Arche Noah. Anna Croissant-Rust

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Название Arche Noah
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711466681



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und der Kleinen halte ich ein Richtergesicht entgegen. Da schaut sie mich mit ihren blitzenden Augen an, ganz schelmisch, springt den andern nach und wirft mir unter der Türe noch eine Kusshand zu und einen Blick — Augen hatte der Balg! —“

      „Und Sie?“ Der Kontrollor legt sich halb über den Tisch.

      „Ich?“ lacht der Adjunkt. „Nichts! Aus ist’s.“

      „Gut Nacht!“ schreit der Doktor, reisst seinen Mantel vom Nagel und haut die Türe hinter sich zu.

      Die andern sitzen stumm und glotzen entweder in ihre Gläser oder in die Luft.

      „Rosele, Röschen, Rose von Brunnach, schnell einen Wein zur Stärkung,“ flötet der Kontrollor und versucht, Zeigefinger und Daumen weniger heftig, als innig und nachdrücklich in Roseles liebliche Rundung zu bohren: „Du bist ja doch die Rose von Brunnach!“

      „Und Sie sein der Dorn von Brunnach,“ erwidert prompt die Rose, die gern geistreich und „fesch“ antwortet, und wackelt diesmal zur Abwechslung mit dem Kopf. „Lassen Sie aus, oder i bin glei’ ganz stuff mit Ihnen!“ schreit sie und schlägt den verlobten Kontrollor auf die Hand, dass es klatscht.

      Damit ist der Bann gebrochen.

      Der Herr Schreiber zieht langsam ein Spiel Karten an sich und beginnt es zu mischen, während der Sekretär zuerst leise, dann halblaut ironisch vor sich hinsummt: „Tirili-Tirili!“ Und bald summt und singt und grinst und johlt und zirpt und gröhlt die Runde: „Tirili-Tirili“, sogar der kleine Bahnbeamte, der schnell noch einmal auf ein Stamperle Schnaps herübergesprungen kommt und gar nicht weiss, um was es sich handelt, kräht bald übermütig mit: „Tirili-Tirili!“, um ja keine Gelegenheit zu versäumen, sich endlich als „smarten“ jungen Mann oder vielleicht gar als beschriebenes Blatt zu zeigen.

      Der „Bukowiener“ aber macht zum erstenmal an diesem Abend seine Augen ganz auf, weiche, glänzende, etwas träumerische Augen; er hebt sein Glas und lässt es fest mit dem des Adjunkten zusammenklingen, indem er ihm unmerklich blinzelnd zunickt, einen Gruss, wie sich etwa zwei heimlich Verbündete grüssen.

      Das Nönnlein vom Kloster Ladins

      Hoch über dem Eisack, auf schroffem Fels, steht vas weisse Kloster und schaut mit vielen blinkenden Fenstern und mit drei wuchtigen Türmen über das Tal hin. Fast gemahnt es an eine Festung, die hellen Klostermauern an eine Kaserne, selbst die Kirche trägt kriegerisch ihr behelmtes Haupt.

      Am Himmel drängen und jagen sich Frühjahrswolken, graue und weisse, runde, dicke, die wie Watte aussehen, und langgestreckte, zerrissene, die gierig wie wilde Wölfe in die anderen hineinfahren; dazwischen werden grosse Stücke grellblauen Himmels kaleidoskopartig hin und her geschoben.

      Der Fluss geht mit gelber, träger, und doch eiliger Flut, an den Weinbergsmauern ist schon das Rebholz gehäuft, grün leuchten die Matten und wie Riesensträusse da und dort, unten und oben, einzeln und zu langen Reihen aufmarschiert, oder wie zu einem Feldlager über den riesigen Anger hin verteilt, die Obstbäume.

      Darüber reihen sich, mit einem dicken Schneepelz angetan, die hohen Berge am Himmel. Zu ihnen steigen die Wälder hinauf, die einen lichtgrünen Schimmer von jungen Birken und jungen Lärchen tragen, wie ein leises, frohes Lachen; zu ihnen steigen die Matten, die Felder, die Weinberge steil empor, als ob alles nach oben sich ringe. Die Matten zum Berg, der Berg zum Felsen, der Felsen zum Wald, der Wald zu dem Schrofen, der Schrofen zum Schnee und zum Himmel.

      Wenn die Sonne scheint, schiesst sie förmlich grell durch die Wolken, als wolle sie mit einemmal alles aus der Erde zaubern. Und die Menschlein krabbeln und hasten in den Wegen und Steigen, in den Weinbergen und Feldern, zwischen den grellgrünen Wiesen und braunvioletten Feldern, in die der Pflug tiefe Schrunden reisst. Von oben sieht es aus, als seien sie von einer Gigantenhand wahllos ausgestreut, und hasteten nun durcheinander, wie ein aufgestörtes Ameisennest, verwirrt und in zitternder Gier sich wieder zusammenzufinden.

      Zug um Zug braust und rumort durch das Tal, aufwärts dem Brenner zu, abwärts nach dem Süden. Und die Amsel singt den ganzen Tag, den ganzen Tag.

      Ein Nönnlein steht Tag für Tag in dem grossen Gang des weissen Klosters; am Fenster steht sie und drückt die Nase platt und schaut auf die eilenden Wolken und schaut auf die eilenden Züge; auf die krabbelnden Menschen schaut sie, die da unten so emsig schaffen, die hin und her rennen können wie sie wollen, lachen und schreien wie sie wollen; auch die Amsel hört sie, die so laut und beharrlich singt.

      Ein warmer, fester, vertraulicher, ach so vertraulicher, heimatlicher Geruch von Dünger steigt ihr in die Nase: das Nönnlein schlürft förmlich diesen heimatlichen Frühjahrsgeruch; mit geblähten Nüstern, zitternd vor Heimweh, dicke Kindertränen in den Augen, presst sie sich ans Fenster.

      „Nicht so sinnlich, Schwester Eudoxia!“ mahnen die vorbeihuschenden Nonnen, sanft die eine und scharf tadelnd die andere.

      Zweimal hat man sie schon zur Aebtissin geführt, weil sie immer da oben steht und in die Welt hineinsieht, auf das winkelige, buckelige Städtchen, auf die Schienen, die sich dehnen, südwärts, der Heimat zu, auf die Züge, die vorüberpoltern und schwerfällige Rauchwolken langsam hinaufschicken. Die Aebtissin sprach gütige und dann harte Worte, trotzdem hat sie sich wieder an das Fenster geflüchtet mit ihrer grossen Sehnsucht.

      Morgen darf sogar die Muttergottes auswandern! Morgen wird sie zu Tal getragen, mitten in den Anger blühender Obstbäume hinein, in das weisse Kapellchen, das sich, wie mit einem gestärkten Röcklein angetan, unten spreizt und sein grauschwarzes Dach mit dem kleinen Türmchen wie einen lustigen Kopfputz trägt. Die Muttergottes darf den Berg hinuntersteigen; morgen wird sie herabgenommen, feierlich führt man sie durch die Kirchenpforten, die Klostertüre ist auf, das grosse Tor wird geöffnet, die Mauern tun sich auseinander. — Es gibt einen Weg hinunter über den steilen Fels, es gibt einen Weg ins Städtlein, es gibt einen Weg — — einen Weg in die Heimat!

      „Pink! Pink!“ machen da unten die Maurer. Sie bereiten der Himmelskönigin den Weg, sie weissen und kalken die Wände, sie arbeiten am Tor; das Nönnlein hört sie lachen und schwätzen und singen. Ein paar junge Kerle sind darunter, Italiener, ein halbverwehter Tabakgeruch, eine verwischte Welle von Gelächter und derben Reden kommt herauf. Nun ist alles wieder still, sie sind fort. Sie sind fort und haben das Tor aufgelassen!

      Einen Augenblick steht das Nönnlein mit brennroten Wangen, die Hand, eine derbe, breite Bauernhand, auf das rauhe Gewand gedrückt; mit runden, hastigen, bedrückten Kinderaugen sieht sie blitzschnell um sich, nach rechts und links, den langen Gang hinauf und hinunter — und schon fliegt sie über die Stiege, den zweiten Gang, die zweite Stiege, den untern Gang, die breite Treppe, das Tor, die Pforte. — Grosser Gott, sie sind offen! Nun noch der Hof, das äussere Tor, und hinunter, hinunter, fliegt das dunkle Nonnenkleid. Steine poltern unwirsch nach, Geröll schiesst in die Tiefe, das Nönnlein hört nichts; sie hat nur das Sausen und Brausen ihres erregten Blutes im Ohr; sie rennt, dass sie ordentlich dicke, glühende Backen kriegt, ihr ist, als sei die wilde Jagd hinter ihr her, sie wieder einzufangen. Immer schneller wird ihr Lauf, der Schleier weht wie eine Flagge des Aufruhrs hinter ihr drein, fängt sich an einem Rosenstrauch und wird weggezerrt, dass er in Fetzen geht. Die kleine Nonne sieht nicht Weg noch Steg und dennoch fliegt sie in ihrem Taumel sicher vorwärts, über Nebenpfade, die sie nie betreten, überquert Wiesen, um den Weg abzukürzen, findet schmale, schwindelnde Pfade an der Felswand hin.

      Abhänge, Felder, Bäume, Gärten, Häuser, Scheunen, Hecken, alles rast an ihr vorbei. Menschen bleiben stehen, rufen, schreien, lachen hinterdrein. Hinunter, immerzu hinunter. Sie schiesst in die engen Gassen, wie ein Schemen drückt sie sich in der Sonne an der Mauer hin, klein, dunkel, verängstigt. Kaum findet sie noch Atem, in vollem Lauf über den Platz zu rennen; da ist schon die Brücke, der Fluss, den sie so oft von oben gesehen, die weisse, staubige Strasse, die im Bogen nach der Bahn zieht, die Schienen, Herrgott die Schienen! Ihr ist’s, als müsse sie in die Knie sinken, gerade da von dem Bahnhof, im Staub der Strasse, und müsse ihn küssen, diesen Staub, und dann fortstürzen über die Schienen weg, geradewegs in den Zug hinein, der Heimat zu!

      Da gibt’s ihr einen