Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

Читать онлайн.
Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



Скачать книгу

auch Witichis hatte sein redlich Teil der germanischen Rauflust, und es war seinem Mut eine herbe Zumutung, anstatt frisch draufloszuschlagen, zurückweichend seine Verteidigung zu suchen. Aber noch mehr. Nicht rühmlich war es für den König, der um seiner Tapferkeit willen auf den Thron des feigen Theodahad gehoben worden, wenn er sein Regiment mit schimpflicher Flucht begann. Er hatte Neapolis verloren in den ersten Tagen seiner Herrschaft, sollte er jetzt freiwillig Rom, die Stadt der Herrlichkeiten, sollte er mehr als die Hälfte von Italien preisgeben? Und wenn er seinen Stolz bezwang um des Volkes willen – wie mußte das Volk von ihm denken? Diese Goten mit ihrem Ungestüm, ihrer Verachtung der Feinde! Konnte er irgend hoffen, ihren Gehorsam zu erzwingen? Denn ein germanischer König hatte mehr zu raten, vorzuschlagen, als zu befehlen und zu gebieten. Schon mancher germanische König war von seinem Volksheer wider seinen Willen zu Kampf und Niederlage gezwungen worden. Er fürchtete ein Gleiches: und schweren Herzens wandelte er einst des Nachts im Lager zu Regeta in seinem Zelt auf und ab.

      Da nahten hastige Schritte, und der Vorhang des Zeltes ward aufgerissen: «Auf, König der Goten», rief eine leidenschaftliche Stimme, «jetzt ist nicht Zeit zu schlafen!» – «Ich schlafe nicht, Teja», sprach Witichis, «seit wann bist du zurück? Was bringst du?» – «Eben schritt ich ins Lager, der Tau der Nacht ist noch auf mir. Wisse zuerst: sie sind tot.» – «Wer?» – «Der Verräter und die Mörderin!» – «Wie? Du hast sie beide erschlagen?» – «Ich schlage keine Weiber. Theodahad, dem Schandkönig, folgte ich zwei Tage und zwei Nächte. Er war auf dem Weg nach Ravenna, er hatte starken Vorsprung. Aber mein Haß war noch rascher als seine Todesangst. Schon bei Narnia holte ich ihn ein. Zwölf Sklaven begleiteten seine Sänfte, sie hatten nicht Lust, für den Elenden zu sterben: sie warfen die Fackeln weg und flohn.

      Ich riß ihn aus der Sänfte und drückte ihm sein eigenes Schwert in die Faust. Er aber fiel nieder, bat um sein Leben und führte zugleich einen heimtückischen Stoß nach mir. Da schlug ich ihn, wie ein Opfertier: mit drei Streichen. Einen für das Reich, und zwei für meine Eltern. Und ich hing ihn an seinem goldenen Gürtel auf, an der offenen Heerstraße, an einen dürren Eibenbaum: da mag er hangen, ein Fraß für die Vögel des Himmels, eine Warnung für die Könige der Erde.»

      «Und was ward aus ihr?»

      «Sie fand ein schreckliches Ende!» sprach Teja schaudernd.

      «Als ich von hier nach Rom kam, wußte man nur, daß sie verschmäht, den Feigling zu begleiten: er floh allein. Gothelindis aber rief seine kappadokische Leibwache zusammen und verhieß den Männern goldene Berge wenn sie zu ihr halten und mit ihr nach Dalmatien und in das feste Salona sich werfen wollten.

      Die Söldner schwankten und wollten erst das verheißene Gold sehen. Da versprach Gothelindis, es zu bringen, und ging. Seitdem war sie verschwunden. Wie ich wieder durch Rom kam, war sie freilich gefunden.» – «Nun?» – «Sie hatte sich in die Katakomben gewagt, allein, ohne Führer, einen dort vergrabenen Schatz zu holen. Sie muß sich in diesem Labyrinth verirrt haben, sie fand den Ausgang nicht mehr. Suchende Söldner trafen sie noch lebend, ihre Fackel war nicht abgebrannt, sondern fast völlig erhalten: sie mußte alsbald erloschen sein, nachdem sie die Höhlung beschritten. Wahnsinn sprach aus ihrem Blick, lange Todesangst, Verzweiflung haben dieses böse Weib zermürbt: sie starb, sowie sie ans Tageslicht gebracht ward.»

      «Schrecklich!» rief Witichis. – «Gerecht!» sagte Teja. «Aber höre weiter.»

      Eh’ er beginnen konnte, eilten Totila, Hildebad, Hildebrand und andre gotische Führer ins Zelt: «Weiß er’s?» fragte Totila. – «Noch nicht», sagte Teja. – «Empörung!» rief Hildebad! «Empörung! Auf, König Witichis, wehre dich deiner Krone! Lege dem Knaben das Haupt vor die Füße.» – «Was ist geschehn?» fragte Witichis ruhig.

      «Graf Arahad von Asta, der eitle Laffe, hat sich empört. Er ist gleich nach deiner Wahl davongeritten gegen Florentia, wo sein älterer Bruder, der stolze Herzog von Tuscien, Guntharis, haust und herrscht. Da haben die Wölsungen viel Anhang gefunden, haben die Goten überall aufgerufen gegen dich zum Schutz der ‹Königslilie›, wie sie sie nennen: Mataswintha sei die Erbin der Krone. Sie haben sie als Königin ausgerufen. Sie weilte in Florentia, fiel also gleich in ihre Gewalt. Man weiß nicht, ist sie Guntharis’ Gefangene oder Arahads Weib. Nur das weiß man, daß sie awarische und gepidische Söldner geworben, den ganzen Anhang der Amaler und ihre ganz Sippe und Gefolgschaft, zu all dem großen Anhang der Wölsungen, bewaffnet haben. Dich schelten sie den Bauernkönig: sie wollen Ravenna gewinnen!»

      «O schicke mich nach Florentia mit nur drei Tausendschaften!» rief Hildebad zornig. «Ich will dir diese Königin der Goten samt ihrem adeligen Buhlen in einem Vogelkäfig gefangen bringen.»

      Aber die andern machten besorgte Gesichter. «Es sieht finster her!» sprach Hildebrand. «Belisar mit seinen Hunderttausenden vor uns: im Rücken das schlangenhafte Rom, – all unsre Macht noch fünfzig Meilen fern – und jetzt noch Bruderkrieg und Aufruhr im Herzen des Reiches! Der Donner schlag’ in dieses Land.»

      Aber Witichis blieb ruhig und gefaßt wie immer. Er strich mit der Hand über die Stirn. «Es ist vielleicht gut so», sagte er dann. «Jetzt bleibt uns keine Wahl. Jetzt müssen wir zurück.» – «Zurück?» fragte Hildebrand zürnend. – «Ja! Wir dürfen keinen Feind im Rücken lassen. Morgen brechen wir das Lager ab und gehn…» – «Gegen Neapolis vor?» sagte Hildebad. «Nein! Zurück nach Rom! Und weiter, nach Florentia, nach Ravenna! Der Brand der Empörung muß zertreten sein, eh’ er noch recht entglommen.» – «Wie? Du weichst vor Belisar zurück?» – «Ja, um desto stärker vorzugehen, Hildebad! Auch die Bogensehne spannt die Kraft zurück, den tödlichen Pfeil zu schnellen.» – «Nimmermehr!» sprach Hildebad, «das kannst – das darfst du nicht.»

      Aber ruhig trat Witichis auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter: «Ich bin dein König. Du hast mich selbst gewählt. Hell klang vor andern dein Ruf: Heil König Witichis! Du weißt es, Gott weiß es: nicht ich habe die Hand ausgestreckt nach dieser Krone! Ihr habt sie mir auf das Haupt gedrückt: nehmt sie herunter, wenn ihr sie mir nicht mehr anvertraut. Aber solang ich sie trage, traut mir und gehorcht: sonst seid ihr mit mir verloren.»

      «Du hast recht», sagte der lange Hildebad und senkte das Haupt. «Vergib mir! Ich mach’ es gut im nächsten Gefecht.»

      «Auf, meine Feldherrn», schloß Witichis, den Helm aufsetzend, «du, Totila, eilst mir in wichtiger Sendung zu den Frankenkönigen nach Gallien: ihr andern fort zu euren Scharen, brecht das Lager ab: mit Sonnenaufgang geht’s nach Rom.»

      Siebentes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wenige Tage darauf, am Abend des Einzugs der Goten in Rom, finden wir die jungen «Ritter»: Lucius und Marcus Licinius, Piso, den Dichter, Balbus, den Feisten, Julianus, den jungen Juristen, bei Cethegus, dem Präfekten, in vertrautem Gespräch.

      «Das also ist die Liste der blinden Anhänger des künftigen Papstes Silverius, meiner schlimmsten Argwöhner? Ist sie vollständig?» – «Sie ist es. Es ist ein hartes Opfer», rief Lucius Licinius, «das ich dir bringe, Feldherr. Hätt’ ich gleich, wie das Herz mich antrieb, Belisar aufgesucht, ich hätte jetzt schon Neapolis mit belagert und bestürmt, statt daß ich hier die Katzentritte der Priester belausche und die Plebejer marschieren und in Manipeln schwenken lehre.» – «Sie lernen’s doch nie wieder», meinte Marcus.

      «Geduldet euch», sagte Cethegus ruhig, Ohne von einer Papyrusrolle aufzublicken, die er in der Hand hielt. «Ihr werdet euch bald genug und lang genug mit diesen gotischen Bären balgen dürfen. Vergeßt nicht, daß das Raufen doch nur Mittel ist, nicht Zweck.»

      «Weiß nicht», zweifelte Lucius.

      «Die Freiheit ist der Zweck, und Freiheit fordert Macht», sprach Cethegus; «wir müssen diese Römer wieder an Schild und Schwert gewöhnen, sonst» – der Ostiarius meldete einen gotischen Krieger. Unwillige Blicke tauschten die jungen Römer.

      «Laß ihn ein!» sprach Cethegus, seine Schreibereien