Eine Geschichte der Menschen mit Behinderung Dis/abled in 500-1620. Robert Ralf Keintzel

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Название Eine Geschichte der Menschen mit Behinderung Dis/abled in 500-1620
Автор произведения Robert Ralf Keintzel
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783969870006



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Einzug in das Arbeitsleben der Menschen. Bereits im 16. Jahrhundert wurden nach italienischem Vorbild erste vier bis sechs Meter hohe Hochöfen und wassergetriebenen Werkzeug verwendet. Die Nutzung von Wasserkraft war aber nicht nur auf einen Wirtschaftszweig begrenzt. Die Technik breitete sich über die Zweige der Wirtschaft aus, auch in Städten fanden bald Wasserräder Einzug, so fanden sich im Jahr 1601 im Stadtgebiet von Nürnberg 150 bis 160 Wasserräder. Neben Bergbau und Textilgewerbe war auch unter anderem die Bierproduktion herausragend. Hamburg ist dabei als der größte Bierproduzent im Reich des 15. Jahrhunderts mit seinen 500 Brauchberechtigten zu nennen. Die Güter waren aber nicht nur für den lokalen Markt gedacht, so wurde aus Hamburg 2/3 der Bierproduktion exportiert. Trotz der vielen Spezialisierungen und gewerblichen Arbeitsteilung 1568, zählte Hans Sachs über 60 Handwerke und verwandte Berufe die Arbeitsteilung und eine hohe Spezialisierung aufwiesen, kamen nur wenige Städte in den Genuss, exportieren zu können. Der Export war daher auf wenige Städte begrenzt, so wurde noch im 15. Jahrhundert 80 % bis 90 % regional gehandelt.128 Im Verlauf des Mittelalters gründeten sich, besonders ab dem 12. bis 13. Jahrhundert als zeitlichen Höhepunkt, vermehrt Städte.129

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      Abbildung 11:

      Stufen der mittelalterlichen Stadtgründung in Südwestdeutschland nach R. Siegel - Das 12. Bis 13. Jahrhundert als zeitlicher Höhepunkt der Städtegründung im Heiligen Römischen Reich

      Ab dem 12. Jahrhundert bildeten sich die Städte als Herrschaftsträger heraus,130 dies bedeutet aber nicht, dass nun alle Städte frei und unabhängig waren. So besaßen im 15. Jahrhundert nur 2 % der Städte einen Landherrschaftsgleichen Grad.131

      Abbildung 12:Picture 24 Städtische Selbstverwaltung am Beispiel der mittelalterlichen Stadt Wels

      Das Stadtleben entwickelte sich, unter Landherrschaft oder nicht, dennoch anders. Ein zunehmendes genossenschaftliches Denken setzt im 12. bis 13. Jahrhundert ein. Dies führte im 13. Jahrhundert zu mehr Selbstverwaltung, auch rechtlich. Es entwickelte sich im Spätmittelalter die Willkür, das mittelalterliche Stadtrecht der städtischen Selbstverwaltung, was einen großen Gewinn für die Stadtbewohner darstellte.132 Seit dem 13. Jahrhundert und besonders seit dem Interregnum füllte das Volk das Machtvakuum in der Stadtherrschaft, aber auch auf dem Land durch eigene Kräfte aus. So gab es seit dem 13. Jahrhundert Ratsverfassungen in den Städten, aber auch Gemeinden bildeten sich auf dem Land. Diese nahmen öffentlich-rechtliche Aufgaben wahr und repräsentierten das Volk. Im 16. Jahrhundert bildete sich ein Ausschusswesen der Stände, welche unter anderem permanente Verwaltungsarbeit oder Aufgaben des Landtags übernahmen. So zeigte sich zwischen 1500-1629, dass es auf 56 Landtage 311 Ausschüsse gab.133 Aber nicht nur politische Aufgaben, sondern die Kaufleute wie auch das Gewerbe organisierten sich, sodass es bereits seit dem 9. Jahrhundert Gilden sowie Zünfte gab, in welchen sich die Händler und Arbeiter genossenschaftlich organisierten. Um Handel zu treiben, musste man einer Gilde angehören, und um ein zunftmäßiges Handwerk auszuüben, war die Mitgliedschaft bei einer Zunft verpflichtend. Es handelte sich also nicht um eine Möglichkeit, vielmehr waren diese Organisationen Zwangsverbände, welche unter anderem den Zugang zum Beruf, die Berufsausübung als auch Teile des privates sowie gesellschaftliches Leben regelten. Mit der Einteilung in Bürger und nicht Bürger, zünftiger und unzünftiger Beruf beziehungsweise bürgerlich und Unterschicht übernahm die Stadt das Denken des allgemeinen hierarchischen Systems. Dennoch war das nur eine theoretische Einteilung, denn Armut machte auch vor der zünftigen Bürgerschicht nicht Halt, so waren im Jahr 1417 in Köln 2/3 bis ¾ der Einwohner nicht in der Lage, eine vermögensgebundene Kopfsteuer zu zahlen. Im Jahr 1444 in Straßburg kann man die gleiche Situation erahnen, hier konnte sich 1/3 der Einwohner keine lebensnotwendigen Getreide- und Mehlvorräte leisten, welche bei akuter Kriegsgefahr notwendig wurden. Es ist daher festzuhalten, dass eine Einteilung in reiche Bürger und arme Stadtbewohner nichtzutreffend ist, vielmehr waren große Teile der städtischen Bevölkerung von Armut bedroht oder sogar betroffen. Bis in das 15. Jahrhundert war die Stadtbewohnerschaft nicht gleich der Stadtbürgerschaft.134 Zu Beginn des Spätmittelalters möchte der Autor satirisch die soziale Mobilität der tragenden Schicht von Arbeitern mit einem Gedicht darstellen. Der Aufstieg von Unfreien weckte Begehrlichkeiten bei den anderen Unfreien, auch den sozialen Aufstieg zu schaffen. Diese werden vom mittelalterlichen Epiker Wernher der Gärtner im Jahre 1250 in einem Gedicht über Helmbrecht, der auf keinen Fall so werden will wie der Vater, welcher auf dem Feld den ganzen Tag schuftet, festgehalten. Stattdessen will er als Ritter ein angenehmes Leben haben.135

      „Trink, Vater, Wasser weiter,

      für mich ist Wein gescheiter.

      Auch Grütze magst du essen:

      Ich will sie bald vergessen

      Und mich am frisch gekochten Huhn

      In aller Ruhe gütlich tun.

      Auch will ich bis an meinem Tod

      Nur essen feines Weizenbrot;

      Denn Hafer ist für mich zu schlecht“ 136 Darauf antwortet der Vater: „Geh aufs Feld und nimm den Pflug, dann nützest du der Welt genug.“

      Wernher der Gärtner hört nicht auf seinen Vater, zieht aus, gerät aber an Raubritter und wird selbst zu einem Raubritter, welcher plündernd durch das Land zieht. Schließlich wird Wernher mit der Bande Raubritter gefasst und gehängt. Der Bauer, welcher Ritter werden will und stattdessen zum Raubritter gehängt wird, führt den Leser die soziale Mobilität der Bauern in der Zeit um 1250 vor Augen.137 So wundert auch nicht, wenn der Franziskaner Berthold von Regensburg im 13. Jahrhundert den Hörigen predigte:

      „Du musst sein, was Gott will.“138

      Im 14. Jahrhundert schienen die Wachstumsmöglichkeiten erschöpft, da die natürlichen Grenzen das Bevölkerungswachstum eingrenzten und keine neue Technologien ein weiteres Wachstum ermöglichten. In den Jahren 1315 bis 1317 setzte dann auch eine Hungerkrise ein.139 Aufgrund des Landmangels bildeten sich auf dem Land zunehmend neue Gruppierungen wie Gärtner, „Häusler“ oder „Hausgenossen“ aus, welche Unfreie mit Haus mit oder ohne Land darstellten. Diese Personengruppen stellten in Sachsen im Jahr 1550 25,8 % der ländlichen Bevölkerung dar und sollten im 16. Jahrhundert als ein eigener Stand bestehen. Aufgrund von steigenden Getreidepreisen herrschten Spannungen zwischen den neuen Personengruppen und Bauern.140 Mit den neuen Lebenssituationen sowie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entstanden auch neue Berufe sowie Arbeitsformen, so kam das Verlagswesen hinzu. Verleger kauften Rohstoffe für eine dezentrale Produktion, indem in ländlicher Heimarbeit diese Rohstoffe beispielsweise zu Textilien gesponnen oder gewebt wurden. Die Landbevölkerung hatte vermehrt Zeit, da die bäuerlichen Wirtschaften im Erbfall geteilt wurden und daher der Familienbesitz zunehmend aufteilte, sodass jede nachkommende Generation weniger besaß sowie bestellt werden musste, wenn kein Land dazu kam. Mit der sinkenden Ackerfläche war auch der Bedarf an Nahrungsmitteln für die Selbstversorgung zunehmend nicht mehr gedeckt, sodass Nahrungsmittel eingekauft werden mussten. Hier kam es zur Wechselwirkung mit den Verlegern. Ein Teil der Landbevölkerung arbeitete im Nebengewerbe beispielsweise als Spinner oder Weber und lieferten in kontinuierlichen Zeiteinheiten Produkte an den Verleger in der Stadt ab, hier wurden die Produkte dann weiterverarbeitet und schließlich verkauft. Der Nebenerwerb, aber auch die Abgaben wurden ab dem 16. Jahrhundert vermehrt mit Geld beglichen. Der Aufstieg der Geldwirtschaft war dabei gepaart mit dem Aufstieg des Geldverleihs und des Bankenwesens. So entwickelte sich zunehmend ein Kapitalismus sowie das Exportgeschäft, welches mit dem Geldverkehr Hand in Hand ging und die Selbstversorgerwirtschaft ablöste. Die Heimarbeiter waren ganz neuen Belastungen ausgesetzt, entgegen dem abwechslungsreichen Landwirtschaftsbetrieb leisteten sie zunehmend monotone Arbeit, welche den Körper einseitig belastete. So verwundert auch nicht, dass der Ausruf: „Du spinnst,“ aus dem 16. Jahrhundert stammt und so viel bedeutet, wie einen eigenartigen Gedanken spinnen.141 142

      Die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts war durch abnehmende Bodenerträge, Zersplitterung von landwirtschaftlichen Gütern und eine relative Überbevölkerung gekennzeichnet und führte regional zu krisenhaften Entwicklungen.143 In der Mitte des 14. Jahrhunderts