zu dem Zimmer genau vor meinem Bett befand, studierte ich meine Position auf dem Bett genauer. Ich saß auf der Matratze und wandte mich dem Töpfchen zu. Doch auf einmal hatte ich eine Vermutung für meinen abgewendeten Blick: Immer wenn ich ein Geräusch genauer analysieren möchte, unterbreche ich den visuellen Reiz, indem ich wegsehe und eines meiner Ohren automatisch der Geräuschquelle zuwende.28 Meine Vermutung sprach ich laut aus und meine Therapeutin bat mich, genau an dieser Szene festzuhalten und währenddessen noch einmal ihrem Finger zu folgen. Doch wieder geschah nichts.
28 Ein paar Tage später kam mir der Gedanke, dass ich sicher versucht hatte, etwas zu hören, da sich mein Bruder ebenfalls der Tür zugewandt hatte und weder mir noch seinem Spielzeug Aufmerksamkeit schenkte, was Babys eigentlich in der Regel machen.
Wie immer fragte sie mich danach, wie gut die Sätze, welche eine Kontrolle im positiven und im negativen Sinn beinhalteten, passen würden. Der positive Satz „Ich habe die Kontrolle“ passte nun etwas besser zu dem wahrgenommenen Reiz der Alkoholfahne (von Drei auf Vier).
Nachdem wir erneut unsere gewohnten Plätze eingenommen hatten, bemerkte ich mit einer leichten Enttäuschung, dass mein Beschützerinstinkt nicht so einfach nachgab. Ich verdeutlichte ihr grinsend, dass er mir gesagt hatte: „Nein, nein, Fräulein, so einfach kommst du nicht an die Erinnerung ran!“
Interessiert befragte ich mich meine Therapeutin, was bzw. wer mein Beschützer sei und ob es noch mehr Charaktere geben würde. Da ich tatsächlich gern Selbstgespräche führe, stellte ich ihr, mit Nachfragen ihrerseits, folgende Varianten von mir vor, von denen sich zwei jedoch als mein eigens geschaffenes Skotom herausstellen sollten:
das gewöhnliche Ich
Jack29, mein Bodyguard (Skotom Nr. 1)29 Nach Jack Bauer (gespielt von Kiefer Sutherland) aus der Serie 24.
Pandora, die Vernachlässigte (Skotom Nr. 2)
mein Instinkt
Ich trainierte seit Jahren, die leise Stimme in meinem Hinterkopf lauter zu stellen und sie so noch schwerer ignorieren zu können. Egal was sie mir rät, ich höre darauf. Natürlich zweifle ich hin und wieder an ihr, doch das ist einfach der Besserwisser in mir. Jedes Mal stellt sich seine Theorie dann als falsch heraus, doch ich versuche trotzdem manchmal über meinem Instinkt zu stehen. Wir sind nichts anderes als Tiere, auch wenn sich der ein oder andere für einen Gott hält. Doch gewisse Eigenschaften, die wir vor Tausenden von Jahren wie selbstverständlich genutzt haben, sollten wir wieder zulassen, denn sie stellen sich sehr oft als ziemlich nützlich heraus.
Der Albtraum
Ich lag in meinem Bett und schlief auf der Seite, mit dem Gesicht zur Wand. Somit hatte ich die Schiebetür im Rücken. Auf einmal öffnete sich diese, was mich natürlich sofort aufschrecken ließ. Langsam drehte ich meinen Kopf etwas zu der Tür, um einen Blick auf das Geschehen werfen zu können. Mit rasendem Herz beobachtete ich mit leicht geöffneten Augen eine Gestalt, die zu mir ins Zimmer schlich. Es war ein Mann mittleren Alters, der schwer atmete und sich vorsichtig zu meinem Bett bewegte. Inzwischen hatte ich mich wieder zur Wand gedreht und stellte mich schlafend, während ich jeder Bewegung des Mannes lauschte. Die Panik wuchs stetig in mir weiter und wandelte sich schließlich in blanke Angst, als ich spürte, wie er meine Decke zurückschlug und sich mit einem erleichterten Seufzer zu mir legte. Als ob es das Normalste der Welt wäre, schmiegte er sich eng an mich und kam schließlich zur Ruhe. Noch nie hatte ich so große Angst. Ich war in eine Art Schockstarre verfallen und spürte angewidert den Arm des Mannes um meinen Bauch sowie seinen Körper an meinem. Das Schlimmste an der ganzen Sache waren jedoch meine Gedanken. Während ich unbeweglich und voller Angst dalag, schoss mir nur ein Gedanke immer wieder durch den Kopf: „Oh nein, nicht schon wieder!“