Название | Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf |
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Автор произведения | Ulrich Mahlert |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783795787769 |
Wir können »Geschehenes« als kostbare Möglichkeit der Selbsterfahrung und -erkenntnis nutzen. Bestimmt haben Sie im Studium Stärken und Schwächen an sich entdeckt, die Sie vorher noch nicht so genau kannten. Vielleicht waren Sie überrascht, dass Ihnen manches schwer, anderes leicht fiel. Neue Interessensgebiete, ungeahnte Fähigkeiten sind hervorgetreten. Schwerpunkte haben sich verschoben, neue Optionen gebildet. Einstellungen zum Musikmachen, zum Unterrichten und zu anderen beruflichen Möglichkeiten sind im Laufe des Studiums in Bewegung geraten. Beim Vergleichen »vorher – nachher« merken Sie, was sich alles verändert hat. Diese Veränderungsfähigkeit ist eine ermutigende, mit Goethes Wort: »heilsame« Perspektive für die Zukunft. Das Geschehene ist nicht abgeschlossen, sondern offen. Es ist keine statische Verfügungsmasse, sondern ein dynamisches Potenzial. Es wartet darauf, sich zu entfalten und entfaltet zu werden.
Womöglich war auch gerade das Krumme, nicht so Tolle im Studienalltag wichtig – möglicherweise ergiebiger als ein glatt und perfekt durchlaufendes Studium. Vielleicht haben Sie dabei gelernt, sich »durchzulavieren«, Spielräume geschickt zu nutzen, für eigene Anliegen zu kämpfen, sich von Unzuträglichem zu distanzieren. All das sind wichtige Lebenskünste. Selbst wenn Sie neben Ihren vielen hervorragenden Lehrern vielleicht mit dem einen oder anderen etwas Pech gehabt haben sollten, gilt immerhin der alte Sponti-Satz: »Wir hatten schlechte Lehrer – das war eine gute Schule.« Das mag zynisch klingen. Aber auch darin liegt letztlich eine mögliche Bedeutung von Goethes Postulat, man solle »Geschehenes […] immer als eine Gottheit verehren«. Auch und vielleicht sogar gerade aus Misslichem und Misslungenem lässt sich Wichtiges lernen. Und Lernen geschieht ja letztlich sowieso immer autodidaktisch – durch die Art, wie man mit Erfahrenem umgeht.
Für mich bleibt es eine offene Frage, was eigentlich Ausbildungsziele eines Hochschulstudiums sind. Beim Diskutieren und Schreiben von Studien- und Prüfungsordnungen, zu denen wir ja immer wieder nicht zuletzt durch unsere Kultusbürokratie genötigt werden, fällt einem auf, wie sehr man notgedrungen zum Dichter wird. Um die Ziele, Inhalte und die angestrebten »Kompetenzen« in den Jargon solcher Ordnungen zu bringen, drechseln wir mühselig ungereimte Pseudo-Poesie, blumige Formulierungen, wohlklingende, aber bei Lichte besehen ziemlich hohle Versatzstücke aus dem Wörterbuch der amtlichen Bildungslyrik. Was ist beispielsweise von folgendem Satz zu halten: »Allgemeine Aufgabe der Instrumental- und Gesangspädagogik ist die Vermittlung von Musik im Sinne einer Äußerung menschlicher Kultur sowie als Möglichkeit und Zeugnis aktiver Lebensgestaltung.« Fast jedes Wort eine hohle Nuss, ein faules Ei … Zwar wurde der Satz an einer anderen Hochschule kreiert, aber auch bei uns sieht es nicht viel besser aus. Immer wieder ist auch in unseren Ordnungen die Rede von »grundlegenden künstlerischen Kompetenzen«, »umfassenden« oder »vertieften Kenntnissen und Fähigkeiten«, »historisch und systematisch fundierten Kompetenzen«, »eigenverantwortlichem Umgang mit erarbeiteten Methoden«, »Fähigkeiten zur stilistischen Einordnung und Differenzierung«. Das klingt nicht besser als die uferlose Flut von unerquicklichen, hochtrabenden, verstiegenen, bramarbasierenden, pseudointellektuellen, Orgien leerer Abstraktion feiernden Hohlformeln, die man in Zielbestimmungen von schulischen Lehrplänen findet. Ich denke an Formulierungen wie »Verständnis für grundlegende wissenschaftstheoretische und philosophische Fragestellungen«, »Gleichgewicht im Menschen zwischen Verstehen und gefühlsmäßigem Erleben«, »problem- und prozessbezogenes Denken in Zusammenhängen«, »Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft«, »Konzentrationsfähigkeit«, »Offenheit für andere Sichtweisen«, »kognitive Aktivierung«, »Wissen flexibel einsetzen können«, »Methoden-, Orientierungs- und Bewertungskompetenzen«, »methodischtheoretisches Grundlagen- und Vermittlungswissen«, »Vermittlung einer allgemeinen Studierfähigkeit«. All dies sind aufgeblasene Abstraktionen ohne Inhalt, die eher verdunkeln als klären. Solche schlotternden Formeln wollen alles erfassen und sagen in Wirklichkeit nichts.
Lässt sich denn überhaupt bestimmen, was an »Kompetenzen« am Ende eines Studiums stehen muss? Und lassen sich solche »Kompetenzen« wirklich erfassen und bewerten? Ich bin skeptisch. Prüfungsergebnisse sagen nichts über den späteren beruflichen Erfolg aus. Ich will niemandem die Freude an einer guten Examensnote kleinreden, an der Genugtuung und dem Stolz, durch viel Fleiß Erfolg gehabt zu haben. Es ist großartig, wenn Ihre Zeugnisse sehr gut sind! Aber auch: Nicht schlimm, wenn Sie in einigen Fächern nicht so gut abgeschnitten haben. Trotzdem können Ihre Karrieren sehr erfolgreich verlaufen.
Ob man produktiv gelernt hat und was man gelernt hat, zeigt sich nur zum kleinen Teil in Prüfungen. So richtig zum Tragen kommt Gelerntes erst in der Zukunft, im Berufsleben, in der Arbeit, die jetzt vor Ihnen liegt – ob als Lehrer an allgemeinbildenden Schulen oder Musikschulen, als Musiker im Orchester, Ensemble oder auch mal allein auf der Bühne, beim Komponieren und Arrangieren, beim Kooperieren mit Kollegen, beim Schreiben von Texten, beim »Vermitteln« von Musik, nicht zuletzt auch: beim umsichtigen Planen und Steuern, beim Management der eigenen Karriere. Fast beängstigend, was einem alles an erforderlichen und wünschenswerten Fähigkeiten in den Sinn kommen kann – beängstigend nicht nur für Sie, die das Studium nun hinter sich haben (Frage: »Kann ich das alles?«), sondern auch für die Lehrenden an dieser Hochschule (Frage: »Habe ich / haben wir das alles beim Unterrichten mitbedacht?«). Sehr tröstlich und entlastend finde ich, was mir aus einem Gespräch mit einem klugen Bildungspolitiker in Erinnerung ist. Er warnte davor, das Studium in guter Absicht, aber schlechter Wirkung immer weiter zu überfrachten mit immer noch mehr (angeblich) berufsbezogenen Inhalten. »Für fünf Pfennig in sechs Tüten« nannte er das in Anspielung auf die Art, wie er als Kind für sich und seine Freunde Bonbons gekauft hatte. Er wusste: Über 50 Prozent dessen, was in den meisten Berufen gefordert ist, lernt man nachweislich nicht im Studium. Und er fügte hinzu: »Das ist auch gut so.« Er war der Ansicht, dass ein Studium etwas anderes sein solle als der (vergebliche) Versuch, passgenau auf die Anforderungen eines Berufs vorzubereiten. Ein Studium solle den Horizont der Studierenden weiten und nicht verengen.
Also verzichten wir darauf, zu grübeln, ob die Studienziele erreicht wurden. Vertrauen Sie lieber darauf, dass Sie, gestärkt mit dem Rüstzeug des in der Ausbildung Gelernten und Erlebten, mit Lust in den nächsten Lebensabschnitt gehen. Letztlich ist ja, wenn Sie an die besagten 50 Prozent denken, die Sie für den Beruf noch brauchen, das Berufsleben eine permanente Verlängerung des Studiums. Genau so hat es der Dichter Clemens Brentano 1811 beschrieben, als er die Philister attackierte, kleingeistige Spießbürger, die meinen, ausgelernt zu haben, Leute mit engem Horizont und vermeintlich sicherem Wissen. Philister waren für Brentano alle, »die keine Studenten waren, und nehmen wir das Wort Student im weitern Sinne eines Studierenden, eines Erkenntnisbegierigen, eines Menschen, der das Haus seines Lebens noch nicht wie eine Schnecke […] zugeklebt, eines Menschen, der in der Erforschung des Ewigen, der Wissenschaft oder Gottes, begriffen, der alle Strahlen des Lichtes in seiner Seele freudig spiegeln läßt, eines Anbetenden der Idee, so stehen die Philister ihm gegenüber, alle sind Philister, welche keine Studenten in diesem weitern Sinne des Wortes sind.« (Brentano 1811/2013, S. 147; vgl. dazu Rüdiger 2002) Also: Das Studium ist noch gar nicht zu Ende – und damit auch nicht die schönste Zeit Ihres Lebens. Bleiben Sie, bleiben wir ewige Studenten! (Exmatrikulieren müssen Sie sich allerdings trotzdem, falls Sie es noch nicht getan haben.)
2.Selbstwahrnehmungen und persönliche Lernwege
Der Versuch, ein Fachgebiet zu überblicken, in dem man viele Jahre tätig war, ist unvermeidlich von persönlichen Erfahrungen geprägt. Zunächst stammen sie aus der beruflichen Arbeit und dem Nachdenken über das eigene Tun. Sie reichen aber noch weiter zurück, nämlich