Название | Meine blauäugige Pantherin |
---|---|
Автор произведения | Kingsley Stevens |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956093210 |
»Ja – ähm – also . . .« Sascha wand sich. »Eigentlich war ich nur bei einer Verhandlung, und da wollte ich –«
»Nur bei einer Verhandlung? Also hör mal!« Nun fuhr Harry endgültig auf. »Wie sollen wir denn da unser Blatt füllen?« Er schüttelte den Kopf und rollte die Augen zur Decke. »Wenn du schon im Gericht bist, solltest du wenigstens fünf Verhandlungen besuchen und zu jeder zehn Zeilen schreiben, fünfzig insgesamt. Die sind eingeplant.« Mit einem väterlich tadelnden Blick musterte er sie. »Willst du etwa fünfzig Zeilen zu einer einzigen Verhandlung schreiben? So interessant können diese kleinen Unfälle und Straßenverkehrsdelikte ja nun wirklich nicht sein.«
»Es war ein Einbruch. Mit Körperverletzung«, erklärte Sascha. »Der Besitzer des Hauses hat eine Platzwunde davongetragen.« Sie betrachtete Harry gleichzeitig vorsichtig und nachdenklich ein wenig von der Seite, beobachtete seine Reaktion. »Die Sache an sich – vielleicht ist die tatsächlich nicht so interessant, aber die Angeklagte . . . die Angeklagte könnte interessant sein.«
»Die Angeklagte?« Erstaunt runzelte Harry die Stirn. »Eine Frau? Und dann auch noch Körperverletzung? Ist bei solchen Delikten ja eher selten.«
»Ja, sie ist . . . Na ja, sie hat schon ein langes Register«, ging Sascha mehr ins Detail. »Hat als Crash-Kid angefangen und ist dann mit vierzehn das erste Mal im Knast gelandet, weil es vorher nicht ging.«
»Diese Kids.« Harry setzte seine Brille ab. »Wenn sie noch nicht vierzehn sind, werden sie nicht verurteilt, weil sie noch nicht strafmündig sind, und sobald sie das Alter dann erreicht haben, sind sie schon richtige kleine Verbrecher mit viel Übung und Erfahrung.«
»Ja, ich weiß.« Verlegen trat Sascha von einem Fuß auf den anderen. »Dann ist Hopfen und Malz verloren. Man sollte sie früher betreuen.«
»Betreuen?« Harry lachte gutmütig. »Du hast wirklich ein goldenes Herz, Kind! Einsperren sollte man die kleinen Biester und nie wieder rauslassen!«
»Du bist doch gar nicht so böse, wie du tust, Harry.« Beinah zärtlich lächelte Sascha ihn an. »Du denkst doch auch, dass man noch einiges retten könnte, wenn man diesen Kindern früh genug eine Chance gäbe.«
»Die beste Chance, die sie bekommen könnten, wäre, sie ihren unfähigen Eltern wegzunehmen und sie nie wieder in ihre Nähe zu lassen«, brummte Harry.
»Eltern und eine Familie sind sehr wichtig für Kinder«, erwiderte Sascha sanft.
Harry lachte trocken auf. »Mit einem gewalttätigen Alkoholiker als Vater und einer Gelegenheitsnutte als Mutter?« Er senkte leicht den Kopf und warf von unten einen strafenden Blick auf Sascha. »So sollte kein Kind aufwachsen.«
»Da sind wir uns einig.« Sascha fühlte, dass sie Harrys weiche Stimmung ausnutzen musste. Jetzt oder nie. »Bitte, Harry, ich möchte einen Artikel über diese Frau schreiben, nicht nur zehn Zeilen im Gerichtsreport.«
»Diese Frau? Welche Frau?« Harry setzte seine Brille wieder auf und studierte die Korrekturen auf seinem Schreibtisch.
Sascha konnte kaum glauben, dass er das bereits wieder vergessen hatte. »Die, von der ich dir gerade erzählt habe«, erinnerte sie ihn seufzend. »Die von heute aus dem Gerichtssaal.«
»Diese kleine Einbrecherin?« Harry blickte noch einmal erstaunt hoch. »Wieso sollte die mehr als zehn Zeilen wert sein?«
»Sie ist . . . Irgendetwas an ihr ist anders.« Eigentlich konnte Sascha es sich selbst nicht erklären, und doch spürte sie ganz deutlich, dass diese Tyra ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf ging. »Sie ist furchtbar aggressiv –« Sie lachte leicht und schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Sie hat mich ein ›grünäugiges, rothaariges Monster‹ genannt!«
Nun blickte Harry interessierter auf und grinste. »Sie muss sehr gute Augen haben, wenn sie die Farbe von deinen von der Anklagebank aus erkennen konnte.«
Mit einem ein wenig verträumten Gesichtsausdruck wandte Sascha ihr Gesicht zur Decke. »Ihre Augen sind so blau, dass sie damit wahrscheinlich alles durchdringen könnte.« Sie zog leicht die Augenbrauen zusammen, während sie sich an diese blauen Augen erinnerte. »Eine Brille braucht sie bestimmt nicht.«
Als ihr Blick zu ihm zurückkehrte, bemerkte sie, dass Harry sie nachdenklich betrachtete. »Du weißt, dass ich das nicht entscheiden kann, Kleines. Dafür ist der Leitende Redakteur verantwortlich.« Immer noch musterte er sie, wie es ihr schien, auf eine sehr grüblerische Art. »Und der will wissen, warum. Warum du und warum sie. Schließlich bist du nur freie Mitarbeiterin bei uns.« Seine Mundwinkel zuckten. »Und das auch nur, weil du mich so lange vollgequatscht hast, bis ich nicht mehr anders konnte.« Er seufzte, griff erneut an seine Brille, als wollte er sie absetzen, tat es dann aber doch nicht und wandte sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu. »Andere Leute wären froh, mit gerade mal zwanzig so einen Job wie deinen zu haben.« Sein Blick glitt über die Zeilen. »Sie würden gar nicht mehr wollen.«
»Ich bin aber nicht andere Leute«, entgegnete Sascha trotzig.
»Wie wahr, wie wahr.« Endgültig gab Harry es auf, arbeiten zu wollen, und erhob sich. »Also gut, Kindchen, ich werde mit ihm sprechen«, bemerkte er mit einem entsagungsvollen Ausdruck im Gesicht wie ein Vater, der seiner Tochter das mit den Blumen und den Bienen einfach nicht erklären kann. »Mach schon mal ein Interview mit der Tante, vielleicht findest du dabei ja einen Aufhänger.« Er hob seine buschigen, schon etwas angegrauten Brauen. »Ich sehe bisher noch keinen, muss ich dir ehrlich sagen.«
»Ein Interview?« Weit riss Sascha die Augen auf.
»Ja, was dachtest du denn?« Nun schmunzelte Harry sichtlich. Das erlebte er auch nicht zum ersten Mal bei jungen Leuten, dass sie vorpreschten und dann Angst vor ihrer eigenen Courage bekamen. »Dass du in einem Artikel Spekulationen verbraten kannst, irgendwelche Gefühle oder Vermutungen?« Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust, blickte ernst auf sie hinunter. »Nicht in unserer Zeitung, mein Schatz. Wir brauchen Fakten, und das nicht zu knapp.«
Hektisch zischten die Gedanken durch Saschas Kopf, und sie suchte verzweifelt nach einem Ausweg. »Ich könnte ihre Akte studieren«, stieß sie atemlos hervor.
Auch wenn sie im Gerichtssaal durchaus das Bedürfnis gehabt hatte, diese Tyra näher kennenzulernen, mehr über sie zu erfahren, deren gezischte Verabschiedung hatte dieses Bedürfnis doch sehr gedämpft. Saschas Interesse war mehr theoretischer Natur, wie sie es aus der Schule und der Uni kannte. Die praktische Umsetzung war immer weit entfernt gewesen und schreckte sie auch jetzt. Sie schrieb lieber über Dinge, als dass sie sie erlebte.
»Wenn du die bekommst«, wandte Harry zweifelnd ein. »Ich glaube, das wird schwierig sein.« Er setzte sich wieder. »Außerdem: Was sagt eine Akte schon aus?«, fuhr er aus den Tiefen seiner Korrekturzettel, denen er sich erneut zu widmen versuchte, fort. »Da steht drin, wie lange sie im Gefängnis war und weshalb, mehr nicht. Du willst doch eine Personality-Story machen, oder habe ich dich da falsch verstanden?« Kurz blickte er hoch, aber er erwartete eigentlich gar keine Antwort, wie deutlich zu erkennen war, denn sofort kehrte sein Blick zu den Zetteln zurück.
Für einen Moment stand Sascha wie erstarrt da. Auf einmal merkte sie, wie viel mehr an ihrer Idee dranhing. Worauf ein erfahrener Journalist wie Harry sie leicht aufmerksam machen konnte, während sie selbst gar nicht daran gedacht hatte.
»Ähm, eigentlich wusste ich bisher noch gar nicht, was ich machen –«, setzte sie an, brach aber gleich wieder ab. »Eine Personality-Story. Natürlich, was denn sonst?«, bestätigte sie dann fest.
Wenn Harry ihr schon so ein Stichwort gegeben hatte, dann sollte sie das auch ausnutzen, auch wenn sie jetzt noch nicht wusste, was so eine Story beinhaltete. Jedenfalls sicher viel mehr als nur ein paar Zeilen für den Gerichtsreport. Und das hatte sie ja gewollt. Oder nicht?
Harry nickte. »Mach nur, Kind, mach nur«, murmelte er undeutlich, und Sascha merkte, dass sie für ihn eigentlich schon gar nicht mehr da war.
3