Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

Читать онлайн.
Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



Скачать книгу

sich das Lager Johannes des Blutigen. Diesem tapferen Führer war die Via Nolana anvertraut und die Aufgabe, die Straße nach Rom zu erzwingen. Hier in den breiten Wiesenflächen, auf den Saatfeldern fleißiger Goten, tummelten die Massageten und die gelben Hunnen ihre kleinen, häßlichen Gäule. Daneben lagerten leichte persische Söldner, in Linnenpanzern, mit Pfeil und Bogen; dann schwere armenische Schildträger, Makedonen mit zehn Fuß langen «Sarissen» (Lanzen) und große Massen thessalischer und thrakischer, aber auch sarazenischer Reiter, zu verhaßter Untätigkeit in diesem Belagerungskampf verurteilt und ihre Muße nach Kräften ausfüllend mit Streifzügen ins Innere des Landes.

      Das mittlere Lager, gerade im Osten der Stadt, war von dem Hauptheer erfüllt: Belisars großes Feldherrnzelt von blauer sidonischer Seide mit dem Purpurwimpel ragte in seiner Mitte. Hier stolzierte die Leibwache, die Belisar selbst bewaffnete und besoldete, und zu der nur die erlesensten Leute, die sich dreimal durch Todesverachtung im Kampf ausgezeichnet, zugelassen wurden: – aus ihr gingen Belisars Schüler und beste Heerführer hervor – in reichvergoldeten Helmen mit roten Roßhaarkämmen, den besten Brust-und Beinharnischen, ehernen Schilden, dem breiten Schwert und der partisanen-gleichen Lanze. Hier bildeten den Kern des Fußvolks achttausend Illyrer, die einzige gute Truppe, die das Griechenreich noch selbst stellte; hier aber lagerten auch unter dem Befehl ihrer Stammesfürsten die awarischen, bulgarischen, sarmatischen und auch germanischen Scharen, wie Heruler und Gepiden, die Byzanz um schweres Geld werben mußte, den Mangel der kriegsfähigen Mannschaft zu decken. Hier waren auch die ausgewanderten und die vielen Tausend übergegangenen Italier.

      Endlich das südwestliche Lager, das sich den Strand entlang dehnte, befehligte Martinus, der den Belagerungswerkzeugen vorstand: hier standen die Katapulten und Ballisten, die Mauerbrecher und Wurfmaschinen in Vorrat: hier wogten die isaurischen Bundesgenossen und die Scharen, die das neu von den Vandalen zurückeroberte Afrika stellte: maurische, numidische Reiter, libysche Schleuderer durcheinander.

      Aber vereinzelt waren Abenteurer und Söldner fast aus allen Barbarenstämmen der drei Erdteile vertreten: Bajuwaren von der Donau, Alamannen vom Rhein, Franken von der Maas, Burgunden von der Rhone, dann wieder Anten vom Dniester, Lazier vom Phlasis, pfeilkundige Abasgen, Sabiren, Lebanthen und Lykaonen aus Asien und Afrika. So bunt zusammengesetzt aus barbarischen Haufen war die Kriegsmacht, mit der Justinian die gotischen «Barbaren» vertreiben und Italien befreien wollte. Den Befehl über die Vorposten hatten immer und überall die Leibwächter Belisars, und diese Kette zog sich um die Stadt her von der Porta Capuana fast bis an die Wogen des Meeres. Neapolis aber war schlecht befestigt und schwach besetzt. Nicht tausend Goten waren es, welche die ausgedehnten Werke gegen ein Heer von vierzigtausend Byzantinern und Italiern verteidigen sollten.

      Graf Uliaris, der Befehlshaber der Stadt, war ein tapferer Mann und hatte bei seinem Bart geschworen, die Feste nicht zu übergeben. Aber auch er hätte der überlegnen Macht und Feldherrnkunst Belisars wohl nicht lange widerstehen können, wäre nicht ein glücklicher Umstand ihm zu Hilfe gekommen. Das war die unzeitige Rückkehr der griechischen Flotte nach Byzanz. Als nämlich Belisar, nachdem er sein gelandetes Heer in Regium eine Nacht geruht und gemustert hatte, den allgemeinen Aufbruch mit der Land-und Seemacht gegen Neapolis befahl, sandte ihm sein Nauarchos Konon einen bisher geheimgehaltenen Auftrag des Kaisers, wonach die Flotte sofort nach der Landung nach Nikopolis an der griechischen Küste zurücksegeln sollte, angeblich, neue Verstärkungen herüberzuholen, in Wahrheit aber nur, den Prinzen Germanus, Justinians Neffen, mit den kaiserlichen Lanzenträgern nach Italien zu führen, der die Siegesschritte Belisars beobachten, überwachen, nötigenfalls hemmen und, als Oberfeldherr, die Interessen des kaiserlichen Mißtrauens gegen den Unterfeldherrn Belisar wahren sollte. Zähneknirschend mußte Belisar seine Flotte im Augenblick, da er ihrer am meisten bedurfte, absegeln sehen, und nur mit vielen Bitten erlangte er, daß ihm der Nauarch vier Kriegstrieren, die noch bei Sizilien kreuzten, zu senden versprach.

      So hatte denn Belisar, als er sich anschickte, Neapolis zu belagern, die Stadt zwar von Nordost, Ost und Südost mit seiner Landmacht eng einschließen können – den Westen, die Straße nach Rom, durch Castellum Tiberii gedeckt, hielt Graf Uliaris mit höchster Kraft frei – aber den Hafen von Neapolis und seine Verbindung mit der See hatte er nicht zu sperren vermocht.

      Anfangs zwar tröstete er sich damit, daß ja auch die Belagerten keine Flotte hätten und also von ihrer Verbindung mit dem Meer nicht eben viel Vorteil würden ziehen können. Aber hier trat ihm zuerst die Begabung und die Kühnheit eines Gegners in den Weg, den er später noch mehr fürchten lernen sollte. Das war Totila. Kaum hatte dieser Neapolis erreicht, der Leiche des alten Valerius mit Julius die letzte Ehre erwiesen und die ersten Tränen Valerias getrocknet, als er mit rastloser Tätigkeit an der Aufgabe arbeitete, eine Flotte aus dem Nichts zu schaffen.

      Er war Befehlshaber des Geschwaders von Neapolis, aber dieses ganze Geschwader hatte König Theodahad schon vor Wochen, trotz Totilas Vorstellungen, Belisar aus dem Wege, nach Pisa beordert, wo es die Arnusmündung bewachen sollte. So besaß Totila von Anfang nichts als drei leichte Wachtschiffe, von denen er zwei bei Sizilien verloren hatte: und er war nach Neapolis gekommen, an jedem Widerstand zur See verzweifelnd. Aber da er das Unglaubliche vernahm, daß die byzantinische Flotte nach Hause gefahren sei, belebte sich sofort seine Hoffnung. Und nun ruhte er nicht, bis er auf großen Fischerbooten, Kaufmannsschiffen, Hafenkähnen und in der Eile notdürftig seetüchtig gemachten Wracks der Werften sich eine kleine Flotille von etwa zwölf Segeln gebildet, die freilich weder einem Sturm auf hoher See noch einem einzigen Kriegsschiff Trotz bieten konnte, aber doch vortreffliche Dienste leistete, die sonst völlig abgeschnittene Stadt von Bajä, Cumä und anderen Städten im Nordwesten her mit Lebensmitteln zu versehen, die Bewegungen der Feinde an den Küsten zu beobachten und mit unaufhörlichen Angriffen zu quälen, indem Totila mit einer kleinen Schar oft im Süden, im Rücken der griechischen Lager, landete, sich ins Land schlich, bald hier, bald da einen Trupp der Feinde überfiel und zersprengte und solche Unsicherheit verbreitete, daß sich die Byzantiner nur in starken Abteilungen und nie zu weit von ihren Lagern zu entfernen wagten, während diese Erfolge die hart bedrängte, von steten Wachdiensten und Kämpfen angegriffene Mannschaft des Uliaris immer wieder ermutigten.

      Bei alledem konnte sich Totila nicht verhehlen, daß die Lage schon jetzt eine höchst bedenkliche und, sowie einige griechische Schiffe vor der Stadt erschienen, eine unhaltbare werde. Er verwandte daher einen Teil seiner Boote dazu, täglich eine Anzahl von wehrunfähigen Einwohnern aus Neapolis aufwärts nach Bajä und Cumä zu schaffen, wobei er die Anforderung der Reichen, daß diese Rettungsfahrten nur gegen Bezahlung stattfinden sollten, streng zurückwies und ohne Unterschied Arme wie Reiche in seine rettenden Schiffe aufnahm. Vergebens hatte Totila wiederholt und immer dringender Valeria gebeten, unter dem Schutz von Julius auf diesen Schiffen zu flüchten: noch wollte sie sich von dem Sarge ihres Vaters, noch von dem Geliebten nicht trennen, dessen Lob als des Schirmers der Stadt sie nur zu gern aus aller Munde einsog. Und ruhig fuhr sie fort, in dem väterlichen Hause ihrer Trauer und ihrer Liebe zu leben.

      Drittes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      In diesen ersten Tagen der Belagerung empfand auch Miriam die höchsten Freuden und die höchsten Schmerzen ihrer Liebe.

      Häufiger als je konnte sie sich in des Geliebten Anblick sonnen: denn die Porta Capuana war ein wichtiger Punkt der Befestigung, den der Seegraf oft besuchen mußte. In der Turmstube des alten Isak hielt er täglich mit Graf Uliaris den traurigen Kriegsrat. Dann pflegte Miriam, wann sie die Männer begrüßt und das schlichte Mahl von Früchten und Wein auf den Tisch gestellt, hinunterzuschlüpfen in das enge Gärtlein, das dicht hinter der Turmmauer lag. Der Raum war ursprünglich ein kleiner Hof im Tempel der Minerva, der Mauerbeschützerin, gewesen, der man gern an den Haupttoren der Städte einen Altar errichtete.

      Seit Jahrhunderten war der Altar verschwunden: aber noch ragte hier der alte, mächtige Olivenstamm, der einst die der Göttin geweihte Statue beschattet hatte: und ringsum dufteten die Blumen, die Miriams liebevolle Hand hier gepflegt und oft für die Braut des Geliebten gebrochen hatte. Gerade gegenüber dem riesigen Ölbaum, dessen knorrige Wurzeln über die Erde hervorstarrten und eine