Meine blauäugige Pantherin. Kingsley Stevens

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Название Meine blauäugige Pantherin
Автор произведения Kingsley Stevens
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783956093210



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Für sie ist das Leben ein einziger Kampf. Keine ruhige Minute.«

      »Ja, den Eindruck hatte ich auch«, sagte Sascha leise. »Aber da gibt es noch etwas anderes.« Sie sah Tyra vor sich, wie sie erschöpft den Kopf an der Wand abgestützt hatte, wie ihre Fingernägel sich in den Putz krallten, so verzweifelt, so hilflos. Wie ein Tier im Käfig. So fühlte sie sich, und deshalb schlug sie um sich. Sie wollte frei sein. Jeder will das, dachte Sascha. Das kann man ihr doch nicht verwehren. Es ist ihr gutes Recht.

      Harry seufzte und gab es auf. »Wer nicht hören will, muss fühlen«, sagte er. »Ich hoffe, dass sie im Gefängnis gut auf sie aufpassen und dass sie kein Messer ins Besucherzimmer schmuggeln kann, wenn sie mit dir allein ist.« Er stellte sich vor Sascha hin und blickte sie besorgt an. »Ich sterbe tausend Tode, jedes Mal, wenn du zu ihr gehst. Bitte gib es auf. Du kannst ihr nicht helfen.«

      »Ich kann nicht aufgeben, Harry«, sagte Sascha. »Ich kann sie einfach nicht im Stich lassen. Sie hat niemanden außer mir.«

      »Sie hat Dutzende von kriminellen Freunden. Sollen die sich doch um sie kümmern!«, schimpfte Harry ärgerlich.

      »Und wenn sie sich ändern will?«, fragte Sascha. »Wenn sie nicht mehr so sein will wie diese angeblichen Freunde? Wen hat sie dann?«

      »Sie wird sich nicht ändern.« Harry winkte ab. »Mach deine eigenen Erfahrungen. Du bist alt genug. Aber nimm ein Messer mit, wenn du das nächste Mal zu ihr gehst.«

      »Damit werden sie mich kaum reinlassen.« Sascha lachte. »Es ist süß, wie besorgt du um mich bist, aber ich kann schon auf mich aufpassen.« Sie lachte und verschwand aus der Tür.

      »Das bezweifle ich, mein Kind«, sagte Harry leise zu sich selbst. »Eben das bezweifle ich.«

      6

      Sascha blickte sich im Besucherzimmer, in dem sie allein saß, um. Sie hoffte, dass Tyra kommen würde, aber nach ihrem Abgang das letzte Mal bestand auch die Möglichkeit, dass sie es nicht tat. Tyra beschäftigte sich nicht gern mit ihren Gefühlen, und Sascha trampelte ständig genau auf diesem Punkt herum. Wenn Tyra beschloss, dass sie Sascha nicht mehr sehen wollte, hatte Sascha keine Chance, sie zu zwingen.

      Der Justizbeamte, der die Zellen bewachte, kam zurück. »Sie will Sie nicht sehen«, sagte er. »Sie kommt nicht.«

      Sascha stand auf. »Kann ich nicht vielleicht zu ihr gehen?«

      »In ihre Zelle?« Der Justizbeamte wunderte sich. »Nein, das ist nicht erlaubt.«

      »Gibt es irgendeine Möglichkeit –?« Sascha brach ab und biss sich auf die Lippe.

      »Sind Sie verwandt?«, fragte der Justizbeamte.

      »Nein.« Sascha schüttelte den Kopf. »Ich bin nur eine Reporterin. Ich soll für die Zeitung etwas über sie schreiben.«

      »Über die?« Der Justizbeamte lachte. »Warum schreiben Sie nicht über jemand Nettes?«

      »Sie ist nett!« Sascha setzte ihren trotzigsten Gesichtsausdruck auf. »Lassen Sie mich raus. Ich will gehen.«

      7

      »Dichtung und Wahrheit, hm?« Harry blickte über die Gläser seiner Lesebrille wie ein Maulwurf in Saschas Gesicht. »Mehr Dichtung, würde ich annehmen.«

      »Ich habe nichts erfunden. Das hat sie mir alles erzählt«, erwiderte Sascha beleidigt.

      »Und hast du es auch überprüft? Hast du andere Leute befragt, ob sie die Sache genauso sehen?« Harrys Pupillen hinter den Brillengläsern schienen fragend immer größer zu werden.

      Sascha zog die Schultern unbehaglich hoch. »Ich war in ihrer Schule, aber – dieser Lehrer ist nicht mehr da, und alle anderen haben nur bestätigt, dass sie ein schwieriges Kind war. Intelligent, aber schwierig. Aus problematischen Familienverhältnissen.«

      »Na ja, das steht ja alles hier.« Harry tippte auf das Blatt vor sich. »Vater amerikanischer Soldat. Nicht verheiratet mit der Mutter. Mutter Ungarin. Daher kommt wohl dieser merkwürdige Name, oder?«

      »Ja.« Das hatte Sascha recherchiert. »Es ist eine Abkürzung von Teresa auf Ungarisch.«

      »Ausgerechnet!« Harry lachte. »Wie Mutter Teresa benimmt sie sich nicht gerade!«

      »Sie kann doch nichts für ihren Namen!« In Sascha erwachten Trotz und Beschützerinstinkt.

      »Nein, kann sie nicht.« Harry las weiter. »Na ja, so schlecht ist das gar nicht. So was hatten wir schon lange nicht mehr. Story mit Tränendrüse.«

      »Tränendrüse?« Sascha war empört.

      Harry hob die Hand. »Das ist nicht abwertend gemeint. Man braucht viel Gefühl, um so etwas schreiben zu können, und die haben Polizeireporter meistens nicht. Die Leser – und vor allem die Leserinnen – lesen so etwas sicher gern. Ich denke, das kann ich dem Leitenden Redakteur verkaufen.«

      »Wegen der Tränendrüse«, sagte Sascha enttäuscht. »Mir geht es eigentlich um Gerechtigkeit.«

      »Das allein drückt schon auf die Tränendrüse«, entgegnete Harry etwas schelmisch. »Gerechtigkeit ist mittlerweile ja selbst schon so etwas wie ein Märchen.« Er blickte Sascha an. »Womit ich nicht gesagt haben will, dass du ihr unbedingt Gerechtigkeit widerfahren lässt. Ich glaube nicht, dass sie so ein Unschuldslamm ist.«

      »Das behaupte ich ja auch gar nicht«, verteidigte sich Sascha. »Ich behaupte nur, dass sie in diesem ihrem aktuellen Fall unschuldig ist. Daran glaube ich fest.«

      Harry stand mit den Blättern, die Saschas Artikel enthielten, in der Hand auf. »Der Artikel ist jedenfalls gut, und ich werde mich dafür einsetzen. Das muss dir genügen. An ihre Unschuld glaube ich nicht. Aber es reicht ja auch, wenn du daran glaubst.«

      Er verließ kopfschüttelnd den Raum.

      8

      »Hast du den Artikel gelesen?« Sascha schob ein Exemplar der Zeitung auf dem Tisch zu Tyra hinüber.

      Tyra warf nur einen flüchtigen Blick darauf. »Ich bin damit heute schon von allen Seiten terrorisiert worden«, sagte sie abweisend. »So hatte ich mir das nicht vorgestellt.«

      »Du bist unschuldig!« Sascha starrte sie erregt an, versuchte zu ergründen, warum ausgerechnet die Person, die es am meisten anging, an ihrem eigenen Schicksal kein Interesse hatte. »Ich will, dass die Welt das weiß!«

      »Die Welt? Welche Welt denn?« Tyra gab ein abschätziges Geräusch von sich. »Dein Enthusiasmus in allen Ehren, aber davon kann ich mir nichts kaufen. Hast du heute wenigstens Knete mitgebracht? Du sagtest doch, sie zahlen, wenn das Ganze gedruckt wird.« Sie schaute Sascha auffordernd an.

      Sascha senkte den Kopf. »Es tut mir leid, ich . . . ich habe dich belogen. Es gibt kein Geld. Das heißt –«, sie hob den Blick, »du kannst selbstverständlich mein Honorar haben.«

      »Du hast mich belogen? Du?« Tyra bog den Kopf zurück und lachte. »Du machst dich«, sagte sie dann. Sie stand auf. »Ich bin nur noch einmal hergekommen, um mir die Kohle abzuholen. Wenn du keine hast, war’s das dann wohl.« Sie ging zur Tür.

      »Dieser Lehrer . . .«, sagte Sascha leise. »Warum hast du ihm das angetan?«

      »Was?« Tyra fuhr herum. »Welcher – Oh . . .« Sie brach ab und blickte mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck auf Sascha. »Woher weißt du das?«

      »Für Journalisten sind solche Informationen leicht zu bekommen.« Es war Sascha unangenehm, sich mit fremden Federn zu schmücken, aber ganz sicher war es Tyra egal, ob sie die Information selbst recherchiert hatte oder jemand anderer. Und Harry kannte sie ja sowieso nicht.

      Tyra nickte grimmig. »Er hatte es verdient. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

      »Aber er hat sich für dich eingesetzt! Seinetwegen bist du nicht von der Schule geflogen!« Saschas