Ypsilons Rache. Lou Bihl

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Название Ypsilons Rache
Автор произведения Lou Bihl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949286032



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die wir für eine emotionale Heimat noch immer unabdingbar fanden. Irgendwann hatten wir nach einigen Drinks verabredet, uns dieser Frage mit siebzig noch einmal zu stellen.

      Zum Abschied umarmten wir uns lange und innig.

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      Seit ihre neue Segmental Body Composition-Waage ein ungünstiges Fett-Muskel-Verhältnis angezeigt hatte, ackerte Irmgard zwei bis drei Mal pro Woche in unserem Fitnessclub.

      Vom Total Abdominal Trainer, einem Neuerwerb des Studios, mit dem neben dem Sixpack auch die Hüftbeuger modelliert werden sollen, warf Irmgard mir einen Blick zu, den ich als Symptom der Qual ihrer abdominalen Fronarbeit wertete. Statt mit ihrem üblichen Hi-Hi begrüßte sie mich mit »Guten Tag, Kris«, und sofort war klar, dass nicht das Gerät ihr die Laune verdarb. Ohne mir einer Verfehlung bewusst zu sein, ging ich reflexhaft in den Befriedungsmodus und erkundigte mich nach ihrem Befinden.

      »Ich bin ja nur deine Exfrau und Hausärztin«, schnappte sie und ließ die Griffe des Bauchtrainers los, die ruckartig nach oben schnalzten. Beim Thema Hausärztin war Irmgard empfindlich, schließlich hatte auch sie von einer Facharztkarriere nach dem Studium geträumt. Doch dann hatte uns eine Pillenpanne Maren beschert. Damit bekam nicht nur ihre medizinische Laufbahn einen Knick, auch die musikalische Leadership als Sängerin bei der Pankower Freiheit blieb auf der Strecke. Beides hatte sie uns beiden übelgenommen.

      »Es ist immer dasselbe mit dir – du merkst einfach nicht, was du mit Menschen machst, die es gut mit dir meinen.«

      Ich wäre geflohen, hätte ich die Endorphine nicht so nötig gehabt, außerdem verlangte die Röllchenbildung an meiner Mitte nach regelmäßigem Workout. Schon immer hatte ich es als Ungerechtigkeit der Schöpfung empfunden, dass die männliche Wampe die Körperästhetik so viel mehr stört als das Bäuchlein der reiferen Frau.

      »Lass mich einfach in Ruhe trainieren, solange ich noch fit genug bin«, versuchte ich, mich in Richtung Laufband davonzustehlen. Aber Irmgard hielt mich fest. So sei das ja nicht gemeint gewesen. Ob ich sie nach dem Training zu einem Eiweißdrink einladen mochte.

      »Wir trinken einen Smoothie«, stimmte ich zu. In unseren Ehejahren hatte ich gelernt, Friedensangebote auch dann nicht auszuschlagen, wenn ich den Kriegsgrund nicht verstand.

      Für das Warm-up stellte ich das Laufband auf fünf Prozent Steigung. Nach einigen Minuten tippte Rüdiger mir auf die Schulter und lobte meinen geschmeidigen Flow. Als Physiotherapeut und begeisterter Sportpädagoge hatte er kürzlich ein Optimierungspotenzial an meinem Laufstil entdeckt. Sein beiläufiger Hinweis, meine schlanke Athletik eröffne noch erhebliches läuferisches Optimierungspotenzial, hatte mich schlagartig motiviert, seine Trainingsanregungen aufzunehmen und das Zusammenspiel von Schulter- und Hüftbewegung zu harmonisieren.

      Nach zwanzig Minuten Fatburning trabte ich zufrieden zum Kurs Power Pilates für fortgeschrittene Anfänger, als einziger Mann genoss Kris die besondere Zuwendung der Damen, und Kristina liebte die Eleganz der fließenden Bewegungen. Doch heute floss gar nichts, ich mühte mich missmutig, meine eins achtundsiebzig zu den anmutigen Positionen zu falten, in die sich die Damen anstrengungslos zurechtbogen.

      Als ich kurz vor der vereinbarten Zeit Richtung Dusche ging, wartete Irmgard schon an der Bar. Wie ihr Latschenkieferduft verriet, hatte sie sich bereits einen Saunagang gegönnt. Ich roch nach Männerschweiß. In der Hoffnung, sie habe in der Sauna ihren Groll auf mich weggeschwitzt, fragte ich nach dessen Ursache.

      Nach einem strafenden Blick sprudelte sie los. Dass ich nach dem Abendessen stundenlang mit Carla verschwunden und dann überstürzt aufgebrochen sei, spreche nicht gerade für meine Wertschätzung ihrer Person. »Und mit Maren hast du auch allein gesprochen. Nur mit mir nicht. Wenn es um Bagatellen geht, bin ich dir immer gut genug, aber wenn es mal ernst wird …«

      »Sorry, sei nicht so kleinlich, als Kollegin müsste dir schließlich klar sein, dass ich mit meiner Krankheit momentan andere Sorgen habe.«

      Ein Schleier aus Schuldgefühl huschte über ihr saunagerötetes Gesicht. »Weiß ich doch, Kris. Du willst ja nie jemanden brauchen. Ist ja auch okay für einen gesunden Single. Bei Single mit Krebs wird’s schon schwieriger. Du solltest schon mal drüber nachdenken, was du machst, falls es nicht so gut laufen sollte …«

      Ich kriegte Gänsehaut. »Willst du mir gerade beibiegen, ich sollte eine Patientenverfügung schreiben? Zu deiner Beruhigung: Ein Testament habe ich schon.«

      Sie richtete sich auf. Mit ihrer Stimme hätte man einen Eisblock schneiden können. »Dass du dich nicht schämst, Kristian! Erst machst du mir Schuldgefühle, damit ich dir nicht mehr böse bin, und wenn ich dann auf dich zugehe, bügelst du das mit einem sarkastischen Spruch ab.«

      Ich bat um Verzeihung. Schweigend nuckelten wir unsere Smoothies, dann stellte Irmgard ihr Glas ab und murmelte: »Dabei wollte ich gerade sagen …«

      Sie geriet ins Stocken, ihr Blick flackerte. »Obwohl unsere Ehe nicht so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt haben, sind wir immer noch Freunde. Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Und falls du deine Therapie schlecht verträgst oder allein nicht zurechtkommst, kannst du auch eine Weile bei mir wohnen und ich versorge dich.«

      Dass sie dem Ex, der sich gerade benommen hatte wie ein Elefant im Porzellanladen, nun dennoch die Wohnungstür öffnete, machte mich sprachlos. Wir umarmten uns. Wenn auch die Denkbarkeit fehlte, so war doch die Dankbarkeit echt.

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      »Sag bloß nicht, dass du wieder rauchst!«

      Schnüffelnd trat Wolff einen Schritt zurück und schüttelte mit der Entrüstung eines militanten Exrauchers den Kopf.

      »Ist meine Krebsdiät. Frei nach Frank Zappa.«

      »Zappa wäre auch ohne Zigaretten gestorben, bei ihm hat man die Diagnose verschlampt und dann war der Tumor schon inoperabel. Deiner beschränkt sich auf die Prostata, und die kann ich dir rausmontieren.«

      Ich holte tief Luft und teilte ihm meine Entscheidung mit: Drei Monate neoadjuvante Hormontherapie mit Bicalutamid und erst im Anschluss daran endgültige Festlegung der primären Therapie. Ich begründete den Wunsch nach Aufschub und schloss meine weitschweifige Erklärung mit der Bitte um eine Empfehlung für die geeignete Viagra-Dosis, falls das Medikament sich auf meine Potenz auswirken sollte.

      »Spinnst du?« Wolff schüttelte den Kopf und versuchte mich umzustimmen. Wenn schon keine OP, dann wenigstens eine »richtige« Hormontherapie.

      Ich blieb stur. Keine Kastration.

      An Wolffs massigem Hals spannten sich die Sehnen und sein Kiefer mahlte. »Wie kann ein wissenschaftlich versierter Pathologe so mit dem Schwanz denken, wenn es um sein Überleben geht?«

      Ich lehnte mich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. »Schon mal was von Psychoonkologie gehört? Gerade einem Urologen sollte doch wohl einleuchten, dass der Schwanz nicht nur dem Vergnügen dient, sondern auch zum Pinkeln– und zwar, wann und wohin man will und nicht aus Versehen in die Hose.«

      Ich starrte auf die wuchtige Eiffelturm-Lampe auf seinem Schreibtisch. Schon als Studenten in der alten Clique waren Wolff und ich selten im selben Raum gewesen, ohne binnen Kürze in einem verbalen Schlagabtausch zu landen. Als Kickboxer traf Wolff zielgenau ins Empfindliche, wohingegen ich eher den Florettfechter gab, der mit rhetorischer Ironie die Lacher auf seine Seite zog. Wie er allerdings mit Kristina umgesprungen wäre, hätte er sie kennengelernt, mochte ich mir nicht ausmalen.

      »Starck, du bist ein Spacken, aber der Patient ist Souverän der Therapieentscheidung.«

      Auf meine Frage, ob weitere Untersuchungen zum Ausschluss von Metastasen sinnvoll wären, meinte er, das sehe die Leitlinie bei meinem PSA nicht vor, und es sei auch überflüssig, da ich sowieso ein Medikament nehmen wolle, das im gesamten Körper wirke. Diese Aussage fand ich sowohl beruhigend als auch beängstigend, hakte aber nicht nach. Nachdem ich versprochen hatte, in sechs Wochen