Название | REVOLUTION AUTOMATON |
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Автор произведения | Hendrik Kühn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958354777 |
Als ich das Gebäude verlasse, schlagen mir Motorenlärm und das matte Licht des bewölkten Himmels entgegen. Chaotische Fluchtbemühungen spielen sich vor mir ab, auf einem Parkplatz, der sich binnen weniger Sekunden leert. Verängstigte Menschen rennen zu ihren Autos wie Ratten vom sinkenden Schiff, bis nur noch ein Auto vor dem violetten Horizont wartet. Es ist meines, und ich laufe wieder, nehme die Schlüssel in die Hand und entriegle die Türen des Coupés mit der Fernbedienung. Ich springe hinein, starte den Motor, beschleunige durch einen seichten Graben und rase dann vom Gelände. Eine leere Pforte mit geöffneter Schranke passiere ich mit Hochgeschwindigkeit. Die Schlaglöcher der unbefestigten Straße werfen mich von einer Seite zur anderen und Staub wirbelt hinter mir auf. Flüchtig schaue ich zurück, kann jedoch niemanden erkennen und sehe nur ein bedrohliches Gebäude, das sich wie ein riesenhaftes Containerdorf auf der Ebene ausbreitet. Mit jedem Meter, den ich zurücklege, werden Gebäude und Sperrzaun kleiner, bis sie vor dem violetten Horizont verschwinden. Irgendetwas ist noch dort, denke ich, und stelle mir vor, wie es durch seine Räume streunt, sie kontaminiert und entseelt. Doch der Vernehmer, der ist nicht mehr da.
Der Weg führt mich von einem Nadelwald über ein brachliegendes Feld bis in ein menschenleeres, mir unbekanntes Dorf, dessen brüchige Häuser wie Ruinen in der Landschaft stehen. Das ist die Pampa Brandenburgs, ahne ich, aber erst als am Ortsausgang Berlin ausgeschildert ist und ich über Umwege auf eine Bundesstraße komme, fühle ich eine eigenartige Sicherheit über meine Existenz. Ich greife fest in das Lenkrad, drücke mich in den Sitz und frage mich: Habe ich das alles nur geträumt? Ich schaue hinauf zum Himmel, der zu einem natürlichen Grau zurückgekehrt ist, dann in den Rückspiegel des innen von der Dämmerung verdunkelten Autos. Allein das matte Weiß meiner Augäpfel gibt sich im Kontrast zu erkennen, meine Haut entzieht sich dem Licht der verstreichenden Sonne. Meine Pupillen sind groß und starr beim Blick in den Spiegel und hatte ich gerade das Gefühl, dass meine Augen mich ansehen, bin ich es nun, der sie ansieht. Ja, ich bin wieder wach, aber noch benebelt von meinem Traum. Ich war von der Erdoberfläche verschluckt und bin wiederaufgetaucht, aufgetaucht in der Wirklichkeit, auf bekannten Straßen, inmitten unzähliger Autoschlangen im Feierabendverkehr und unbescholtener Menschen, die Radio hören, telefonieren und Gespräche mit ihren Begleitern führen. Gott sei Dank, ich habe das alles nur geträumt. Doch was ist das? Ich ziehe einen gelben Zettel von der Armatur und schaue ihn mir genauer an. Das Wort Lauterkeit ist mit blau-grauer Kugelschreibertinte unzählige Male auf dem Zettel nachgezeichnet, tief wie eine Prägung. Das ist meine Schrift, ich erkenne sie, aber ich kann mich nicht erinnern, das Wort geschrieben zu haben.
Der Hausmeister
Der Schlüssel rotiert im Schloss und die Spannung im Holz schiebt die Wohnungstür auf. Erschöpft, blutarm und noch vom Albtraum geschockt, fasse ich am Griff vorbei. Statt hineinzugehen, stehe ich immer noch davor und schaue in den Schatten meiner vereinsamten Wohnung, als wäre ich tagelang nicht mehr hier gewesen. Genauso benimmt sich mein Körper, mit dem Gefühl der Wiederkehr in eine fremde und unbewohnte Stätte, die lange leer stand und entstaubt und mit Leben gefüllt werden muss. Ich kenne das, aber es ist intensiver als sonst und wäre meine Energie nicht versiegt, würde ich sofort eintreten und genau das tun … die Räume beleuchten, die Heizung aufdrehen und Musik anmachen. Stattdessen schwimmt mein Geist und meine Gedanken treiben davon, assoziieren die unangenehme Leere mit einem Aderlass. Ich bin so kraftlos, als pumpe mein Herz in die Leere der offenen Adern. Gleich welchen Gedanken ich beginne, er wandelt sich in wenigen Zügen in die Sehnsucht nach meinem Bett mit der anheimelnden Daunendecke, die sich an meinen Körper schmiegt. Das Licht im Treppenhaus erlischt. Meine Hand tastet am Türrahmen vorbei in meine Wohnung und drückt den Lichtschalter. Vergebens. Kein Funke und kein Knall, um mich herum ist alles stockfinster.
Behäbig laufe ich durch die Dunkelheit bis zur Küche, halte mich an der Kommode und dem Türrahmen fest, stoße ein gerahmtes Porträt meiner Eltern um und falle beinahe über den Wäschekorb, als ich feststelle, dass dort das Licht auch nicht funktioniert. Die Glühbirnen im Flur und der Küche werden ja wohl nicht zur gleichen Zeit kaputtgegangen sein, überlege ich und spüre, dass mein Fuß in eine schmierige Pfütze getreten ist. Die Feuchtigkeit wandert binnen Sekunden durch mein löchriges Schuhwerk und sammelt sich zwischen meinen Zehen. Mit meinem Handy beleuchte ich die Lache und stelle fest, dass der Kühlschrank ausgelaufen ist. »Das kann doch nicht wahr sein …« Ich bin müde, todmüde sogar, und mein Körper schmerzt, von oben herab, bis in die Fingerspitzen und verschlingt mich. Er trennt meinen Verstand von der Welt … nur der nasse Fuß erinnert mich daran, dass es nicht so ist. Ich hebe ihn, lasse ihn abtropfen, ziehe dann Schuhe und Socken aus, und stelle alles zur Seite. Beim Herunterbeugen höre ich plötzlich ein Fiepen in beiden Ohren, sehe farbige Kreise in der Dunkelheit und spüre ein trockenes Brennen in meinem Hals. Auf der Spüle befindet sich eine zimmerwarme Wasserflasche aus papierdünnem Plastik, die ich mit einem gewissen Ekel trinke. Die fade Kohlensäure schäumt und lässt mich aufstoßen, der Nachgeschmack erinnert mich an meine Kindheit, an jene verregneten Tage, an denen ich im muffigen Keller Verstecken gespielt habe. Das sind schöne Erinnerungen, aber heute ist offensichtlich nicht mein Tag. Ich fühle mich beschissen, anders kann ich es nicht ausdrücken.
Es klopft plötzlich an der Tür. Ich taste mich zurück und orientiere mich an dem kleinen Lichtpunkt, den die Beleuchtung des Treppenhauses durch den Türspion wirft. Helmut, natürlich. Er ist unser altgedienter Hausmeister … beinahe hätte ich ausgedient gesagt … der seinen grauen Cord-Hut wie eine Arbeitsuniform trägt. Einmal habe ich ihn ohne getroffen, er war gerade mit seiner Frau auf dem Weg zu einer Beerdigung, und er sagte mir, er wäre privat unterwegs und hätte deshalb keine Zeit. Die Sprechzeiten seiner üblicherweise Rund-um-die-Uhr-Aufgabe konnte ich danach wieder an seiner Kopfbedeckung ablesen. Eines vorweg: Helmut ist nicht in Ordnung. Er ist ein aufdringlicher, suspekter Typ, dem ich nicht über den Weg traue. Er ist undeutbar, sowohl als Charakter als auch als biologisches Wesen. Ich kann nicht einmal sein Alter genau schätzen, aber so lange ich ihn kenne, sieht er nach Rente aus. Was man aber mit Gewissheit sagen kann: Er ist immer der Erste vor Ort. Der Strom fällt aus und schon steht er vor meiner Tür, mit seiner grimmigen Miene, die der Türspion wie eine Karikatur verzerrt. Am liebsten würde ich ihm gar nicht öffnen, aber spätestens morgen stünde er doch wieder vor meiner Tür, mit seinem Cord-Hut und seinen guten Absichten. Widerwillig mache ich ihm die Tür auf und der beißende Geruch von Salami und Butter macht ihn vorstellig.
»Ick hab jesehn, dass du jetze jekommen bist, Simon«, sagt er, als sei es ungesetzlich und schaut mich dabei unverwandt an. Sobald er bemerkt, dass ich mitbekomme, wie er mich anschaut, wendet er seinen Blick rasch ab und schaut in meine Wohnung. »Wir hamm Probleme mit de Elektrizität.«
»Das habe ich gerade festgestellt«, sage ich. »Mein Kühlschrank ist nämlich abgetaut.«
Ein süffisantes Grinsen steht in seinem Gesicht. »Dit muss ja ooch regelmäßich, wa?«
»Der hat eine automatische Abtauvorrichtung, aber frag mich nicht, wie die funktioniert.«
»Ach so. Wie ooch immer, im janzen Haus sind heute die Sicherungn rausjeflogn. Die Hauptsicherungn, inne Wohnungn, überall. De Elektrika war schon hier u nun gehts wieda. Janzen Tach hattn wa Ärga.«
»Verrückt. Wie ist denn das möglich?«
»Jute Frage. Ditt weeß ick nich jenau, aber de vonne Stadtwerke sagn, dass sonne Internethacka uffe Netze zugreifn. Aber hey, du musst de Sicherungn wieda reinmachn.« Er zeigt auf den graulackierten Blechkasten neben meiner Tür, den ich hätte suchen müssen, wenn er