Skotom. Moira Dawkins

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Название Skotom
Автор произведения Moira Dawkins
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072478



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hören und auch einen ihrer Hunde, der stets schnarchend auf seinem Platz lag.

      Zufrieden mit meinen Beweisen startete meine Therapeutin eine neue Runde. Nach dem erneuten Ablauf der zehn Sekunden holte sie mich zurück und baute meine zuvor erwähnten Anhaltspunkte der Gegenwart in ihre ruhigen Worte mit ein. Dann erkundigte sie sich nach dem Belastungsgrad der gerade erlebten Erinnerung. Ich war unsicher und teilte ihr genau das mit. Ihre Feststellung, dass der Belastungsgrad nicht gestiegen sei, konnte ich jedoch bestätigen, was sie sich zufrieden notierte.

      Am Ende jeder Sitzung nahmen wir uns immer Zeit, um über alltägliche Dinge zu sprechen. Da bei jeder EMDR-Sitzung langsam und vorsichtig vorgegangen werden muss, war dies eine hervorragende Möglichkeit, um zu entspannen. Ich war zwar durchgehend ruhig und gelassen und genoss die Gespräche jedes Mal.

      Wie so oft kam mein Hobby, das Zeichnen, zur Sprache. Nebenher erwähnte ich Leonardo da Vinci sowie meine Faszination für ihn. Ich erwähnte beiläufig, dass er Linkshänder war und deshalb in Spiegelschrift geschrieben hatte. Ich, als Rechtshänder, hatte mich schon oft in langweiligen Situationen (vor allem in der Schule) am Schreiben mit meiner schwachen Hand versucht, allerdings ohne das seitenverkehrte Schreiben. Ich erzählte meiner Therapeutin, dass ich dabei auch einen Hintergedanken hatte. Sollte nämlich aus irgendeinem Grund meine rechte Hand kurzzeitig ihren Dienst quittieren, z. B. durch einen Bruch, so könne ich ohne Probleme auf die linke Hand ausweichen. Natürlich war das eher als Spaß gedacht, da ich immer noch nicht richtig mit links schreiben kann. Trotzdem brachte diese Aussage meine Therapeutin auf eine Idee:

      Dieses Mal bestand meine Hausaufgabe darin, eine Struktur des menschlichen Körpers, vorzugsweise des Darms, mit links zu zeichnen. Passend zu meinem Beschwerdebild schlug ich sofort eine Dünndarmzotte vor.

      Das Ergebnis erstaunte mich selbst, doch gleichzeitig erleichterte es mich ungemein. Auf den ersten Blick sah es so aus, als hätte ich die Zeichnung mit meiner starken Hand angefertigt. Nun wusste ich, dass ich zur Not auf die linke Hand wechseln konnte. Mit ein wenig Übung würde dann auch der leicht verschwommene Eindruck verschwinden. Die Zeichnung war so sehr gegen die Erwartungen meiner Therapeutin, dass diese davon ausging, eine Skizze vor sich zu haben, die mit rechts gezeichnet worden war. Zugegebenermaßen war ich mächtig stolz auf mich, als ich sie aufklärte. Ihr Erstaunen hierüber war umwerfend.

      Und wieder bekam ich am Ende der Stunde keine Hausaufgabe auf. Auf mein Nachhaken antwortete sie, dass sie sich etwas überlegen würde und ich absolut nichts dafür tun müsse. Mein gespanntes Warten wurde belohnt. In der nächsten Therapiestunde führte meine Therapeutin nämlich eine echte EMDR-Sitzung durch. Bevor es losging, benötigte sie wieder eine weniger belastende Situation von mir. Mir fiel auch sofort etwas ein, auch wenn hierbei der Ärger größer war als eine evtl. bestehende Belastung: Einer der letzten Ärzte, den ich wegen meiner Beschwerden aufgesucht hatte, hatte es tatsächlich geschafft, dass ich mich für einen kurzen Moment wie ein Stück Dreck gefühlt habe. Dabei wurde mir dieser Mann als gutmütig und großherzig empfohlen. Entweder war damals nicht sein Tag oder er zeigt seine gute Seite nur vor Privatpatienten. Ich tendiere dabei stark zu der zweiten These. Ich saß damals vor seinem Sprechzimmer. Neben mir saß eine Frau, die offenbar auch zu ihm wollte, denn sie las gerade einen Artikel über ihn. Sie war vor mir dran und kam eine gute halbe Stunde später freudestrahlend wieder aus dem Zimmer. Ich wartete nun gespannt darauf, aufgerufen zu werden, da dieser Mann wohl tatsächlich seinem Ruf entsprach. Schließlich wurde die Tür geöffnet, der Arzt trat heraus und rief meinen Namen. Doch als er sah, wer auf diesen Namen reagierte, und ich lächelnd auf ihn zuging, entgleisten ihm förmlich die Gesichtszüge. Jegliche Freundlichkeit und Wärme, die ich noch vor wenigen Minuten beobachtet hatte, als er die Dame vor mir begrüßt hatte, waren schlagartig verschwunden. Die Enttäuschung in mir wuchs mit jedem Schritt, den ich auf ihn zumachte, doch ich zwang mich zum sympathischsten Lächeln, das ich in diesen Sekunden aufbringen konnte. Das Gespräch verlief dementsprechend kühl und ich verließ das Sprechzimmer genauso hilflos, wie ich es betreten hatte. Noch nie habe ich meine Zeit derart verschwendet. Beim Verlassen der Klinik schaffte ich es kaum, meine Tränen zurückzuhalten, was bei mir sehr selten vorkommt.

      Wieder war meine Therapeutin sehr zufrieden mit dieser Erinnerung. Nachdem sie sich wieder schräg vor mir postiert hatte, eröffnete sie mir, dass wir anhand der soeben beschriebenen Erinnerung eine echte EMDR-Sitzung durchführen würden. Doch zuvor brauchte sie noch ein paar Informationen. Dazu las sie die exakten Worte aus ihrem Protokoll vor, damit alles seinen rechten Gang gehen konnte.

      Zuerst sollte ich mich kurz in die Situation versetzen, als dem Arzt klar wurde, dass bei mir nichts zu holen war. Die „Entgleisung der Gesichtszüge“ war der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Erinnerung und somit auch der Mittelpunkt der Sitzung. Danach sollte ich mir eine negative Beschreibung zu meiner Person einfallen lassen, die am besten zu dem entscheidenden Moment passte. Anfangen sollte der Satz mit „Ich bin …“. Sofort schoss mir das Wort „wertlos“ durch den Kopf und so sagte ich etwas zögerlich: „Ich bin wertlos.“

      26 0 = keine Belastung; 10 = größte Belastung.

      27 1 = überhaupt nicht zutreffend; 7 = absolut zutreffend.

      Die Vorbereitungen waren somit abgeschlossen und es konnte losgehen. Meine Therapeutin warnte mich noch vor, dass die Bewegungen ihrer Hand nun deutlich schneller sein würden, was ich kurz darauf auch bemerkte. Ich hatte große Mühe, mit meinen Augen ihren Fingern zu folgen und mich gleichzeitig auf das Erlebte von damals zu konzentrieren. Nach der ersten Runde passierte nichts, doch beim zweiten Mal fielen mir ein paar Details ein. Kleinigkeiten, wie ein Bild an der Wand oder das Aussehen der Zeitschrift der Frau. Genau das wollte meine Therapeutin erreichen und startete sogleich die nächste Runde. Erst als ich mehrmals keine Veränderung feststellte, beendeten wir die EMDR-Sitzung. Ein letztes Mal sprach sie mich auf den positiven und negativen Satz an. Wieder sollte ich angeben, inwieweit die beiden Sätze auf die Situation zutrafen. Bei dem negativen Satz „Ich bin wertlos“ gab ich eine Drei an, somit eine Besserung. Lediglich der positive Satz „Ich bin wertvoll“ passte, rein logisch gedacht, immer noch nicht dazu und erhielt weiterhin eine Eins. Auch der Belastungsgrad war auf eine Null gesunken, da ich in diesem Moment keinen Ärger mehr wahrnehmen konnte.

      Zwar verlief diese Runde nicht exakt nach den Vorstellungen meiner Therapeutin, doch nun wussten wir beide, wie so eine EMDR-Sitzung abläuft, und konnten darauf aufbauen.

      Als wir wieder, wie gewohnt, einander gegenüber saßen, sprachen wir über das soeben Erlebte und wie es weitergehen konnte. Als Nächstes sollten meine Kindheitserinnerungen an der Reihe sein. Meine Therapeutin machte noch einmal deutlich, dass sie wisse, dass mich diese in keiner Weise belasten würden, sondern dass ich lediglich die Lücken füllen wollte. Ich war erleichtert, dass sie diesen Umstand nicht vergessen hatte. Und die soeben durchgeführte Sitzung hatte gezeigt, dass solche Lücken tatsächlich gefüllt werden konnten. Sie betonte auch, dass ich als Kind instinktiv alles richtig gemacht hätte, als ich begonnen hatte, die belastenden Erlebnisse nicht an mich heranzulassen. Ich wäre heute sicher ein anderer Mensch, wenn ich jedes Mal zugelassen hätte, dass eine negative Erfahrung die Kontrolle über meine Gedanken und Gefühle übernimmt.

      In