Helmut Schön. Bernd-M. Beyer

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Название Helmut Schön
Автор произведения Bernd-M. Beyer
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730703175



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andeuten. Es hagelte nur so heftige Kritiken. Kein guter Fetzen blieb an den deutschen Fußballern. […] Ja mit dem DSC., da hätten wir selbstverständlich glatt gewonnen! Wir verzichten absichtlich auf Wiedergabe der nicht selten unparlamentarischen Aeußerungen, die herumschwirrten.«

      Die Karriere des Nationalspielers Helmut Schön war damit zu Ende, fortan bevorzugte Sepp Herberger den robusteren Ernst Willimowski. Zwar hatte er seinen niedergeschlagenen Stürmer nach dem Dresden-Spiel noch getröstet: »Sie spielen noch viele Länderspiele!« Doch da hatte er entweder sich oder seinen Spieler getäuscht.

      Ob Helmut Schön durch seine großen Erfolge als Vereinsspieler 1943 und 1944 wieder in die Nationalelf zurückgekehrt wäre? Man kann es nicht wissen. Im Herbst 1942 hatte Herbergers Mannschaft ihre letzten drei Auftritte, bevor die NS-Führung im Zuge der »totalen Kriegsführung« jeden internationalen Sportverkehr untersagte. In allen drei Spielen stand Ernst Willimowski neben Fritz Walter; gegen die Schweiz erzielte er vier Tore, gegen Kroatien zwei. Insgesamt brachte er es in nur acht Länderspielen auf 13 Treffer – eine Quote von sagenhaften 1,63 Toren pro Spiel. Fritz Walter juxte einmal, der Willimowski »schießt mehr Tore, als er Chancen hat«. Allerdings vollbrachte »Willi« diese Leistung kriegsbedingt vornehmlich gegen schwächere Gegner.

      Betrachtet man nur Spieler, die über einen längeren Zeitraum in der Nationalmannschaft antraten, so gibt es dort bis zum heutigen Tag nur zwei, deren Quote über der »1« liegt, die also mehr Tore schossen, als sie Einsätze hatten: der unübertreffliche Gerd Müller mit 68 Treffern in 62 Einsätzen. Und Helmut Schön mit 17 Toren in 16 Länderspielen.

      KAPITEL 3

       Krönungen in Kriegszeiten

       1940 bis 1944: Titel mit dem Dresdner SC

      Die »Deutsche Sportillustrierte«, Einzelpreis 30 Pfennige, erschien im Februar 1942 mit einem glücklich dreinblickenden Paar auf der Titelseite; darunter stand: »Helmut Schön als Ehemann – Deutschlands erfolgreicher Nationalspieler Helmut Schön vom DSC hat in Dresden seine reizende Frau gefunden und kommt hier mit Frau Schön geb. Gräfe vom Standesamt.«

      Die beiden hatten sich 1939 im Kasino unter der Tribüne des Ostrageheges kennengelernt. Die 21-jährige Annelies Gräfe war, so Schön, zuvor »mit unserem neuen Linksaußen verlobt« gewesen. Sie entschied sich dann aber doch für den Mittelstürmer. Schön selber, auch erst 23 Jahre alt, hatte »gerade eine Liaison mit der Wiener Tänzerin Nora aus dem Zentraltheater hinter mir«. Nun aber führte er seine Annelies zum Tanzen aus; sie trug einen schicken weißen Panama-Hut und bevorzugte Foxtrott und Tango.

      Annelies Gräfe, die bei der Dresdner Filiale der Allianz-Versicherung angestellt war, stammte aus einer sozialdemokratisch geprägten Familie. Ihr Vater Otto Gräfe, ein Reichsbahnbeamter, verhehlte vor 1933 nicht seine Ablehnung der Nationalsozialisten: »Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!« Mutter Lina sah es wohl ähnlich. Als ihnen die Tochter von ihrer neuen Bekanntschaft berichtete, war die erste Frage der Eltern: »Der Schön? Hoffentlich ist der kein Nazi!«

      Jedenfalls berichtete es Helmut Schön so in seiner Autobiografie. Demnach erlebte er selbst eine ähnliche Reaktion, als er seine Schwester einweihte. Helene war zwölf Jahre älter als er und pflegte (laut Schöns Sohn Stephan) ein liebevolles Verhältnis zu ihrem »kleinen« Bruder. Für Sport und Fußball interessierte sie sich nicht, sie unterhielt in der Dresdner Kulturszene Kontakte zu Künstlern, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Zeitungsmachern. Helenes vorsichtige Frage zu Helmuts neuer Liebe: »Ist die Nazi?«

      Das also war geklärt. Bald wurde Verlobung und am 15. Januar 1942 die Vermählung gefeiert. Die Hochzeitsreise führte das Paar ins Erzgebirge; als es von dort zurückkam, wurde es mit einer schlimmen Nachricht konfrontiert: Max Wollf hatte sich das Leben genommen.

       Der Tod des Max Wollf

      Max Wollf war mehr als ein Untermieter im Hause Schön gewesen; er war auch ein langjähriger Freund der Familie und hatte insbesondere den »Nachzügler« Helmut heranwachsen und populär werden sehen.

      Die antisemitischen Gesetze der Nazis hatten ihn und seinen Bruder Julius Ferdinand um ihre leitenden Stellungen bei den »Dresdner Neuesten Nachrichten« gebracht. Julius Wollf hatte bereits am 31. März 1933, einen Tag vor den ersten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte, die Schriftleitung der Zeitung niederlegen müssen. Dass er sich schon vor Jahren hatte evangelisch taufen lassen, spielte für den NS-Rassenwahn keine Rolle. Die Brüder erlebten die täglichen Schikanen, denen Juden im »Dritten Reich« ausgesetzt waren. Sie mussten mitansehen, wie 1938 in der Reichspogromnacht auch die berühmte Semper-Synagoge den Flammen zum Opfer fiel; SS- und SA-Horden verhinderten, dass die herangerückte Feuerwehr den Brand löschte. Der endgültige Abriss der Ruine wurde der jüdischen Gemeinde dann auch noch in Rechnung gestellt.

      Vor 1933 hatten Juden im kulturellen und wirtschaftlichen Leben der Stadt eine bedeutende Rolle gespielt. »So fanden sich zum Beispiel im Bankgewerbe und in der damals stark vertretenen Zigarettenindustrie viele jüdische Gründungen. An der Technischen Hochschule Dresden lehrten jüdische Wissenschaftler von internationalem Rang wie Richard Edler von Mises, Victor Klemperer, Gustav Eduard Kafka oder Harry Dember«, hieß es in einem von der jüdischen Gemeinde 1994 herausgegebenen Erinnerungsbuch.

      Unmittelbar vor Hitlers Machtübernahme lebten rund 5.000 Juden in Dresden. Ihre Deportationen begannen im Herbst 1938; zugleich erlebte die jüdische Gemeinde den Exodus derer, die noch eine Möglichkeit zur Emigration gefunden hatten. Im Mai 1939 war der Bevölkerungsanteil auf 1.600 Juden geschrumpft, die nun immer massiveren Repressalien ausgesetzt waren: Zwangsarbeit, Umsiedlung in Judenhäuser, Tragen des gelben Davidsterns. Auch Max Wollf musste aus der Struvestraße 38 ausziehen. Laut Helmut Schön diente den Behörden als Vorwand, es könne ansonsten der Eindruck entstehen, er lebe in »Rassenschande« mit Schöns Schwester Helene. Max Wollf kam im Haus seines Bruders in der damaligen Palaisstraße (heutige Franz-Liszt-Straße) unter; Helene traf ihn manchmal heimlich im väterlichen Geschäft, um ihm Nahrungsmittel oder Geld zuzustecken.

      Im Januar 1942 begannen für die Dresdner Juden die großen Transporte, über Riga oder Lodz in die Vernichtungslager. Der 62-jährige Max Wollf sah für sich wohl keinen Ausweg mehr. Er nahm sich am 20. Januar mit Tabletten das Leben. Fünf Wochen später wählten auch sein Bruder, Prof. Julius Ferdinand Wollf, sowie dessen Ehefrau Johanna den Freitod. Die drei Schwestern der Wollf-Brüder beschritten den gleichen Weg. Angesichts bevorstehender Deportationen begingen Klara (Juli 1942), Frieda (Juli 1942) und Rosalie (März 1944) Selbstmord. An alle fünf Geschwister Wollf erinnern heute Stolpersteine vor ihrem Geburtshaus Friedrichstraße 10 in Koblenz.

      Für Helmut Schön hatte Max Wollf einen Brief hinterlassen. In seiner Autobiografie zitierte Schön beeindruckende Passagen daraus: »Mein lieber Helmut, empfange zu Deiner Vermählung meine allerherzlichsten Glückwünsche. Möge der Himmel Dir und Deiner Frau nur Gesundheit und Glück bescheren und in Eurer Verbindung sich alle Wünsche und Hoffnungen erfüllen, die Ihr damit verknüpft. Es ist für mich ein eigenartiges Gefühl, daß das Kerlchen von einst, das ich noch vor mir sehe und singen höre, heute ein Mann ist, der heiratet. Ich bitte Dich und Deine junge Frau, von mir ein Kommodchen anzunehmen und zur Erinnerung an mich ihm in eurer Wohnung Platz zu gewähren. […] Ich lasse es noch vom Tischler in einwandfreien Zustand bringen, und es wird fertig sein, wenn Ihr in Eure Wohnung einziehen könnt.«

      Bei dem »Kommodchen« handelte es sich um eine schöne Barockkommode. Helmut Schön konnte sie auf seinem weiteren Lebensweg stets mit sich nehmen; sie stand schließlich auch in seinem Bungalow in Wiesbaden. Später hat sie sein Sohn Stephan übernommen und bezeichnet sie heute als »ein mir sehr kostbares Erinnerungsstück«.

       »Eine herrliche Fußballzeit«

      Angesichts solcher tragischer Erfahrungen wirkt es irritierend, wenn Helmut Schön in seinen Erinnerungen von 1970 formulierte: »Trotz des sinnlosen