Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf. Ulrich Mahlert

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Название Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf
Автор произведения Ulrich Mahlert
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783795787769



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einiges erklären müssen, ohne am Ende sicher zu sein, dass die Sache »Musikpädagogik« damit klarer geworden wäre.

      Und hätte ich gar weiter differenziert und erzählt, dass es auch ein musikpädagogisches Teilgebiet namens »Elementare Musikpädagogik« gibt, wären noch größere Verständnisschwierigkeiten entstanden. Elementare Musikpädagogik? Also eine vereinfachte, auf Grundelemente reduzierte Musikpädagogik? Ach so, eine Musikpädagogik, die sich mit dem musikalisch Elementaren beschäftigt? Ah ja, sowohl praktisch wie wissenschaftlich? Ja – als praktische Ausbildung und pädagogische Praxis heißt sie eher Elementare Musikerziehung, oft auch Musikalische Früherziehung, wobei das ein älterer Begriff ist, der im Fachdiskurs kritisiert und heute eher gemieden wird. Mit diesem Differenzierungsversuch hätte ich vollends Verwirrung gestiftet. Alles schwer verständlich. Musikpädagogik ist wohl etwas sehr Kompliziertes.

      Verlegenheit

      Öfters brachte mich das Wort »Musikpädagogik« in Verlegenheit. Ich umging sie, wenn ich auf die Frage nach meinem Lehrgebiet die Antwort »Musikwissenschaft« gab. Besonders in der ersten Zeit meiner Lehrtätigkeit als Professor für Musikpädagogik nahm ich diese Zuflucht. Mein Selbstwertgefühl als Musikpädagoge war anfangs eher gering. Von Hause aus bin ich Musikwissenschaftler. Zunächst bot ich an der UdK Berlin neben musikpädagogischen Veranstaltungen, dem damals vorhandenen Bedarf entsprechend, auch musikwissenschaftliche Seminare an. Das Unterrichten in diesem Fach war mir vertrauter und befriedigte mich mehr als die ersten Gehversuche auf dem noch unsicheren musikpädagogischen Terrain. Ein renommierter Kollege der Musikwissenschaft, der mich zum Lehren auch in diesem Fach animierte, bemerkte einmal apodiktisch: »Musikpädagogik ist keine Wissenschaft.« Ähnlich sah auch ich als studierter Musikwissenschaftler mein neues Fach. Und wenn ich auf die Frage nach meinem Lehrgebiet statt »Musikpädagogik« »Musikwissenschaft« antwortete, spürte ich sofort bei meinem Gegenüber: Der Begriffsteil »-wissenschaft« erzeugt Respekt. Mitunter konnten sich an meinem Fach interessierte Nicht-Musiker auch unter »Musikwissenschaft« nichts Genaues vorstellen. Vielleicht setzt der Begriff bei manchen ein ähnliches Gedankenmuster in Bewegung wie bei jener Medizinerin, die mich vor meiner Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Musiktheorie an der Universität Hannover amtsärztlich untersuchte. Sie las auf dem auszufüllenden Bogen im Briefkopf »Fachbereich Erziehungswissenschaften« und äußerte daraufhin mit Kopfschütteln: »Nun hat man also auch schon die Erziehung zur Wissenschaft gemacht …« Gleichwohl, so scheint mir, ist der Begriff »Musikwissenschaft« im Allgemeinen höherwertig besetzt als »Musikpädagogik«. Daher bevorzugte ich ihn öfters bei der Angabe meines Fachs, wenn auch mit leichtem Unbehagen. Zwar hatte ich dabei nicht das Gefühl, zu lügen. Allenfalls betrieb ich ein wenig Etikettenschwindel. Eine Rechtfertigung meiner Antwort empfand ich dadurch, dass entsprechend meiner Ausbildung als Musikwissenschaftler musikwissenschaftliche Inhalte und Fragen in meiner Art, Musikpädagogik zu lehren, eine erhebliche Rolle spielten. Überdies sind ja manche Musikwissenschaftler der Ansicht, dass ihre Disziplin alle diskursiven Beschäftigungen mit Musik umfasst. Demnach beinhaltet Musikwissenschaft als Teilgebiet auch Musikpädagogik (vgl. z. B. Abschnitt »Musikpsychologie und Musikpädagogik« in Kleinen / de la Motte Haber 1982).

      Ferner gab und gibt es Musikpädagogen, die die Beziehung von Didaktik und Wissenschaft eines Faches eher perspektivisch als prinzipiell sehen. So schrieb Lars Ulrich Abraham: »Didaktik ist nicht ein Gebiet außerhalb, vor oder gar neben der Wissenschaft, sondern eine in bestimmter Weise akzentuierte Form wissenschaftlicher Arbeit. Die Didaktik eines Faches und die jeweilige Fachwissenschaft als sachlich getrennte Bezirke zu betrachten, ist schon deshalb abwegig, weil auch der weltfremde Gelehrte didaktisch zu reflektieren genötigt ist, sobald er seine Forschungsergebnisse mitteilen will.« (Abraham in: Abraham / Dahlhaus 1972, S. 72) Wie auch immer: Die Antwort »Musikwissenschaft« auf die Frage nach meinem Fachgebiet entband mich der komplizierten und erfahrungsgemäß mit vielen Rückfragen verbundenen Erklärung von »Musikpädagogik«. Selbst die Bereitschaft zu einer geduldig versuchten Antwort hätte mich in Verlegenheit gebracht, da ich selbst bei der Frage, was Musikpädagogik eigentlich ist, immer wieder ins Grübeln gerate. Wie sollte ich es da in wenigen Worten dem »Mann auf der Straße« erklären können?

      Übrigens scheint auch bei der Einordnung von Autoren in bibliografische Kataloge eine gewisse Scheu vor dem Wort »Musikpädagoge« zu bestehen. So werden im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek diverse Musikpädagogen, darunter auch ich selbst, als »Musikwissenschaftler« ausgewiesen (bei mir mit dem Zusatz »Professor für Musikpädagogik«). Als »Synonyme« für »Musikwissenschaftler« sind angegeben: »Musikhistoriker (Quasisynonym)«, »Musiktheoretiker«, »Musikgelehrter«, »Musikologe«. Der Musikpädagogik wird hier keine eigentliche Fachlichkeit zugebilligt.

      Noch einmal zu der Antwort auf die Frage nach meiner Berufstätigkeit. Möglich war natürlich, zu beschreiben, was ich hauptsächlich tat. Wenn ich so vorging, sagte ich: »Ich bilde Musiklehrer aus, und zwar Musiklehrer nicht für allgemeinbildende Schulen, sondern vor allem Lehrer an Musikschulen und anderen außerschulischen Einrichtungen, außerdem für Privatunterricht.« Doch dann trat sofort eine andere Verlegenheit auf: Ich spürte unterschwellig den in der öffentlichen Geltung minderen Rang meiner Klientel gegenüber den Lehrenden an allgemeinbildenden Schulen. Diese schlecht gestellten Musiklehrer also bildete ich aus … Das war keine angenehme Offenbarung. »Er lehrt nicht Musik, sondern er unterrichtet zukünftige miserabel bezahlte Musiklehrer von Kindern, die von ihren Eltern zum Instrumentalunterricht geschickt werden.« So etwa der Gedanke, den ich als Resultat meiner Erklärung in den Köpfen meiner Gesprächspartner vermutete.

      Ein anderer Ausweg aus den beschriebenen Verlegenheiten lag darin, auf die Frage nach dem Lehrgebiet eine schlichte, relativ unverfängliche, zutreffende, wenn auch nicht eben differenzierte Antwort zu geben. »Ich unterrichte Musik, ich bin Musiker.« Damit sagte ich nichts Falsches. Als Nächstes kam dann natürlich wieder die Frage: »Und welches Instrument spielen Sie?« – »Klavier.« Somit folgerte mein Gegenüber, dass ich Klavierlehrer wäre, was aber ja in Bezug auf meinen Hauptberuf nicht zutraf. Immerhin konnte ich meine Antwort damit rechtfertigen, dass auch ein Klavierlehrer Musikpädagoge ist und als solcher arbeitet. Und so schließt sich der Kreis: Klavierunterricht ist Musikpädagogik, also gab ich mich mit meiner nachgeschobenen Antwort als Musikpädagoge zu erkennen, ohne erklären zu müssen, was Musikpädagogik ist.

      Euphemismus

      Oft werden die Wörter »Musikpädagogik« und »Musikpädagoge« euphemistisch aufgefasst. »Staatlich geprüfter Musikpädagoge« las man früher häufig und liest man heute noch gelegentlich als Berufsbezeichnung von Musiklehrenden, die Instrumental- oder Gesangsunterricht geben.

      Zur Ablegung der staatlichen Musiklehrerprüfung führte bis in die 1980er Jahre ein sechssemestriges Studium mit einem sehr begrenzten Fächerkanon – kein Vergleich mit den nachfolgenden inhaltlich breit aufgestellten Diplom- und den heute etablierten Bachelor- und Masterstudiengängen. Deren Absolventen sind künstlerisch und pädagogisch hoch qualifiziert und verfügen auch über einige wissenschaftliche Fähigkeiten.

      Und doch hat sich in weiten Kreisen eine Sichtweise gehalten, der gemäß »Musikpädagoge« prätentiös und hochfahrend klingt: ein großes Wort für eine bescheidene Tätigkeit, die letztlich darin besteht, Kindern ein paar Musikstücke auf einem Instrument beizubringen … Selbst nach Aussagen vieler Absolventen ist der fachliche Anspruch ihrer beruflichen musikpädagogischen Tätigkeiten oft eher bescheiden. Er stimmt häufig nicht überein mit dem hohen Bild von musikpädagogischem Wirken, das der Hochschulausbildung zugrunde liegt und in ihr vermittelt wird. In der Berufspraxis mutiert »Musikpädagogik« de facto oft zu Bespaßung, Beschäftigungstherapie, Ausgleich häuslicher Erziehungsmängel, Lebensberatung, Persönlichkeitsstärkung. Durch Abstriche an musikalischen Qualitätsansprüchen verliert die Musik an Bedeutung; in vielen Unterrichtsstunden kommt sie nur in Schrumpfformen vor. Vielleicht wäre es zutreffender, von Persönlichkeitsförderung mit musikalischen Elementen zu sprechen. In der Beschäftigung mit einfachen, von Schülern bevorzugten Musikstücken und Übungen gewinnt der Unterricht vielfach vor allem individual-