Lebensreise. Alois Brandstetter

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Название Lebensreise
Автор произведения Alois Brandstetter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783701746477



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       Alois Brandstetter

      Lebensreise

      Wallfahrt,

      oder Werdegang und Lebenslauf

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      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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      © 2020 Residenz Verlag GmbH

      Salzburg – Wien

      Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

      Umschlaggestaltung: BoutiqueBrutal.com

      Lektorat: Jessica Beer

      ISBN Print 978 3 7017 1735 4

      ISBN eBook 978 3 7017 4647 7

      Auf der Rückreise von Genua nach Klagenfurt, nach Gastvorträgen an der dortigen Universität, wollte ich vor nun schon über 25 Jahren in Mantua und Castiglione delle Stiviere Station machen, um mich sozusagen an Ort und Stelle mit dem »Lebensraum« meines Namenspatrons Aloysius von Gonzaga vertraut zu machen, über den zu schreiben ich mir schon lange vorgenommen hatte. Dann war aber der Drang nach Hause zu Frau und Söhnen stärker, und ich bin »auf schnellstem Weg« nach Klagenfurt zurückgefahren. Doch aufgeschoben war nicht aufgehoben. Ich bin gewissermaßen reumütig zurückgekehrt und habe im Jahr 2015 mit dem Roman »Aluigis Abbild« dem Gonzaga-Prinzen (und dem Mantovaner Hofmaler Peter Paul Rubens) nach Recherchen vor Ort literarisch gehuldigt … »Damit nicht genug«, hat mir meine Frau zu meinem 80. Geburtstag einen Reisegutschein für eine »Wallfahrt« nach Castiglione und das Versprechen ihrer Begleitung geschenkt. Das Nachfolgende ist das Protokoll dieser Lebensreise, mit Erinnerungen an frühere Italien- und Romfahrten (eine als Gymnasiast mit dem Fahrrad), mit Anmerkungen auch zu meiner literarischen (und religiös-kirchlichen) Sozialisation. Erzähltechnisch bitte ich, mir einige Freiheiten herausnehmen zu dürfen, auch Seitenwege zu nehmen. Diese Lebensreise ist kein Durchmarsch, vielmehr manchmal ein umwegfreundliches Schlendern. Ich berufe mich dabei auf den großen irischen Dichter James Joyce, den Jesuitenschüler von Clongowes Wood, und vor allem seinen Roman »Ein Porträt des Künstlers als junger Mann«, und seine kühne Methode des »Stream of consciousness« im »Ulysses«. Und wenn auch nicht gerade als Odyssee, so doch stellenweise als Irrfahrt ist auch mein (bisheriges) Leben »abgelaufen« und »verlaufen« …

       Wallfahrt, oder Werdegang und Lebenslauf

      Als ich im Jahr 1974 von Saarbrücken nach Klagenfurt kam, einem Ruf auf den Lehrstuhl »Deutsche Philologie unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik« an die junge Hochschule für Bildungswissenschaften folgend, suchte ich alsbald den Kontakt mit dem damaligen Hochschulseelsorger oder »Studentenpfarrer«, dem Theologen Karl Matthäus Woschitz, der später Ordinarius in Graz wurde und als hochgelehrter Mann mit bedeutenden Publikationen wie dem Buch »Elpis« (Hoffnung) heute großes Ansehen genießt. Der polyglotte, aus St. Margareten im Rosental gebürtige Kärntner Slowene wunderte sich ein wenig über den neuzugezogenen Germanisten und sagte lachend zu mir, ich würde als Neuling in Kärnten bald erfahren, daß in diesem Land ein starker Antiklerikalismus herrsche. Es gelte: »Religio pudendum est!«, Religion sei hier öffentlich »verpönt«.

      Der 2011 verstorbene slowenische Dichter und Philosophielehrer am Slowenischen Gymnasium in Klagenfurt/Celovec Janko Messner wunderte sich übrigens, daß ein Schriftsteller wie ich nach Kärnten (und Österreich) übersiedelt und sich hier niederläßt, wo doch bekanntlich Autoren von Rang eher von hier wegstreben, nach Graz, Wien oder gleich ins Ausland, nach Deutschland wie Elfriede Jelinek, Italien wie Ingeborg Bachmann oder nach Frankreich wie der nunmehrige Nobelpreisträger Peter Handke. Messner nannte die entsprechenden bekannten Namen … Auf Gert Jonke, Josef Winkler und Egyd Gstättner, die hiergeblieben sind, hat er vergessen …

      Für Religiosität müsse man sich also schämen? »Verschämtes« Christentum? Ratlose Religiöse? Religiosität gilt im Sinne Sigmund Freuds und der Psychoanalyse als »Wahn«, dem Marxismus-Leninismus war Religion bekanntlich »Opium des Volks« … Beim Wiener Philosophen Friedrich Kainz habe ich in Vorlesungen gehört, daß die unsterbliche Seele eine »katathyme Konzeption« sei, also eine unhaltbare Annahme, ein Wunsch vielleicht. In den Fremdwörterbüchern wird katathym mit »affekt-, vorstellungs- und wunschbedingt« erklärt. Bertolt Brecht schließlich ist sich sicher: »Ihr werdet sterben wie die Tiere, und es kommt nichts nachher.« Den Verhaltensforscher Konrad Lorenz habe ich im Saarländischen Rundfunk in einem Interview sagen gehört, die Vorstellung eines »persönlichen Gottes« halte er für einen »Frevel«! Frevel bedeutet »schweres Vergehen gegen ein ehernes Gesetz«, in der Sprachgeschichte konnotierte das Wort als Adjektiv aber einst durchaus auch positiv, als »kühn, mutig«. Ein Frevler ist ein schneidiger Draufgänger …

      Dem Verhaltensforscher wird das an sich veraltete Wort wohl auch aus der Forstwirtschaft geläufig gewesen sein, die von Wald-, Wild- oder Jagdfrevel spricht … Konrad Lorenz war als Professor in Königsberg auch ein später Kollege des Immanuel Kant und wird wohl mit dem Aufklärer, dem Verfasser von »Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«, weitgehend übereingestimmt haben. Und über die Metaphysiker dachte Kant, sie seien Denker, die Ochsen melken und ein Sieb darunter halten! Aude sapere! Hab Mut zum Denken und begnüge dich mit dem, was man wissen kann: Bleibt letztlich wirklich nur der Ausweg, den die (irrtümlich) Quintus Septimus Florens Tertullian zugeschriebene Phrase »Credo quia absurdum est« nahelegt? Und: »Contra spem sperare«, »Gegen alle Hoffnung hoffen«? Soll man sich nach der Lektüre der reichen, umfangreichen, religions- und kirchenkritischen Literatur von Immanuel Kant über Baruch de Spinoza und seinen »Tractatus theologico-politicus« bis hin zu Ernst Topitsch, der mit seiner Weltanschauungsanalyse und Ideologiekritik, dem Buch »Vom Ursprung und Ende der Metaphysik«, großes Aufsehen und Widerspruch erregte, »einschüchtern« lassen?

      Vor allem mein Freund Fridolin Wiplinger, Topitschs Kollege – und Konkurrent – am Philosophischen Institut der Universität Wien, Bewunderer von Martin Heidegger und von dessen Existenzialphilosophie, hat sich auf einer »Wallfahrt«, die wir gemeinsam mit dem Hochschulseelsorger Karl Strobl im Opel der Hochschulgemeinde unternommen haben und von der noch die Rede sein soll, in langen Monologen heftig gegen Topitschs Thesen ausgesprochen und Luft gemacht. Die Zeiten seien wohl so oder so vorbei, als man die Philosophie für eine »ancilla theologiae«, eine Magd der Theologie, gehalten hat. Diese Zumutung beantwortet der Philosoph mit »Non serviam«. Doch man muß deshalb nicht gleich an Luzifer und den Höllensturz denken!

      Ich bin Ernst Topitsch einmal frühmorgens auf dem Weg zu meinem Rigorosum bei Erich Heintel begegnet, ohne gleich zu wissen, mit welcher Koryphäe ich es bei diesem immer ein wenig grinsenden, verschmitzten Mann mit rosigem, rundem Gesicht und sorgfältig gescheiteltem, spärlichem Haar zu tun hatte, der stets in altmodischer Kleidung und mit schwarzen Ärmelschonern auftrat. Ich hielt ihn für einen Pedell oder allenfalls einen Bibliothekar oder Beamten … Und natürlich wußte ich nicht, daß mein »Gesprächspartner« – es ging nur um Organisatorisches und Raumfragen für mein bevorstehendes Rigorosum – der Mann war, der als Assistent von Alois Dempf Ingeborg Bachmann ihr (erstes) Dissertationsthema vorgeschlagen und die Arbeit betreut hat: »Der Heilige bei Conrad Ferdinand Meyer, Friedrich Nietzsche und Jacob Burkhardt«. Daß sich Bachmann als ersten »Doktorvater« für Alois Dempf, den als katholisch-liberal geltenden Philosophen entschieden hat, hat neben theoretischen Gründen – der Sympathie für seine Philosophie in der Tradition des »logischen Empirismus« – aber auch mit der aufrechten, eben nicht »rechten« oder konservativen