Название | Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf |
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Автор произведения | Ulrich Mahlert |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783795787769 |
Begeisterung ist ein hoher Wert, sie zieht andere mit. Wenn Studierende mir unvertraute Musik in den Unterricht einbrachten, wechselte ich meine Rolle, verzichtete auf Instruktion und verlegte mich darauf, mitzulernen, Fragen zu stellen und von meiner Warte aus mögliche Anregungen zu geben. Ich ehrte die Kompetenz, die die Studierenden mir voraushatten. Vielleicht kam durch dieses Verhalten, mich in einer nicht geläufigen Musikpraxis vor allem als Fragender zu bewegen, doch das eine oder andere in Gang – auch bei Studierenden, die in dieser Praxis zu Hause waren. Nur so kann ich mir erklären, dass manche Jazz-Studierende mir Jahre später sagten, wie sehr ihnen diese und jene Lehrveranstaltung, in die sie »ihre« Musik eingebracht hatten, gefallen hätte und dass sie dort viel gelernt hätten.
Genauigkeit, Gründlichkeit
Genauigkeit und Gründlichkeit in wissenschaftlicher Arbeit habe ich wohl vor allem durch Hans Heinrich Eggebrecht gelernt. »Ich lese nicht viel, aber was ich lese, lese ich gründlich.« – »Ich schreibe sehr langsam. Ich schreibe immer wieder um, bis der gemeinte Gedanke herauskommt und ich zufrieden bin.« Solche Aussagen von ihm haben mich als Student beeindruckt. In Vorlesungen und Seminaren konnte Eggebrecht einzelne Sätze aus musikwissenschaftlicher Literatur so genau und aufschlussreich reflektieren, dass die Studierenden Lehrstücke in der Kunst erhielten, Gedankenführung, Denkmuster, Beweggründe, inhärente Urteile und Vorurteile sowie ideologische Implikationen von Texten sorgfältig freizulegen. Wir merkten, was wir beim eigenen Lesen alles nicht gemerkt hatten. Oft hatten wir nur die Oberfläche von Aussagen wahrgenommen und uns damit zufriedengegeben. Eggebrecht bohrte in den Sätzen, bis ihre gedankliche Substanz deutlich wurde. In Vorlesungen – oft über Themen, über die er selbst gerade schrieb – ließ er uns an seiner Beschäftigung mit dem jeweiligen Gebiet und an den Fragen, die sich ihm dabei stellten, teilnehmen. Immer regte er zum Diskutieren über das Vorgetragene an. Mehr noch als Zustimmung wollte er »Contra« bekommen und dabei sehen, ob er im Schreiben die bei den Studierenden auftauchenden Einwände, Bedenken und Fragen mitbedacht hatte.
Texte von Dissertationen, die bei ihm geschrieben wurden, las Eggebrecht sehr genau. Er verlangte immer Teile im Umfang von jeweils 20 Seiten – nicht mehr, weil er eine so begrenzte Textmenge in der Regel in einer Arbeitssitzung schaffte. Seine vielen Korrekturen, aber auch offenen Erwägungen notierte er mit Bleistift am Rand. Er verstand sie, wie er mir zu meiner ersten »Lieferung« schrieb, als Gedanken eines Begleiters, der die Materie nicht so gut kannte wie ich selbst (ich schrieb bei ihm über Liedästhetik um 1848 und späte Schumann-Lieder), dem aber – vielleicht gerade deswegen – beim Lesen mancherlei möglicherweise für mich nützliche Fragen kamen. Durch dieses intensive Lesen und seine differenzierten Rückmeldungen habe ich sehr viel gelernt.
In meiner späteren Arbeit im Fach Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentaldidaktik wirkte sich dieser Lerngewinn nicht immer nur angenehm aus. Aufgrund meiner internalisierten Ansprüche litt ich doppelt unter dem oft schwachen, bisweilen miserablen Niveau von Seminar- und teilweise auch von Abschlussarbeiten. Viele Jahre konnte ich nicht anders, als alle Fehler und Schwächen nach dem Vorbild Eggebrechts zu korrigieren und Vorschläge zur Verbesserung von verfehlten Formulierungen zu notieren. Irgendwann merkte ich, dass mich diese Arbeit über Gebühr belastete. Die Kraft und die Zeit, die ich aufwendete, standen nach meinem Eindruck in keinem angemessenen Verhältnis zur erreichbaren Wirkung. Zwar waren die Studierenden dankbar für meine Korrekturen, aber folgende Seminararbeiten zeigten durchaus nicht immer ein von mir nun erwartetes höheres Niveau. Ich beschloss und lernte mich damit abzufinden, dass die Qualitätsansprüche in einem musikwissenschaftlichen Promotionsstudium sich für das »Beifach« Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentaldidaktik nicht einfordern lassen. Anders bei Promovenden im Fachgebiet Musikpädagogik: Mit ihnen konnte und kann ich sowohl in den Colloquien wie auch bei der Lektüre von Dissertationstexten intensive Textarbeit im Lesen und Schreiben praktizieren.
Auch in das eigene Schreiben wirkte die in meinen Studienjahren bei Eggebrecht erfahrene Skrupelhaftigkeit ambivalent hinein. Schon bei der Arbeit an meiner Dissertation blockierten mich bisweilen seine Ansprüche sich selbst und anderen gegenüber. Bis heute spüre ich beim Schreiben die Nachwirkungen dieser »Schule«. Strenge Selbstkritik muss sein, sollte aber nicht lähmen. Texten fehlt etwas, wenn die Lust des Schreibens durch allzu rigide Selbstzensur fortwährend beeinträchtigt wird.
Fremdbestimmtheit und Autonomie
Ich habe lange und frei studieren können. Meine Klavierausbildung brachte ich zügig zu Ende, weil ich in Musikwissenschaft promovieren und auch Germanistik und Philosophie studieren wollte. Verlängerungen des Studiums im Promotionsstudiengang waren kein Problem. Heute sind Studiengänge an Musikhochschulen und Universitäten viel strenger organisiert. Die Studienzeiten sind stark limitiert und Studierenden wird weitgehend vorgeschrieben, was sie zu lernen haben. Die Reglements zu meiner Studienzeit in den in 1970er Jahren waren – zumindest in den Studiengängen, die nicht zu Staatsexamina führten – vergleichsweise lax. Es war leicht, die erforderlichen Veranstaltungsbelege zu bekommen. Ich studierte, was mich interessierte, und machte Gebrauch von dem, was sich mir bot. (Freilich denke ich heute, dass ich mich noch für vieles mehr hätte interessieren und engagieren sollen.)
Die Freiheit hatte allerdings auch erhebliche Schwächen. Im Musikwissenschaftsstudium etwa wurden fachliche Grundkompetenzen nur sehr rudimentär vermittelt. Dazu zählen Tonsatz, Gehörbildung, Kontrapunkt, Analyse, wissenschaftliches »Handwerkszeug« wie Recherchieren, Bibliografieren, Kenntnisse von Methoden des Forschens etc. Ein für verschiedene Forschungsprojekte befähigendes propädeutisches Studium gab es nicht. Ich hatte das Glück, einige musiktheoretische Grundlagen in meinem pädagogischen und künstlerischen Studium an der Musikhochschule erworben zu haben, bevor ich intensiv Musikwissenschaft an der Universität studierte. Für manche Studierende ohne musikpraktische Ausbildung waren die dortige Freiheit des Studiums und das Fehlen eines Curriculums, das Fähigkeiten systematisch vermittelte, zum Teil verhängnisvoll. Jahrelang irrlichterten sie mit einem frühzeitig gewählten Dissertationsthema herum, dem sie konzeptionell und methodisch nicht gewachsen waren. Im Musikwissenschaftsstudium, wie ich es kennenlernte, wurde vernachlässigt, dass mündiges, selbstbestimmtes Studieren nicht voraussetzungslos praktiziert werden kann. Curriculare Vorgaben mögen fremdbestimmend erscheinen, liefern aber ein »Rüstzeug«, mit dem dann autonom gewählte und gestaltete Lernwege möglich sind.
Ein wichtiges Erlebnis, das für meine Auffassung von wünschenswerter Autonomie modellhaft und nachhaltig wirksam wurde, war ein musikpädagogisches Seminar von Lars Ulrich Abraham, der 1969 an der Freiburger Musikhochschule die Nachfolge von Erich Doflein als Professor für Musikpädagogik angetreten hatte. (Die folgenden Ausführungen nach Mahlert 2011, S. 50 f.) Das Seminar war thematisch nicht gebunden, der Titel entsprechend offen formuliert. Mehrere Sitzungen lang sprach man über dies und das. Abraham war freundlich und zugewandt, ging gelegentlich dem einen oder anderen Gedanken ein wenig nach, warf hier und da ein anregendes Aperçu ein; im Wesentlichen aber hielt er sich zurück. Er dozierte nicht, gab nichts vor. Nach einigen Sitzungen wurde es einigen Studierenden unbehaglich. Sie fragten sich, was die Veranstaltung wohl »bringen« solle und stellten diese Frage im Seminar. Abraham griff sie interessiert auf: »Ja, was wollen Sie denn lernen? Das müssen Sie entscheiden. Es ist Ihr Seminar.« Die Studierenden waren überrascht und verblüfft. So etwas hatten sie bisher von keinem Hochschullehrer gehört. Abrahams Verhalten wirkte erleuchtend. Die Teilnehmer begriffen: Unser Studium ist dazu da, unseren Lernbedürfnissen gerecht zu werden – und nicht dazu, uns zu Rezipienten von vorgegebenen Inhalten zu degradieren. Ab da verlief das Seminar anders: Die Teilnehmer begannen, ihre Interessen einzubringen. Es geschah ungeübt, ungeordnet und im Ganzen nur teilweise ersprießlich. Aber es war ein erster Gehversuch auf dem Neuland der Selbstbestimmtheit.
Abraham ließ übrigens die Studierenden auch die Themen, über die eine musikpädagogische Prüfungsklausur zu schreiben war, selbst bestimmen. Jeder konnte also ein von ihm gewähltes Thema bearbeiten. Manche konservativen Lehrer nahmen daran Anstoß; das war für sie ein libertärer Verfall von akademischen