ein toller Hund am liebsten mit den Zähnen verteidigt hätte (wenn es Essbares war!), nahm sich der liebevolle Arm der irdischen Gerechtigkeit an, und er musste die gemeinschaftliche Behausung mit einer Separat-Garçon-Wohnung „im Kittche“ vertauschen.

      Den Pinkepeter dagegen traf diese Abwechselung nie; er fand es gedeihlicher und passender, die Nächte in seinen vier Pfählen zu verbringen. Diese Wohnung war standesgemäss, stil- und gemütvoll. Keine Etage von Peter Behrens, van der Velde, August Endell oder irgend einem andern „zelebren“ Raumkünstler ausgestattet, trunken von Linien nach dem Vertikalen und Horizontalen hin, in alle Ausschweifungen peinlich korrekter Berechnung und verblüffender Formenneuheit getaucht, — schöne Einfachheit waltete und ein Verschmähen jedes äusseren Effektes.

      War die Behausung früher von edlem Vollblut bewohnt, später, ach, zum Kuh- und dann zum Schweinestall degradiert, so liess man sie in noch späteren Zeiten wegen gewisser Widerstandslosigkeit gegen die Unbilden der Witterung gänzlich auf. In diesem unwürdigen Zustande entdeckte dies trauliche Heim des Pinkepeters Spürnase, und er verstand es, daraus sofort eine durchaus stimmungsvolle Umrahmung für seine und des Hasepeters nächtliche Stunden zu schaffen. Zwei Räume besassen die beiden nun, allerdings nicht durch Mauern, nur durch Kreidestriche getrennt: hier Salon Pinkepeter, hier Salon Hasepeter.

      Die zwei Gentlemen hatten den, für diese seltene und anspruchsvolle Art des Wohnens nötigen Takt. Einer respektierte das Zimmer des andern, — darin waren sie voll des differenziertesten Anstandsgefühls — stets klopften sie an, ehe der eine des andern Wohnung betrat, und sie sprachen nur zusammen, wenn sie sich in einem Raum befanden. Der Pinkepeter sprach übrigens nicht viel, er hatte Gründe dafür. So schwerfällig der Hasepeter im allgemeinen war, er passte verdammt auf, was der Pinkepeter sagte oder tat, weil es sein höchstes Streben war, auch so zu werden wie der „Meister“. Denn der Hasepeter fühlte sich dem Pinketer gegenüber ganz als Schüler und wäre lieber heute als morgen direkt in seine Fusstapfen getreten, wenn er nur gewusst hätte, wie man es anfängt, Pinkepeter zu werden. Gerade die Leichtigkeit des Redens und Handelns hätte er ihm abgucken mögen, da ihm die Leichtigkeit des Denkens ja doch versagt war. Ach! er gab sich alle erdenkliche Mühe, aber er sah keine Erfolge, der strebsame Hasepeter. Er tat ja alles, des Meisters Gunst zu erwerben; erntete er aber auch nur ein Wort des Lobes?

      Oh, er hatte kein Glück, er hatte kein Glück! Gewiss kam er durch eine rätselhafte Fügung stets an die Stellen, die des Pinkepeters Fuss vorher betreten, und die ihm vollständig leer dünkten; oder der Pinkepeter war vor ihm knurrend fortkomplimentiert worden; den Meister trauten sie sich nicht ordentlich zu verschimpfieren, aber über ihn fielen sie dann hanebüchen her, und er musste, mit Schimpf und Schande, mit wüsten Reden und wüsten Püffen überschüttet, rennen, was ihn seine Beine trugen. Fand er aber wirklich einmal eine verständnisvolle Seele, die ihm gerade Brot reichen wollte, wenn ihn hungerte, so hatte gewiss der Pinkepeter die dazu erspriessliche Butter, den milden Speck, oder gar das feine „Schmeerche“ schon vorher erhalten. Und er ass Butter und Speck und noch mehr „Schmeercher“ für sein Leben gern!

      Wie oft grübelte er darüber nach, warum das alles dem Pinkepeter zuteil wurde, förmlich für ihn vom Himmel fiel! Kein Wunder, dass ein gewisser Trübsinn, den er nicht recht in Worte kleiden konnte, des Hasepeters Leben überschattete, dass er oft, natürlich wenn er allein war, demütig zwar, aber dennoch heftig, sein Geschick beklagte. Manchmal tat er’s auch, wenn der Pinkepeter im Nebenzimmer war; darauf erscholl gewöhnlich ein herrisches Klopfen und auf des Hasepeters schmerzliches „Herein!“ trat der Meister unwirsch ein. „Ich hör dich alsfort lamentiere. Was hoscht for Schmerze? Wu kummt’s her? Du hoscht keen Qualitäte for dein Beruf! Do guck mich an! Was siehschste? En vollkommene Mensche, en egale Mensche: des is, ich füll mein Beruf reichlich und schenial aus. Hoscht du Resultate uffzuweise? Hoscht du Fortschritte zu gewärtige? Antwort: „nein“. Also dreh dich uff die anner Seit und loss die denksame Mensche schlofe. Nimm dein Kreiz auf dich, du folgscht m’r jo doch nit nach. Amen!“ Auf diese Rede hin getraute sich der Hasepeter nicht mehr zu rühren. Heldenhaft — schon um des Meisters würdig zu sein — verschluckte er seinen Schmerz und seine Tränen, und nur ein röchelndes Glucksen verriet seinen Kummer und seine Angst. Nur den Pinkepeter nicht erzürnen! Er war schrecklich in seiner Wut und schlug zu, wohin er traf!

      Trotzdem konnte ihm der Hasepeter nicht grollen, dazu bewunderte er ihn viel zu sehr! Nur hie und da beschlich ihn ein Zweifel, ob er wohl von der Kunst des Meisters etwas profitiert habe. Warum fiel denn gar nichts für ihn ab? Warum musste er sich so oft die Finger verbrennen und der Pinkepeter nicht? Es wollte ihn zu Zeiten dünken, als sei er selbst doch nicht ganz allein schuld daran. Diese frevlen Gedanken wagte er natürlich nicht klar auszudenken, und bei solcherlei Anwandlungen war ihm nicht wohl zumute. So wenig wohl, dass er nach solch verwegenen Nächten sich die Augen nicht aufzuschlagen getraute, wenn er es nicht gar zustand brachte, sich vor Tau und Tag, wie ein begossener Pudel, zu verziehen.

      An diesen denkwürdigen Tagen, in der nebligen Morgenfrühe, konnte auf einmal, trotz der Nüchternheit und Hoffnungslosigkeit, ein ganz wunderliches Freiheitsgefühl über ihn kommen. Dann trottete er mit stiller Heiterkeit fürbass und erschrak auf einmal, wenn sich seine Lippen plötzlich zu einem vergnüglichen Pfeifen spitzen wollten.

      Das waren, nach Tagen der Erniedrigung, heimliche Freudenfeste für ihn. Segensreiche Spätherbsttage vielleicht, wo ihn das Glück ganz unvermutet überfiel, wo im Schutz des Nebels sich irgend etwas, was da kreucht und fleucht, oder süsse Aepfel und noch süssere Trauben unter seinen Rock verirrten. Das waren die Tage, wo es leise in ihm dämmerte, dass man seinen Beruf ausfüllen könnte, wenn man es könnte!

      Manch kleine Sünde passierte ihm in diesen Stunden zügelloser Freiheit. Er beroch z. B. seinen „Fund“ von allen Seiten, sah ihn mit verliebten Augen und schmatzenden Lippen an, und schwelgte schon in der Vorfreude des Empfanges durch den Meister. Wenn der erst solche Dinge sah! Der würde Respekt vor ihm kriegen! Aber, aber! Der Magen krümmte sich, die Verliebtheit war zu gross, der Hunger musste wohl auch zeitweilig seinen Geist verwirren, — es wollte ihm nicht gelingen, die gute Gottesgabe mit heiler Haut heimzubringen.

      Strafbare Gedanken überkamen ihn: es sei erspriesslicher, sich das ganze „ungedeelt“ angedeihen zu lassen, und es wollte ihn dünken, — verwirrten Geistes, wie er nun einmal war, — als schleppe eigentlich nur er immer nach Hause. Kam ihm dann ein Wald, ein Hohlweg oder eine Hecke in die Quere, war der Kampf schnell ausgekämpft. Ihn fror, er musste Feuer haben, ihn hungerte, er musste essen. Bald duckte sich ein Feuerlein hinter den Hecken, oder zwischen den Sandwänden des Hohlweges, und bald briet, schmorte und roch es, dass ihm das Wasser im Maule zusammenlief, und er mit halbblöden Augen fortwährend nach dem Objekt seiner Gier starrte. Wenn es nur endlich gar gewesen wäre! Das war ja die reinste Tortur! Zitternd vor lüsternem Verlangen sass er davor und fiel endlich darüber her, ehe es noch fertig war, und fand keine Ruhe, bis ihn die Backen schmerzten vor lauter Kauen, und bis es ausser aller Möglichkeit war, auch nur noch den kleinsten Bissen hinabzuwürgen.

      Das Drohen der blitzenden Säbel, die schmerzhaften Griffe solider Hände und das dunkle „Kittche“ hatte er ganz vergessen.

      Was er nicht mehr verschlingen konnte, trug er mit heim. Aber keineswegs mit ruhigem Gewissen. Nie hätte es der Hasepeter über sein Hasenherz gebracht, sich etwa seines Festmahls zu rühmen, wie es der Pinkepeter tat. Er suchte ängstlich alle Reste zu verbergen, genau wie ein Hund tut, der einen Knochen vergräbt; dabei führte er allerlei Kriegstänze aus, um den Pinkepeter abzulenken und die leckeren Abfälle seiner Schnüffelnase zu entziehen. Denn der schnüffelte alles heraus, darum hatte er auch stets was im Maul und stets etwas in den Taschen. Frei, offen, überlegen und prahlerisch verzehrte der Pinkepeter sein jeweiliges lukullisches Mahl vor dem Hasepeter, und es gereichte ihm zur besonderen Genugtuung, dabei schmatzen und rülpsen zu können und schmatzend und rülpsend zu lobpreisen, ohne auch nur nagelsgross an den hungrigen Genossen abzugeben. So was war hart, war Unmenschliches verlangt! Der Hasepeter vergass auch alle Mauern und Türen und kam jedesmal, des Vertrages nicht achtend, über den Kreidestrich gestürzt, bis der Meister ihn anschrie: „Du wüschder Kerl! Was kloppscht