Häupter der Christenheit wie ein krauses Sinnbild allgemeiner Entartung. Das Bewußtsein der Verwilderung sowohl im Bereich des Seelischen wie der staatlichen und kirchlichen Organisation war in allen Kreisen lebhaft und deutlich. Äußerte es sich im Volke in Angriffen auf die führenden Kreise, auf die hohe Geistlichkeit, die Fürsten, die Stadtregenten, den Adel, so erkannten die Führenden selbst das Verrottete der Einrichtungen und die Unvereinbarkeit vieler alter Einrichtungen mit veränderter Lebensunterlage. Daß alles von Grund auf anders werden müsse, war allgemeine Meinung, allgemeines Gefühl; man nannte das die Reformation an Haupt und Gliedern. Für den Kaiser war es natürlich, daß er als die Hauptsache die Wiederherstellung des alten Verhältnisses zwischen Kaiser und Papst ansah. Hatte sich doch gezeigt, wie unzertrennlich die beiden Gewalten zusammenhingen, wie gerade die Maßregel, durch welche die Päpste sich von den Kaisern unabhängig zu machen suchten, die Übersiedelung nach Avignon, zu ihrer Erniedrigung und ihrem Sturz geführt hatte. Daß die Länder je nach ihrer politischen Einstellung verschiedene Päpste anerkannten, Frankreich den in Avignon, das Reich den von Rom, führte zu den ärgsten Unzuträglichkeiten. In Frankreich selbst sah man endlich ein, daß das Papsttum nicht von Rom getrennt werden könne, wozu kam, daß die Kosten, sich einen eigenen Papst zu halten, für Frankreich allmählich zu drückend wurden. Die Universität von Paris, neben Bologna und Oxford die älteste und berühmteste des Abendlandes, unbestritten die maßgebende auf dem Gebiete der Theologie, vertrat durch ihren Kanzler Gerson, einem durch Charakter und Gelehrsamkeit hervorragenden Manne, die Theorie, daß ein Konzil, nämlich die gesamte Geistlichkeit des Abendlandes, über dem Papst stehe und berufen sei, die zerrüttete Kirche und ihre Beziehungen zu den Staaten zu ordnen. Indessen schon zur Zeit Ludwigs des Bayern hatten die Gegner des Papstes ein Konzil als Schiedsrichter gefordert, und seitdem war der Ruf nach einem solchen immer wieder erhoben worden. Unendliche Beratungen, Gesandtschaften, Veröffentlichungen beschäftigten sich mit der Frage, ob die Aufhebung des Schismas durch Abdankung der Päpste, durch zwangsmäßige Absetzung, durch ein Konzil oder wie sonst zu erreichen sei. Wurde auch eine gewisse Einigkeit der maßgebenden Länder und Persönlichkeiten in bezug auf das Konzil hergestellt, so war doch über die Frage, wer es einzuberufen und wo es stattzufinden habe, keine gütliche Einigung abzusehen, und es ist überraschend, in wie kurzer Zeit Siegmund, als er in seiner Eigenschaft als Kaiser die Angelegenheit wie selbstverständlich in seine Hand nahm, zum Ziele kam. Mit Benützung der Umstände, die die augenblickliche politische Lage bot, überredete er Johann XXIII., sich dem Konzil zu stellen und brachte es sogar dahin, daß eine deutsche Stadt, Konstanz am Bodensee, zum Versammlungsort bestimmt wurde. Für dreieinhalb Jahre wurde die reizende gastliche Stadt, die an Strom und See lagernd wie mit ausgebreiteten Armen den Vorüberziehenden Willkommen zu winken scheint, der Mittelpunkt des Abendlandes, wo die Würdenträger und Gebildeten aller christlichen Länder zusammenkamen. Am 30. Oktober des Jahres 1413 gab Siegmund in Como der Christenheit bekannt, daß am 1. November 1414 ein allgemeines Konzil eröffnet werde. Dann traf er in Lodi mit dem Papst zusammen und überredete ihn dazu, daß er am 9. Dezember die Einladungsbulle vollzog und nach Konstanz zu kommen versprach. Da sich Johann XXIII. von dort nach Bologna begeben wollte, begleitete Siegmund ihn nach Cremona, das damals einem Gewalthaber, namens Gabrino Fondolo, unterstand. Um den hohen Gästen Unterhaltung zu bieten, führte er sie auf einen Turm, der ihnen Aussicht über die breite Ebene der Lombardei gewährte. Es ging dem Manne durch den Kopf, als er die beiden Herren sich Ausschau haltend über die Zinnen beugen sah, daß er das Leben der beiden höchsten Häupter der Christenheit in der Hand habe: ein kräftiger Stoß, und sie lägen zerschmettert unten. Es war nur ein Prickeln, das den des Mordes nicht ungewohnten Mann anwandelte; einen greifbaren Vorteil versprach er sich nicht davon, und so stiegen Kaiser und Papst, höfliche Gespräche austauschend, gelassen den Turm hinunter. Langsam zog Siegmund nach Turin und durch die Schweiz an den Rhein, errichtete in Nürnberg einen Landfrieden für Franken und unterzeichnete am 18. Oktober in Speyer einen Geleitbrief für den Professor an der Prager Universität Johann Huß, der eingewilligt hatte, sich in Konstanz über seine angeblichen Irrlehren zu erklären, wenn der Kaiser ihm seinen Schutz zusage. Einige Tage später traf der Papst in Konstanz ein, unwillig und voll trüber Ahnungen, aber doch nicht wagend, das einmal gegebene Versprechen rückgängig zu machen. So konnte am 5. November das Konzil eröffnet werden. In der Weihnachtsnacht setzte Siegmund, von Überlingen kommend, wo er kurz zuvor eingetroffen war, über den See und landete um 4 Uhr morgens in Konstanz. Mit seiner schönen Frau Barbara begab er sich sofort in das Münster.
Die Anwesenheit des Kaisers machte sich durch einen Aufschwung der Tätigkeit bemerkbar; so war es aber doch nicht, daß alles nach seinem Willen gegangen wäre. Die Beseitigung des Schismas war ihm das wichtigste, weil dadurch erst eine Grundlage hergestellt wurde, auf der die weitere Entwicklung möglich war, dann sollte die Reformation an Haupt und Gliedern in Angriff genommen werden. Dieser vom Volke ersehnten und von allen bedeutenden Männern als notwendig erkannten Reformation aber setzte sich von allen Seiten Eigennutz und Trägheit entgegen, Einmütigkeit dagegen herrschte beim Klerus in dem Wunsche nach Ausrottung der Ketzerei, wodurch zugleich die Kritik und Angriffslust auf einen anderen Gegenstand abgelenkt wurde. Es zeigte sich, daß es leichter ist, Menschen von dem, was sie mit Recht verfolgen würden, abzuziehen und auf Unschuldige oder minder Schuldige zu hetzen, als Jagdhunde von der rechten Fährte. Siegmund hatte nichts von der schwärmerisch abergläubischen Kirchlichkeit seines Vaters, wenn man ihn fromm nennen wollte, war es höchstens die Frömmigkeit gesunder Sinne und eines ungetrübten Geistes; wenn er, wie jener als Diakon gekleidet, bei der Messe diente und mit wohllautender Stimme seinen Part sang, war das ein Mitmachen von Gebräuchen, das zu seinem Amt gehörte. Er war frei von Vorurteilen und beschützte wie einst Friedrich II. die Juden, die wegen angeblicher Ritualmorde verfolgt wurden; aber er wußte, daß er, wollte er überhaupt Kaiser sein, nur ein katholischer Kaiser sein konnte, Schirmherr des Papstes und des rechtmäßigen Glaubens. Die Verpflichtung, den Kirchenglauben rein zu halten, war der Kaiserwürde so wesentlich innewohnend, daß er nicht daran denken konnte, gleichgültig gegen offenbare Ketzerei zu sein oder sich gar auf ihre Seite zu stellen. Sein Wunsch war, als er Huß zum Besuch des Konzils einlud, das durch ihn in Böhmen erregte Ärgernis zu beseitigen, woran er als künftiger König von Böhmen, Nachfolger seines Bruders Wenzel, das größte Interesse hatte. Huß war auf seiner Reise durch Deutschland überall teils mit Neugier, teils mit Achtung aufgenommen; in Nürnberg überreichten ihm drei böhmische Herren Siegmunds Geleitbrief, und in Konstanz, wo er Anfang November eintraf, empfing ihn auch der Papst freundlich. Ein Umschwung erfolgte durch böhmische theologische Gegner, die gegen ihn wühlten und auf die Gefahr der Verbreitung seiner Lehre hinwiesen. Huß wurde angewiesen, die Ausübung geistlicher Funktionen zu unterlassen, und da er sich weigerte, von den Böhmen angeklagt und vom Papst vorgeladen. Jetzt hielt sich Huß für gefährdet und entfloh; er begriff mit einem Male, da er die Art der Ketzergerichte kannte, was ihm in der Fremde unter Gleichgültigen oder Feinden drohte. Verfolgt und zurückgebracht, wurde er nunmehr als Gefangener und Angeklagter behandelt. Als Siegmund seine Gefangennahme erfuhr, wurde er zornig, ein Beweis, daß er sie als Bruch seines Geleitbriefes auffaßte; aber er bestand nicht darauf, daß er in Freiheit gesetzt würde. Huß hatte sich, als er von Prag abreiste, vom dortigen Erzbischof bestätigen lassen, daß er kein Ketzer sei, und auch Wenzel behauptete und setzte seinen Stolz darein, daß es in Böhmen Ketzereien nicht geben könne. Huß selbst war überzeugt von der Richtigkeit seiner Lehre und erklärte sich bereit, wie alle Verkündiger reformatorischer Lehren taten, wenn man ihn seiner Irrlehre überwiese, diese aufzugeben; aber der Maßstab sollte einzig die Heilige Schrift sein, während für die rechtgläubigen Katholiken außerdem die Tradition, die Kirchenväter, die kanonischen Bücher, die Entscheidung früherer Päpste, der Wille des Papstes in Betracht kamen. So sehr war Huß überzeugt, das Rechte und Gute zu wollen, hatte auch so oft erfahren, welche Macht seine Rede über die Hörer hatte, daß er sich beinah darauf freute, die glänzende Versammlung durch die Macht seiner Gründe und Anschauungen zu gewinnen. Siegmund lag daran, die in Böhmen durch Hussens Lehre entstandenen Wirren zu schlichten, seine Verständigung herbeizuführen; Hussens Verdammung wünschte er nicht. Es läßt sich wohl die Ansicht rechtfertigen, Siegmund habe dem Urteil des Konzilgerichts nicht vorgreifen können, sein Geleitbrief habe also nur Schutz auf der Reise und etwa noch freie Verteidigung auf dem Konzil, nicht aber die Gewähr für straffreien Ausgang des Prozesses bedeuten können; allein Huß hatte das Gefühl, daß ihm Siegmund Schutz und Sicherheit überhaupt während