Helmut Schön. Bernd-M. Beyer

Читать онлайн.
Название Helmut Schön
Автор произведения Bernd-M. Beyer
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730703175



Скачать книгу

das für Helmut Schön ein ganz besonderes war: Er spielte gegen seinen Bruder Walter, der in den Reihen seines alten Vereins Dresdensia stand.

      Enger ging es in den Gruppenspielen um die Deutsche Meisterschaft zu. Der DSC setzte sich gegen Jena, Osnabrück und Eimsbüttel durch, Helmut Schön und Hans König erzielten die meisten Tore. Das bedeutete: Halbfinale gegen Rapid Wien. Diese Spiele wurden ansonsten auf neutralem Boden ausgetragen, weshalb die Dresdner höchst verärgert darüber waren, dass als »neutraler« Platz das Wiener Praterstadion bestimmt worden war. Schön: »Da wir uns benachteiligt fühlten, entstand eine Verbissenheit, die zu dem Entschluss führte, trotz allem unsere Klasse zu beweisen.«

      Die bewies vor allem Schön selbst, der nach dem 2:1-Erfolg der Dresdner vom »Fußball« in den höchsten Tönen gelobt wurde: »der beste Mann auf dem Felde«, »der Glanzpunkt auf dem Felde«; »Schön zeigte eine Leistung, die schlechthin vollendet war«. Dabei spielte für Rapid einer der ganz großen Wiener Stars, Franz »Bimbo« Binder. Doch um den kümmerte sich »wie ein Gummiball« erfolgreich der um einen Kopf kleinere, aber sehr energische Mittelläufer Dzur. Den Sieg sicherte in der Verlängerung Richard Hofmann durch einen Gewaltschuss, der erst gegen den Torpfosten prallte und dann von einem Wiener Schienbein ins Tor sprang.

      Zum ersten Mal stand der DSC damit im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Wie ein Jahr zuvor im Halbfinale traf man in Berlin auf die seinerzeit schier übermächtigen Schalker um Szepan, Kuzorra, Tibulski und Klodt. Trotz des Krieges traten beide Mannschaften nahezu in Bestbesetzung an; bei den Dresdnern fehlte lediglich Hans König im Sturm. Es wurde ein zähes Spiel, das von starken Defensivleistungen geprägt war. Helmut Schön sah sich einer engen Bewachung durch den Schalker Mittelläufer ausgesetzt: »Zweikämpfe zwischen Tibulski und Schön kehren immer wieder. Der Schalker setzt dabei seine ganze Kraft ein, und Schön versucht vergebens, sich von ihm zu lösen. Tibulski weiß zu genau, was seiner Mannschaft drohen kann, wenn Schön das ganze Repertoire seines technisch reifen Könnens auszuspielen vermag, darum lässt er ihm keine Minute Bewegungsfreiheit« (»Fußball«).

      »Spielt doch endlich Fußball«, riefen viele der 90.000 unzufriedenen Zuschauer. Ein Treffer von Ernst Kalwitzki entschied das unansehnliche Spiel schließlich zugunsten der Schalker. Die DSC-Spieler erhielten als Vizemeister dennoch eine Einladung zum Festbankett im Dresdner Rathaus. In dem Schreiben von Oberbürgermeister Dr. Hans Nieland, einem SS-Brigadeführer, wurden die Gäste angesichts kriegsbedingter Lebensmittelknappheit aufgefordert: »An Marken bitte ich mitzubringen: 100 gr Fleisch, 100 gr Brot und 20 gr Butter.«

       Zweifacher Pokalsieger

      Spätestens mit Beginn der Saison 1940/41 galt die Mannschaft des Dresdner SC den Zeitungen als »die Elf Helmut Schöns«, eine Zuschreibung, die zuvor meist noch Richard Hofmann oder beiden gemeinsam gegolten hatte. Doch Hofmann war inzwischen 34 Jahre alt, Schön dagegen mit seinen 25 Jahren im besten Alter. Seine Länderspielerfahrungen und seine Spielintelligenz hatten ihn zur Führungspersönlichkeit reifen lassen, die sich für Fragen von Taktik und Training interessierte. Nach 1945 würde er einen fast nahtlosen Übergang ins Amt eines Spielertrainers finden.

      Es wäre interessant zu wissen, wie die Absprachen zwischen dem in der Presse selten erwähnten Trainer Georg Köhler (mit dem Schön vor 1935 ja noch zusammengespielt hatte), dem souveränen Senior Hofmann und dem gewitzten Spielmacher Schön abliefen. Köhlers Präsenz war eingeschränkt, weil er, anders als das Duo Hofmann/Schön, Kriegsdienst leisten musste. Vorstellbar ist, dass Helmut Schön damals ein fruchtbares Kommunikationsmodell zwischen Trainer und Führungsspielern erlebte, das er selber dann als Bundestrainer praktizieren würde: ein Modell, in dem der Trainer zwar die Verantwortung und letztendlichen Entscheidungen trägt, in dem die Kommunikation aber weitgehend gleichberechtigt abläuft.

      Schöns allgegenwärtige Präsenz auf dem Platz wird in den Presseberichten zum Pokalfinale 1940 deutlich. Wenn sie hier zitiert werden, dann nicht, um ein weiteres Mal lange Loblieder auf den Spieler Schön zu singen, sondern weil seine Spielweise darin anschaulich dargestellt wird. Im »Fußball« war zu lesen: »Führer in diesem Angriff ist nicht [der nominelle Mittelstürmer, d.A.] Machate, sondern Schön, der auch ständig die Verbindung mit den Außenläufern, ja, mit der eigentlichen Abwehr aufrecht erhält. Es war auch heute keine Seltenheit, daß der lange Helmut im eigenen Strafraum auftauchte: besonders bei Eckbällen des Gegners macht er sich auf diese Weise sehr nützlich. Wenn er dann, den Ball gefühlvoll am Fuß, nach vorne eilt, mit unnachahmlicher Eleganz einen oder zwei Nürnberger umspielte und den Ball genau dahin zirkelte, wo er für den Gegner am gefährlichsten wurde, dann jubelten die Massen, weil es eben doch nichts Begeisternderes gibt als solch vollendete Beherrschung von Ball und Körper im schnellsten Lauf und unter dem härtesten Einsatz des Gegners! […] Neben einem solchen Klassespieler muß das Außenstürmerdasein eine Wonne sein.«

      Ähnlich sah ihn im gleichen Spiel der »Kicker«: »Die verhängnisvolle Neigung zum blendreichen Einzelspiel, die ihn den Platz in der Nationalmannschaft kostete, ist überwunden. Schön spielt, denkt, kämpft wieder für die Mannschaft. Und schon entfaltete sich in diesem gereiften Spiel seine vielbewunderte Kunst des ›unsichtbaren‹ Abspiels aus dem Fußgelenk in schnellem Zick-Zack-Lauf, seine unvergleichliche Spielübersicht, seine Denkgewandtheit und der Zauber seiner Klein-Klein-Technik.«

      Angesichts der Lobpreisungen ist zu ahnen, dass der DSC das Finale siegreich bestritten hatte. Der nach dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten benannte Vereinspokal – kurz: Tschammer-Pokal – wurde seinerzeit übers Jahr ausgespielt, mit dem Endspiel im Dezember. Die Dresdner hatten sich im Halbfinale erneut mit Rapid Wien messen müssen, dieses Mal allerdings auf dem heimischen Terrain des Ostrageheges. Das 3:1-Resultat wirkt eindeutiger, als es im Spiel zuging. Schön verletzte sich schon in der 20. Minute bei einem Zusammenprall am Kopf und spielte nur benommen weiter. In der Pause wurde die Wunde genäht, und er konnte erst verspätet wieder auf den Platz, wo seine Elf dann prompt wieder überlegener spielte und die beiden entscheidenden Treffer erzielte.

      Im Finale wartete am 1. Dezember Altmeister 1. FC Nürnberg, der gewöhnlich in den gleichen Farben spielte wie die Dresdner: rotes Hemd, schwarze Hosen. Eine Regelung für diesen Fall gab es seinerzeit noch nicht, also verständigten sich die Teams auf einen Kompromiss: Die »Clubberer« durften ihre roten Hemden tragen (aber weiße Hosen), die Dresdner ihre schwarzen Hosen (aber weiße Hemden). Allerdings überlisteten sie die Nürnberger, indem sie sich unter die weißen Hemden noch die gewohnten roten anzogen.

      Der »Trick« wirkte, vor 60.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion gewannen die Dresdner mit ihrem hochgelobten »Zauberer« Schön nach Verlängerung 2:1 und damit endlich den langersehnten ersten nationalen Titel ihrer Vereinsgeschichte. Im Tor stand der bewährte Kreß, in der Abwehr ließen Karl Miller und der Ur-Dresdner Heinz Hempel – schon sein Vater spielte für den DSC – die Nürnberger Stürmer nicht zur Entfaltung kommen. Walter Dzur agierte wie eine Art moderner »Sechser«: Er sicherte »das berühmte Dresdner Bollwerk« (»Fußball«) und belebte zugleich das Angriffsspiel mit Steilpässen. Von der DSC-Stammelf fehlten Heiner Kugler sowie (vermutlich verletzungsbedingt) Richard Hofmann, der durch Fritz Machate ersetzt wurde.

      Als der Dresdner SC ein Jahr später seinen Pokaltitel verteidigte, waren Kugler und Hofmann wieder dabei; ansonsten trat die Elf unverändert an. Keine Selbstverständlichkeit, denn seit dem Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion – dem »Unternehmen Barbarossa« – hatte die Zahl der Kriegsabstellungen noch einmal beträchtlich zugenommen, und nur ganz wenige DSC-Spieler waren wie Schön noch vom Kriegsdienst befreit.

      1941 mussten sich die Dresdner im Halbfinale erneut mit einer Wiener Mannschaft auseinandersetzen, dieses Mal mit Admira, die sie im Ostragehege vor 28.000 Zuschauern mit 4:2 besiegten. Schön spielte von Verletzungen gehandicapt. Die Wiener hatten statt im gewohnten Weiß im Schalker Königsblau auflaufen müssen, weil bei dieser Partie Szenen für den Film »Das große Spiel« gedreht wurden und das Drehbuch es so erforderte. Der Streifen um Liebes- und Ballspiele wurde ein Kassenschlager.

      Im Endspiel traf der DSC Anfang November auf den wahrhaftigen Angstgegner Schalke 04, eine Aussicht, die Helmut Schön nach eigener Erinnerung »bedrückte«. Doch