Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf. Ulrich Mahlert

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Название Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf
Автор произведения Ulrich Mahlert
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783795787769



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Studierenden eine schwierige Aufgabe. Sie merkten, dass ihnen im Studium ihre eigenen Interessen weitgehend verschattet geblieben waren. Die Findung und Formulierung eines persönlich bedeutsamen Themas führten zu einem wertvollen Lernprozess.

      Auch Eggebrecht ermutigte seine Studierenden, ihren eigenen Fragen nachzugehen, sie ernst zu nehmen und sich nicht vorschnell von außen inhaltliche und methodische Vorgaben machen zu lassen. Bisweilen nahm er Doktoranden in der Anfangsphase ihrer Beschäftigung mit einem Thema im Doktorandencolloquium in Schutz vor weiter fortgeschrittenen Teilnehmern, die mit dem Gestus der Überlegenheit die noch defizitären Vorlagen der Jüngeren kritisierten. »Lass die mal, die hat da was, das sie umtreibt, mach ihr das nicht einfach kaputt.« In dieser Art schützte und stärkte Eggebrecht Studierende, die Mut zu eigenen Fragen und Interessen entwickelten.

      Wie haben solche Erfahrungen in meine eigene Hochschularbeit hineingewirkt? Von ihnen beeinflusst scheinen mir zwei persönliche Grundanliegen:

      •Studierende sollen Subjekt und nicht Objekt ihres Studiums sein. Lehrende sind dazu da, Studierende zur Entfaltung ihrer individuellen Potenziale zu ermutigen, sie anzuregen, ihre Interessen und Möglichkeiten zu erkunden und sie auf den oft verschlungenen Wegen ihres Lernens zu begleiten. Bürokratische Hemmnisse sind zu ignorieren oder mit Fantasie zu umgehen. Gerade in Zeiten zunehmender Bevormundung durch Reglements staatlicher Bildungsadministration sollen Lehrende und besonders Leiter von Studiengängen sich in erster Linie als Anwälte von Studierenden und nicht als solche von vorgegebenen »Ordnungen« fühlen. »Ermöglichen statt verhindern« war eine meiner Leitdevisen. Dieser Selbstappell weckt Mut und Ideen in einem flexiblen Umgang mit »Sachzwängen«, eröffnet Grauzonen und ermöglicht, Studierenden individuell gerecht zu werden.

      •Lehrveranstaltungen sollen Studierenden fachliche Grundlagen vermitteln und sie zu explorativer Tätigkeit anregen. Lehre und Forschung gehören auch in Lehrveranstaltungen zusammen: Jede noch so gekonnte Darstellung bleibt unzureichend, sofern sie nicht Neugier erzeugt und Eigentätigkeit der Studierenden bewirkt. Neben Seminaren zu bestimmten Schwerpunktthemen habe ich viele Jahre im Jahresturnus zweisemestrige Überblicksveranstaltungen über musikpädagogische Grundlagenthemen angeboten. In Seminaren fanden »Tiefbohrungen« statt, in Überblicksveranstaltungen eher »Ausleuchtungen und Vermessungen weiter Landschaften«.

      Vorgaben von Inhalten können Fremdbestimmungen sein – und zwar dann, wenn keine Vermittlung zwischen ihnen und dem Horizont der Lernenden stattfindet. Es geht also darum, möglichst in jeder Sitzung bei den Studierenden aus dem noch Fremden etwas Reizvolles, Verheißungsvolles entstehen zu lassen und dafür zu sorgen, dass durch Fesselung der Aufmerksamkeit Nähe und Vertrauen zu dem zunächst noch Fremden entsteht, woraus sich dann der Wunsch nach Aneignung ergeben mag. Erstrebenswert scheint mir eine Balance von Vorgabe (»zeigen, was es gibt«) und Anregung zu eigenem Forschen (»dem nachgehen, was ich wissen will«). (Näheres dazu in Kapitel 9, S. 135f.)

      Musikwissenschaftlich verortete Instrumentalpädagogik

      Lehre im Bereich Instrumentalpädagogik kann auf vielerlei Weise betrieben werden. Es macht einen Unterschied, ob Lehrende mit einer erziehungswissenschaftlichen oder einer musikwissenschaftlichen Ausrichtung am Werk sind. Auch das Hauptinstrument des Dozenten spielt eine Rolle: Eine Pianistin, ein Streicher, ein Holz- oder Blechbläser haben unterschiedliche Erfahrungen mit Instrumenten; diese wirken in ihre Denkweise hinein. Auch stehen ihnen je nach Schwerpunkten des instrumentenspezifischen Repertoires bestimmte Epochen und Musikbereiche jeweils näher oder ferner. Beim Konzipieren einer Allgemeinen Instrumentaldidaktik, die für Studierende aller Instrumente bestimmt ist, wird vermutlich das Hauptfach der Lehrkraft für ihre Überlegungen eine Modellfunktion haben und in der von ihm vertretenen übergreifenden Didaktik durchschimmern. Solche Diversitäten von Lehrenden machen das Fach vielfältig und lassen heterogene Konzeptionen entstehen. Der Reichtum der Fachbeiträge und der Lehre hängt mit ihnen zusammen.

      Ich hatte, als ich 1984 Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentalpädagogik zu unterrichten begann, keine Vorbilder für eine fachspezifische Lehre. Musikpädagogik war in meinem Klavierstudium ein randständiges Fach. Die erwähnte Erfahrung im Seminar von Lars Ulrich Abraham blieb der stärkste Eindruck (s. S. 30f.). Eine explizite Instrumental- / Vokalpädagogik aber gab es nicht.

      Anregungen für mögliche Ausgestaltungen einer auf Musizieren ausgerichteten Musikpädagogik gewann ich indirekt durch Erich Doflein, dem Vorgänger von Abraham. Wegen seiner starken Sehbehinderung suchte Doflein einen Studenten, der ihm gelegentlich vorlas – und der Student war ich. Meine Lehrerin Edith Picht-Axenfeld empfahl mir: »Holen Sie alles aus ihm heraus, was Sie wissen wollen. Er ist ein Urgestein.« In der Tat: Doflein kannte Bartók, Hindemith, Adorno und viele andere wichtige Persönlichkeiten seiner Zeit persönlich; auch mit Vertretern der Jugendmusikbewegung hatte er in Verbindung gestanden. Gern erzählte er von all dem, ebenso auch von seinem Verständnis des auf Instrumental- und Vokalunterricht ausgerichteten Fachs Musikpädagogik und seiner Lehre. Ihm lag daran, diesem von ihm vertretenen Bereich eine geschichtliche Ausrichtung zu geben. Davon zeugt vor allem sein umfangreicher Artikel »Pädagogik der Musik« in der alten Ausgabe der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Doflein 1962).

      Dofleins Konzeption beeindruckte mich; ich empfand, dass das mir damals in seinen Konturen sehr unbestimmt und wenig substanziell erscheinende Fach Musikpädagogik durch die Verbindung mit Musikwissenschaft bzw. Musikgeschichte nicht nur fundiert, sondern geradezu nobilitiert wurde. Doflein erkundete alte Instrumentalschulen und interessierte sich für die Geschichte der mit pädagogischen Intentionen komponierten Musik. Beide Themen verfolgte ich später selbst weiter. Vor allem aber ermutigte mich die Erinnerung an Doflein bei meinem eigenen Bedürfnis, in meiner Arbeit Musikpädagogik mit Musikwissenschaft zusammenzubringen und die Geschichte instrumental- und vokalpädagogischer Lehre einzubeziehen. Nach nicht immer glücklichen Versuchen, Instrumentalpädagogik von der (mir bis dato wenig vertrauten) Erziehungswissenschaft und der Pädagogischen Psychologie her »aufzuziehen«, gewann die Beschäftigung mit Musikstücken im Laufe der Jahre zusehends an Raum. Dort wo es ging, wollte ich gern von Musik ausgehend Überlegungen zu pädagogischen Fragen und Themen bahnen. Dafür geeignete Formen und Settings entwickelten sich nach und nach durch fortwährendes Erfinden und Erproben von Möglichkeiten, weitgehend also autodidaktisch durch »Learning by doing«. Manche Anregungen gewann ich durch gemeinsame Seminare mit Kollegen wie auch in Lehrproben bei Berufungsverfahren: Die wunderbare Gelegenheit, als Mitglied einer Kommission intensiv beobachten zu dürfen, wie Bewerber um Professuren in wohl überlegten Verfahrensweisen mit Studierenden arbeiteten, bot immer wieder produktiven Anschauungsunterricht.

      Menschenfreundliche Grundhaltung

      In der Schulzeit, im Studium und in der beruflichen Arbeit habe ich mehrfach erfahren, wie wohltuend sich eine menschenfreundliche Grundhaltung von Lehrern und Vorgesetzten auf mein Selbstwertgefühl und meine Arbeitsfähigkeit auswirkte. Ich empfand es als stärkend und lernfördernd, wenn maßgebliche Personen mir etwas zutrauten und mir einen Vertrauensvorschuss für zu bewältigende Aufgaben gewährten. Andererseits lernte ich auch misstrauisches, argwöhnisches, starre Normen vorgebendes und mit meinen Schwächen rechnendes Verhalten kennen. Solche Verhaltensweisen schwächten mein Leistungsvermögen und mein Selbstwertgefühl. Als Rundfunkredakteur hatte ich eine Weile unter aggressivem Mobbing-Verhalten einiger Kollegen, unter Neid auf Erfolge und autoritär bevormundendem Chefgebaren zu leiden. Davon bekam ich eine Gelbsucht. Besonders diese Erfahrung blieb für mich als Negativszenario ein Lehrstück. Es mobilisierte das Bedürfnis nach Entfaltung positiver Energien im Umgang mit anderen Menschen, besonders mit solchen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu mir. Auch ließ es mich in späteren Jahren immer wieder dankbar meine großen Freiheiten als Hochschullehrer empfinden und stärkte gleichzeitig das Bestreben, mit dieser Freiheit verantwortungsvoll zum Wohl der Studierenden umzugehen.

      Es lohnt sich, auch die Negativerfahrungen der eigenen Biografie daraufhin zu bedenken, was sie zur Entwicklung der eigenen