Meine blauäugige Pantherin. Kingsley Stevens

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Название Meine blauäugige Pantherin
Автор произведения Kingsley Stevens
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783956093210



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gibt immer eine Lösung«, behauptete Sascha. »Man muss nur miteinander reden. Warum bist du gleich mit dem Messer auf ihn losgegangen? Hättet ihr die Sache nicht anders klären können?«

      »Anders?« Tyra lachte böse. »Ich hätte ihn umbringen sollen!«

      Sascha betrachtete sie und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Es war wutverzerrt, ja, aber da war auch noch etwas anderes. Sie stand auf und ging zu Tyra hinüber. Von unten blickte sie hinauf in Tyras verschlossenes Gesicht. Sie ist wirklich groß, dachte sie. Und trotzdem habe ich keine Angst vor ihr. Niemals könnte ich das. »Ich kann mir nur eine Sache vorstellen, die so schlimm ist«, sagte sie leise. »Hat er – Hat er dich . . . angefasst?«

      »Mich fasst niemand an«, schnappte Tyra kalt. »Nicht, wenn ich es nicht will. Such nicht nach einer Entschuldigung. Du wirst keine finden.«

      »Ich würde gern mehr über dich schreiben«, bat Sascha. »Mehr als einen einzigen Artikel. Wenn du mir erzählst, was damals passiert ist –«

      »Das werde ich dir nicht erzählen.« Tyra ging zum Fenster hinüber und ließ Sascha einfach stehen.

      »Tyra –« Saschas Stimme klang weich und sanft. »Du brauchst mir gegenüber keine Rolle zu spielen. Du brauchst dich vor mir nicht zu verstecken. Ich weiß, dass du nicht böse bist. Ich weiß, dass es einen Grund für dein Verhalten gibt, damals wie heute.«

      »Ach, lass mich doch in Ruhe!« Tyra wandte sich ab. »Und ich heiße Tyr. Wenn du mich schon ansprechen willst, dann richtig.«

      »Gut, also dann . . . Tyr«, stimmte Sascha zu. Insgeheim musste sie zugeben, dass das auch besser zu Tyra passte. Und was war schon ein Taufname? Sie betrachtete Tyras abgewandten Rücken. Es war eindeutig, dass sie heute nichts mehr erreichen würde. »Ich werde wiederkommen«, sagte sie sanft. »Ich lasse dich nicht einfach hier verrotten.«

      Von Tyra kam keine Reaktion. Sie rührte sich nicht.

      Sascha klopfte an die Tür, und der Justizbeamte ließ sie hinaus.

      9

      Tyra tigerte von einer Wand der Zelle zur anderen, sechs Schritte hin, sechs Schritte zurück, dann wieder sechs Schritte, bis sie fast mit dem Kopf anstieß, eine schnelle Drehung, sechs Schritte zurück. Es war wie ein Ritual, das sie nicht unterbrechen konnte. So lief sie schon seit Stunden. Die Enge der Zelle machte sie verrückt. Sie konnte das Eingesperrtsein kaum mehr ertragen. Kurz blickte sie zum Fenster hinaus, sah die Gitterstäbe, wandte sich ab.

      Plötzlich blieb sie stehen, als sie die Wand erreicht hatte. Die Drehung fand nicht statt. Stattdessen legte sie den Kopf an die Wand, schien auszuruhen. Sie atmete angestrengt, aber nicht besonders schwer. Ihr Körper war gut trainiert. Selbst stundenlanges Laufen konnte ihn nicht ermüden. Langsam entfernte sie ihre Stirn von der Wand, beugte sich wieder vor, ließ sie erneut liegen. Sie wiederholte die Bewegung schneller . . . und schneller . . . und schneller.

      Ihr Kopf berührte die Wand immer heftiger, auf der Stirn zeigte sich eine gerötete Stelle, wo der raue Putz die Haut aufrieb. Ihr Oberkörper schwang vor und zurück, vor und zurück, die Stirn prallte immer rasender an die Wand, bis ein dumpfes Geräusch in regelmäßigen Abständen die Bewegung begleitete. Die Haut platzte auf, ein Strom feinen roten Blutes floss über die Nase hinunter, beim nächsten Mal über das Auge. Ein purpurner Tropfen landete auf dem grauen Zementboden und dekorierte die eintönige Zelle mit einem Farbtupfer.

      Das Beobachtungsfenster in der Zellentür wurde aufgeklappt. »He, was machen Sie da?« Hastig wurde der Riegel zurückgeschoben und die Tür aufgestoßen. »Sind Sie wahnsinnig? Was soll das?« Der Justizbeamte griff an Tyras Arm und wollte sie davon abhalten, erneut vorzuschwingen und ihren Kopf an die Wand zu hämmern.

      In einer ansatzlosen Bewegung drehte Tyra sich auf einem Fuß herum und säbelte mit dem anderen dem Justizbeamten die Beine weg.

      Er ging in die Knie und stöhnte. »Alarm!«, brüllte er gleichzeitig. »Sie will ausbrechen!«

      Tyra drehte sich erneut. Ihr Blut besprenkelte das Hemd des Justizbeamten mit einem feinen Netz roter Tröpfchen. Sie schwang einen Arm nach hinten und holte zum Schlag aus.

      Durch die Tür stürmten zwei Wachleute herein. Jeder hängte sich an einen von Tyras Armen, und trotzdem wurden sie durch ihre Bewegung herumgeschleudert. Sie klammerten sich an sie wie Äffchen, die den Kontakt zur Mutter nicht verlieren wollten.

      Tyra kämpfte mit aller Kraft und schüttelte die Beiden ab. Sie blickte wild um sich, versetzte dem nächstliegenden Justizbeamten noch einen heftigen Tritt, als er sich an ihrem Bein festkrallen wollte, und sprang aus der Zellentür auf den Gang.

      Sie spürte nur noch eine Bewegung in ihrem Rücken, wollte herumwirbeln, da traf sie ein Schlag an der Schläfe.

      Es wurde schwarz um sie.

      Als sich ihre Augen wieder öffneten, blendete sie grelles Licht. Sie kniff die Lider zusammen. Aus dem grellweißen Einerlei schälte sich ein Gesicht. Es nickte, bevor Tyra es erkennen konnte, und entfernte sich.

      Sie schloss die Augen, sammelte sich und riss sie dann mit Gewalt auf. Der stechende Schmerz in ihrem Kopf ließ sie unterdrückt aufstöhnen. Aber sie hielt es aus. Langsam – wie auf einem Polaroid-Foto – entwickelten sich die Umrisse in ihrer Umgebung zu Gegenständen. Alles war weiß, schmerzhaft weiß.

      »Na, da haben Sie sich ja etwas Schönes geleistet«, sagte eine Stimme an ihrer Seite.

      Sie drehte den Kopf und biss die Zähne zusammen, um den Schmerz nicht herauszulassen.

      »Wir kennen uns«, sagte der Arzt, »von der Aufnahmeuntersuchung.«

      Tyra musste grinsen, was allerdings auch nicht gerade schmerzlos ablief.

      »Ich sehe, Sie erinnern sich«, sagte der Arzt.

      »Ich mag nun mal keine Spritzen«, sagte Tyra. Ihre Stimme krächzte, und sie blickte sich nach etwas zu trinken um.

      »Hier.« Der Arzt hielt ihr eine Schnabeltasse hin.

      Tyra zögerte, doch dann nahm sie die Tasse und trank daraus. Sofort wurde ihr Hals freier.

      »Kennen Sie keinen anderen Weg als Gewalt, um Ihre Probleme zu lösen?«, fragte der Arzt. »Ich dachte, Sie wären intelligenter als die anderen hier.«

      »Wie schmeichelhaft von Ihnen, das von mir zu denken«, bemerkte Tyra sarkastisch. »Was für eine Enttäuschung muss es für Sie sein, festzustellen, dass Sie sich geirrt haben. So etwas haben Ärzte ja gar nicht gern. Ihr seid doch unfehlbare Götter in Weiß.«

      »Ich habe mich nicht geirrt«, sagte der Arzt. »Ich bin gern unfehlbar.« Er grinste. Eine Weile betrachtete er Tyra. »Warum wollten Sie ausbrechen?«, fragte er dann ernst.

      »Ich wollte nicht – Ach, das verstehen Sie ja sowieso nicht.« Tyra winkte ab und gab ihm die Schnabeltasse zurück.

      »Ich glaube, Sie haben es ganz gern, wenn man Sie nicht versteht«, sagte der Arzt. »Das gibt Ihnen ein Gefühl der Überlegenheit.«

      »Was sind Sie? Psychologe?«, fragte Tyra ärgerlich. »Dann sage ich Ihnen lieber gleich, dass ich die noch mehr hasse als Spritzen.«

      Der Arzt schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Psychologe. Sie brauchen mich also nicht mehr zu hassen, als Sie es ohnehin schon tun. Ich suche nur nach einer Möglichkeit, Ihnen zu helfen.«

      »Mir zu helfen?« Tyra spuckte fast aus bei dem Wort. »Das scheint irgendwie eine Epidemie zu sein in letzter Zeit.«

      »Sie lassen sich nicht gern helfen, das ist mir klar«, sagte der Arzt, »auch ohne Psychologe zu sein. Sie kämpfen ganz für sich allein.«

      »Und? Was dagegen?«, erwiderte Tyra unfreundlich. Ihr wilder Blick kehrte zurück.

      »Jetzt sind Sie wieder die Alte!« Der Arzt lachte. »So gefallen Sie mir.« Er blickte auf die Patientenkarte in seiner Hand. »Sie werden bald wieder auf den Beinen sein. Die Gehirnerschütterung