Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388829 |
Nicht ohne wehmütige Betrachtungen kann man das Kinderbild Wenzels in Prag sehen, das morgenfrische Gesicht mit dem neugierig ins Leben schnuppernden Stumpfnäschen. Aus solch einer Knospe kann so viel Verwilderung, Unrat, Unglück erwachen! Es läßt sich denken, daß nicht Bösartiges, sondern etwas Kindliches, Unentwickeltes in seinem Charakter ihm zum Verhängnis wurde. Gegen die Kurfürstenaristokratie, die seines Vaters Grundgesetz als gleichberechtigte Regenten neben den Kaiser gestellt hatte, konnte er nicht aufkommen, sie kanzelten ihn ab und bevormundeten ihn wie einen Schüler, und er hatte wohl genug Selbstgefühl, um sich gegen ihre Überheblichkeit zu empören, aber nicht Überlegenheit genug, um sie abzuwehren. So blieb er denn in Böhmen als ein swyn in seinem Stalle, wie der deutsche Chronist sagte. Es scheint, daß sein Charakter sich mit den Jahren verschlechterte, daß er sich ungezügelten brutalen Aufwallungen überließ; seine Trunksucht wurde einer Vergiftung zugeschrieben, infolge derer er an dauerndem Durst gelitten habe. Die Sage hat sich überhaupt mit Wenzel viel beschäftigt; wie sie die verehrten Kaiser schmückte, so verunholdete sie den verachteten: sie läßt seine erste Frau durch seine Jagdhunde erwürgt werden, läßt ihn selbst Hand anlegen bei der Folterung seiner Feinde, läßt ihn die edelste Krone der Christenheit gegen ein Faß Bacharacher Wein verhandeln. Ausgehend von der Vorstellung des Hochgeborenen als des Schönen und Edlen erzählte man sich, daß der angebliche Königssohn ein untergeschobenes Kind und eigentlich der Sohn eines Schusters sei. War das auch nicht so, denkt man doch daran, wenn man mit Wenzel seinen Halbbruder Siegmund, den Sohn der Elisabeth von Pommern, vergleicht. Es erscheint wie ein Wunder, daß nach dem abseits schmollenden, halb tollen Wenzel, und nachdem auch das ehrliche Streben Ruprechts von der Pfalz vollständig gescheitert war, noch einmal ein Kaiser erschien, der seine Aufgabe im großen Sinne auffaßte und das edelste Zepter der Christenheit noch einmal wie einen Zauberstab gebrauchte. Hebt sich sein gekröntes Bild von der ungläubig gewordenen Zeit auch wunderlich grotesk ab, so überhaucht es der unheilbare Gegensatz zwischen seinen imperatorischen Ansprüchen und den in der Zeit liegenden Möglichkeiten sowie zwischen seinen Ansprüchen und der eigenen Persönlichkeit auch mit tragischem Schmelz. Schon äußerlich war Siegmund so, wie die Deutschen ihren Kaiser zu sehen liebten, blondhaarig, schön von Wuchs und schön von Angesicht, so schön, daß ihn Maler als Vorbild für einen der Heiligen Drei Könige wählten. Ein echter Vertreter des Römischen Reichs Deutscher Nation war er auch darin, daß sich das Blut verschiedener Rassen in ihm mischte, und daß er doch ganz Deutscher war, sich ganz als Deutscher fühlte. Die Heiterkeit seines schönen Gesichts war nicht nur die des Königs, der über seinem Volke wie die Sonne leuchtet, sondern auch die einer in ihrer Fülle glücklichen Natur. Er hat einmal gesagt, ein guter König müsse zugleich gefürchtet und geliebt werden. Vielleicht wurde er mehr geliebt als gefürchtet; aber er konnte auch hart, ja grausam nach den Gewohnheiten der Zeit strafen, wenn es ihm nötig schien, und die eigensüchtigen, widerspenstigen deutschen Fürsten würden sich sicher nicht aus bloßer Liebe gebeugt haben. Er wußte zu herrschen und zu gebieten innerhalb der Grenzen, die damals vorhanden waren, und er gab nach oder zog sich zurück, wenn er sich diesen Grenzen näherte. Was die Menschen anzog und überwand, war die unbefangene Menschlichkeit dieses Hochgestellten. Er glaubte nie, sich etwas zu vergeben, wenn er sich gab, wie er war, und wenn er, wie es wohl geschah, sich allzusehr gehen ließ, den Abstand zwischen dem Kaiser und dem Volk zu wenig wahrte, so hat das doch seinem Ansehen nicht schaden können. Was immer, besonders aber auf dem Throne, selten ist, er hatte Freunde, die er liebte und denen er treu blieb, manchmal mehr, als sie es ihm waren. Einen Unterschied der Geburt machte er nicht, wie es denn auch angenehm auffiel, daß er niemanden mit du, alle mit Ihr anredete; zu seinen Freunden gehörte so gut der Burggraf Friedrich von Nürnberg wie der Florentiner Pippo Spano, sein Feldherr, den die Legende zu einem Kind des Volkes gemacht hat, wie der Bürgersohn aus Eger Kaspar Schlick. Die Freunde machte er mit vollen Händen reich, nie berechnend, ob ihm auch sein Vertrauen vergolten würde.
Er schenkte nicht, um sich Freunde zu machen, sondern weil Verschwenden seine Natur war; einmal, als ihm eine gewisse Menge Dukaten gebracht wurde, verteilte er sie sofort unter die Anwesenden. Allerdings liebte er festliche Geselligkeit, Pracht und Überfluß und gab achtlos Geld dafür aus, das wichtigeren Zwecken hätte dienen sollen. Seine Unfähigkeit, gut zu wirtschaften, lähmte seine Regierung, der Mangel an Geld, das verhängnisvolle Übel der römischen Könige des 14. und 15. Jahrhunderts, hinderte nicht nur die Ausführung seiner Pläne, sondern brachte ihn auch persönlich in beschämende Lagen. Ganz fehlte ihm die Feldherrngabe, niemals hatte er Glück im Kriege, was ihn nicht hinderte, es immer wieder zu versuchen. Persönlich mutig war er in hohem Grade: als einmal ungarische Barone ihn absetzen wollten und ihn mit dem Schwert bedrohten, sah man ihn nicht erschrecken, und seine Kaltblütigkeit entwaffnete sie. Ebenso unerschrocken benahm er sich bei Gelegenheit eines Brandes und Aufruhrs in Perpignan. Besonders auffallend war seine sprachliche Begabung: er beherrschte außer der deutschen die lateinische, böhmische, ungarische, französische und englische Sprache. Seine Gewandtheit im Ausdruck war so groß, daß er auch unvorbereitet über die schwierigen, meist so verwickelten staatlichen und kirchlichen Probleme der Zeit reden konnte. Seine Witzworte und treffenden Aussprüche sind von den Zeitgenossen gesammelt worden. Er war sich bewußt, daß das Wort ihm ein Übergewicht gab; oft hat er versucht, und manchmal mit Erfolg, durch seine Überredungskunst scheinbar unlösliche Verwickelungen zu entwirren. Seine persönliche Art, sich zu äußern, machte sich sogar in seiner Kanzlei bemerkbar. Auch wo er es nicht ausdrücklich sagte, spürt man doch in seinen Worten sein Gefühl für die Größe, für die Schönheit und Tragik des menschlichen Lebens.
Es scheint, daß Siegmund schon früh nach der Kaiserwürde als nach der ihm bestimmten Aufgabe strebte. Gegen das Ende seines Lebens sagte er einmal, die deutsche Krone könne nicht zu Lust und Ehre getragen werden, sie sei eine schwere Bürde, die den, der sie trage, fast erdrücke. Im Beginn seiner Regierung verkannte er die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich kaiserlicher Wirksamkeit entgegenstellten, wohl nicht, aber im Gefühl überschwenglicher Jugendkraft traute er sich doch eher zu, ihrer Herr zu werden. Seine Auffassung des Reiches war durchaus mittelalterlich. Das Heilige Reich war für ihn der Mittelpunkt des Abendlandes, der Kaiser Herr der Welt, ohne Besitzer zu sein, als der Quell von Recht und Frieden. Den Rechtszustand und den Frieden im Abendlande herzustellen erschien ihm deshalb als seine dringendste Aufgabe, und der erste Schritt dazu war die Beseitigung des Schismas.
Die Tatsache, daß es unter den Kardinälen eine französische und eine italienische Partei gab, welche letztere verlangte, daß der Papst womöglich Italiener sei, jedenfalls aber seinen Sitz in Rom, nicht in Avignon habe, führte schließlich dazu, daß zwei Päpste sich gegenüberstanden, die, auf rechtmäßige Wahl gestützt, allgemeine Anerkennung beanspruchten, wozu schließlich noch ein dritter kam, durch den man gehofft hatte, die beiden anderen