Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



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wie die Vögel der Luft. Zum letztenmal, Miriam, ich frage dich: laß diesen Alten, laß den verfluchten Christen: – ich sage dir, der Schutt dieser Wälle wird sie bald bedecken. Ich weiß, du hast ihn getragen im Herzen: – ich will dir’s verzeihen –, nur werde jetzt mein Weib.» Und wieder griff er nach ihrer Hand. – «Du mir meine Liebe verzeihn? Verzeihn, was so hoch über dir wie die leuchtende Sonne über dem schleichenden Wurm? Wär ich’s wert, daß ihn je mein Auge gesehen, wenn ich dein Weib würde? Hinweg, hinweg von mir!»

      «Ha», rief Jochem, «zu viel, zu viel! Mein Weib – du sollst es nimmer werden! Aber winden sollst du dich in diesen Armen, und den Christen will ich dir aus dem blutenden Herzen reißen, daß es zucken soll in Verzweiflung. Auf Wiedersehen.»

      Und er war aus dem Hause und alsbald aus der Stadt verschwunden.

      Miriam, von bangen Gefühlen bedrängt, eilte ins Freie. Es trieb sie zu beten: aber nicht in der dumpfen Synagoge, sie betete ja für ihn: und es drängte sie, zu seinem Gott zu beten. Sie wagte sich scheuen Fußes in die nahe Basilika Sankt Mariä, aus der man an Friedenstagen oft die Jüdin mit Flüchen verscheucht hatte. Aber jetzt hatten die Christen keine Zeit zu fluchen.

      Sie kauerte sich in eine dunkle Ecke des Säulenganges und vergaß in heißem Gebet bald sich selbst und die Stadt und die Welt: sie war bei ihm und bei Gott. –

      Inzwischen verlief die letzte Stunde der Waffenruhe; schon neigte sich die Sonne dem Meeresspiegel zu. Die Goten flickten und stopften nach Kräften die zertrümmerten Mauerstellen, räumten den Schutt und die Toten aus dem Wege und löschten die Brände. Da lief die Sanduhr zum drittenmal ab, während Belisar vor seinem Zelte seine Heerführer versammelt hielt, des Zeichens der Übergabe auf dem Kastell des Tiberius harrend. «Ich glaub’ es nicht!» flüsterte Johannes zu Prokop. «Wer solche Streiche tut, wie ich von jenem Alten gesehen, gibt die Waffen nicht ab. Es ist auch besser so: da gibt’s einen tüchtigen Sturm und dann eine tüchtige Plünderung.»

      Und auf der Zinne des Kastells erschien Graf Uliaris und schleuderte trotzig seinen Speer unter die harrenden Vorposten.

      Belisar sprang auf «Sie wollen ihr Verderben, die Trotzigen; wohlan, sie sollen’s haben. Auf, meine Feldherrn, zum Sturm. Wer mir zuerst unsre Fahne auf den Wall pflanzt, dem geb’ ich ein Zehntel der Beute.»

      Nach allen Seiten eilten die Anführer auseinander: Ehrgeiz und Habsucht spornten sie. Eben bog Johannes um die zerstörten Bogen des Aquädukts, welchen Belisar durchbrochen, den Belagerten das Wasser zu entziehen, da rief ihn eine leise Stimme.

      Schon dämmerte es so stark, daß er nur mit Mühe den Rufenden erkannte. «Was willst du, Jude?» rief Johannes eilig. «Ich habe keine Zeit! Es gilt harte Arbeit! Ich muß der Erste sein in der Stadt.»

      «Das sollt, ihr, Herr, ohne Arbeit, wenn ihr mir folgt.»

      «Dir folgen? Weißt du einen Weg über die Mauer durch die Luft?»

      «Nein! Aber unter der Mauer, durch die Erde. Und ich will ihn euch zeigen, wenn ihr mir tausend Solidi schenkt und ein Mädchen zur Beute zusprecht, das ich fordre.»

      Johannes blieb stehen: «Was du willst, sei dein. Wo ist der Weg?» – «Hier!» sagte Jochem und schlug mit der Hand auf die Steine. – «Wie? die Wasserleitung? Woher weißt du?» – «Ich habe sie gebaut. Ein Mann kann, gebückt, durchschleichen; es ist kein Wasser mehr drin. Eben komme ich auf diesem Wege aus der Stadt. Die Leitung mündet in einem alten Tempelhaus an der Porta Capuana; nimm dreißig Mann und folge mir.»

      Johannes sah ihn scharf an. «Und wenn du mich verrätst?»

      «Ich will zwischen euren Schwertern gehen. Lüge ich, so stoßt mich nieder.» – «Warte!» rief Johannes und eilte hinweg.

      Fünftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Bald darauf erschien Johannes wieder mit seinem Bruder Perseus und ungefähr dreißig entschlossenen armenischen Söldnern, die außer ihren Schwertern kurze Handbeile führten. «Wenn wir drin sind», sprach Johannes, «reißt du, Perseus, das Ausfallpförtchen auf, rechts von der Porta Capuana, im Augenblick, da die andern unsre Fahne auf dem Wall entfalten. Auf dies Zeichen stürzen von außen meine Hunnen auf die Ausfallpforte. Aber wer hütet den Turm an der Porta? Den müssen wir haben.»

      «Isak, ein großer Freund der Edomiten, der muß fallen.»

      «Er fällt», sprach Johannes und zog das Schwert: «Vorwärts!» Er war der erste, der in den Hohlgang der Wasserleitung stieg. «Ihr beiden, Paukaris und Gubazes, nehmt den Juden in die Mitte: beim ersten Verdacht – nieder mit ihm!»

      Und so, bald auf allen vieren kriechend, bald gebückt tastend, bei völliger Dunkelheit, rutschten und schlichen die Armenier ihm nach, sorgfältig jeden Lärm ihrer Waffen vermeidend: lautlos krochen sie vorwärts.

      Plötzlich rief Johannes mit halber Stimme: «Faßt den Juden! Nieder mit ihm! – Feinde! Waffen! – Nein, laßt!» rief er rasch, «es war nur eine Schlange, die vorüber rasselte! Vorwärts.»

      «Jetzt zur Rechten!» sprach Jochem, «hier mündet die Wasserleitung in einen Tempelgang.»

      «Was liegt hier? – Knochen – ein Skelett!»

      «Ich halt’s nicht länger aus! Der Modergeruch erstickt mich! Hilfe!» seufzte einer der Männer.

      «Laßt ihn liegen! Vorwärts!» befahl Johannes. «Ich sehe einen Stern.» – «Das ist das Tageslicht in Neapolis», sagte der Jude – «nun nur noch wenige Ellen.» –

      Johannes’ Helm stieß an die Wurzeln eines hohen Ölbaums, die sich im Atrium des Tempelhauses breit über die Mündung des Tempelgangs spannten.

      Wir kennen den Baum.

      Den Wurzeln ausweichend, stieß er den Helm hell klirrend an die Seitenwand: erschrocken hielt er an. Aber er hörte zunächst nur den heftigen Flügelschlag zahlreicher Tauben, die da hoch oben wild verscheucht aus den Zweigen der Olive flogen.

      «Was war das?» fragte über ihm eine heisere Stimme.

      «Wie der Wind in dem alten Gestein wühlt!» Es war die Witwe Arria. «Ach Gott», sprach sie, sich wieder vor dem Kreuze niederwerfend, «erlöse uns von dem Übel und laß die Stadt nicht untergehen, bis daß mein Jucundus wiederkommt! Wehe, wenn er ihre Spur und seine Mutter nicht mehr findet. O laß ihn wieder des Weges kommen, den er von mir gegangen: zeig’ ihn mir wieder, wie ich ihn diese Nacht gesehen, aufsteigend aus den Wurzeln des Baumes.»

      Und sie wandte sich nach der Höhlung. «Oh! dunkler Gang, darin mein Glück verschwunden, gib mir’s wieder heraus! Gott, führ’ ihn mir zurück auf diesem Wege.» Sie stand mit gefalteten Händen gerade vor der Höhlung, die Augen fromm gen Himmel gewendet.

      Johannes stutzte. «Sie betet!» sagte er, «soll ich sie im Gebet erschlagen?» – Er hielt inne, er hoffte, sie solle aufhören und sich wenden. «Das dauert zu lange, ich kann unserm Herrgott nicht helfen!» Und rasch hob er sich aus den Wurzeln heraus. Da schaute die Betende mit den halberblindeten Augen nieder; sie sah aus der Erde steigen eine schimmernde Mannesgestalt.

      Ein Strahl der Verklärung spielte um ihre Züge. Selig breitete sie die Arme aus. «Jucundus!» rief sie.

      Es war ihr letzter Hauch. Schon traf sie des Byzantiners Schwert ins Herz.

      Ohne Weheruf, ein Lächeln auf den Lippen, sank sie auf die Blumen: Miriams Blumen.

      Johannes aber wandte sich und half rasch seinem Bruder Perseus, dann dem Juden und den ersten dreien seiner Krieger herauf. «Wo ist das Pförtchen?» – «Hier links, ich gehe zu öffnen!» Perseus wies die Krieger an. – «Wo ist die Treppe zum Turm?» – «Hier rechts», sprach Jochem – es war die Treppe, die zu Miriams Gemach führte, wie oft war Totila hier hereingeschlüpft! – «still, der Alte läßt sich hören.»

      Wirklich,