Название | Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane |
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Автор произведения | Felix Dahn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027222049 |
‹Hat denn, wie der König, so das ganze Volk der Goten, so mein Bruder mich aufgegeben und vergessen? Belisar hat Sizilien überrascht. Er ist gelandet. Alles Volk fällt ihm zu. Unaufhaltsam dringt er gegen Neapolis. Vier Briefe hab’ ich an König Theodahad um Hilfe, geschrieben. Alles umsonst. Kein Segel erhalten. Neapolis ist in höchster Gefahr. Rettet, rettet Neapolis und das Reich!›»
Ein Ruf grimmigen Schmerzes ging durch die Tausende gotischer Männer.
«Ich wollte», fuhr Hildebad fort, «augenblicklich mit all unsren Tausendschaften umkehren, aber Graf Witichis, mein Oberfeldherr, litt es nicht. Nur das setzte ich durch, daß wir die Truppen Halt machen ließen und mit wenigen Reitern hierher flogen zu warnen, zu retten, zu rächen. Denn Rache, Rache heisch’ ich an König Theodahad: nicht nur Torheit und Schwäche, Arglist war es, daß er den Süden den Feinden preisgegeben. Hier dieser Brief beweist es. Viermal hat ihn mein Bruder gemahnt, gebeten. All umsonst. Er gab ihn, er gab das Reich in Feindeshand. Weh uns, wenn Neapolis fällt, schon gefallen ist. Ha, er soll nicht länger herrschen, nicht leben soll er länger, der das verschuldet hat. Reißt ihm die Krone der Goten vom Haupt, die er geschändet, nieder mit ihm! Er sterbe!»
«Nieder mit ihm! Er sterbe!» donnerte das Volk im mächtigem Echo nach.
Unwiderstehlich, schien der Strom ihres Grimmes zu wogen und jeden zu zerreißen, der ihm widerstehen wollte. Nur einer blieb ruhig und gelassen inmitten der stürmenden Menge. Das war Graf Witichis. Er sprang auf einen der alten Steine unter dem Eichbaum und wartete, bis sich der Lärm etwas gelegt. Dann erhob er die Stimme und sprach mit jener schlichten Klarheit, die ihm so wohl anstand: «Landsleute, Volksgenossen! Hört mich an! Ihr habt unrecht mit eurem Spruch. Wehe, wenn im Gotenstamm, des Ehre und Stolz die Gerechtigkeit gewesen seit der Väter Zeit, Haß und Gewalt des Rechtes Thron besteigen. Theodahad ist ein schwacher, schlechter König! Nicht länger soll er allein des Reiches Zügel lenken! Gebt ihm einen Vormund wie einem Unmündigen! Setzt ihn ab meinetwegen. Aber seinen Tod, sein Blut dürft ihr nicht fordern! Wo ist der Beweis, daß er verraten hat? Daß Totilas Botschaft an ihn gelangt? Seht ihr, ihr schweigt: hütet euch vor Ungerechtigkeit, sie stürzt die Reiche der Völker.»
Und groß und edel stand er auf seinem erhöhten Boden im vollen Glanz der Sonne, voll Kraft und edler Würde.
Bewundernd ruhten die Augen der Tausenden auf ihm, der ihnen an Hoheit und Maß und klarer Ruhe so überlegen schien. Eine feierliche Pause erfolgte. Und ehe noch Hildebad und das Volk Antwort finden konnten gegen den Mann, der die lebendige Gerechtigkeit schien, ward die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem dichten Walde gezogen, der im Süden die Aussicht begrenzte, und der auf einmal lebendig zu werden schien.
Vierzehntes Kapitel
Denn man hörte von dort her den raschen Hufschlag nahender Pferde und das Klirren von Waffen. Alsbald bog eine kleine Schar von Reitern aus dem Wald, aber weit ihnen allen voraus jagte auf kohlschwarzem Roß ein Mann, der wie mit dem Sturmwind um die Wette ritt.
Weit im Winde flatterte seine Helmzier: ein mächtiger schwarzer Roßschweif, und seine eignen langen, schwarzen Locken. Vorwärts gebeugt trieb er das schaumbespritzte Roß zu rasender Eile und sprang am Südeingang des Dings sausend vom Sattel.
Alle wichen links und rechts zurück, die der grimme, tödlichen Haß sprühende Blick seines Auges aus dem leichenblassen, schönen Antlitz traf Wie von Flügeln getragen stürmte er den Hügel hinan, sprang auf einen Stein neben Witichis, hielt eine Rolle hoch empor, rief wie mit letzter Kraft: «Verrat, Verrat!» und stürzte dann wie blitzgetroffen nieder. Entsetzt sprangen Witichis und Hildebad hinzu: sie hatten kaum den Freund erkannt: «Teja, Teja!» riefen sie, «was ist geschehen? Rede!» – «Rede!» wiederholte Witichis, «es gilt das Reich der Goten!»
Wie mit übermenschlicher Kraft richtete sich in diesem Wort der stählerne Mann wieder empor, sah einen Augenblick um sich und sprach dann mit hohler Stimme:
«Verraten sind wir, Goten, verraten von unserm König. Ich erhielt Auftrag vor sechs Tagen, nach Istrien zu ziehen, nicht nach Neapolis, wie ich gebeten. Ich schöpfte Verdacht, doch ich gehorchte und gehe unter Segel mit meinen Tausendschaften. Ein starker Weststurm bricht herein, verschlägt zahllose kleine Schiffe von Westen her bis zu uns. Darunter den ‹Mercurius›, den raschen Keles – das leichte Postschiff Theodahads. Ich kannte das Fahrzeug wohl, es gehörte einst meinem Vater. Wie das unserer Schiffe ansichtig wird, will es entfliehen. Ich, argwöhnisch, jage ihm nach und hole es ein. Er trug diesen Brief an Belisar von des Königs Hand: ‹Du wirst zufrieden sein mit mir, großer Feldherr. Alle Gotenheere stehen in dieser Stunde nordöstlich von Rom, ohne Gefahr könntest du landen. Vier Briefe des Seegrafen von Neapolis habe ich zerstört, seine Boten in den Turm geworfen.
Zum Dank erwart’ ich, daß du den Vertrag genau erfüllst und den Kaufpreis in Bälde bezahlst.›» Teja ließ den Brief sinken, die Stimme versagte ihm.
Ein Ächzen und Stöhnen der Wut zog durch die Versammlung.
«Ich ließ umkehren, sogleich landen, ausschiffen und jage hierher seit drei Tagen und drei Nächten unausgesetzt. Ich kann nicht mehr.» Und taumelnd sank er in Witichis’ Arme.
Da sprang der alte Hildebrand empor auf den höchsten Stein seines Stuhles: weit überragte er die ganze Menge. Er riß dem Träger, der die Lanze mit des Königs kleiner Marmorbüste auf der Querstange trug, den Schaft aus der Hand und hielt ihn vor sich in der Linken, in der Rechten hob er sein Steinbeil: «Verkauft, verraten sein Volk für gelbes Gold? Nieder mit ihm, nieder, nieder!» Und ein Beilschlag zertrümmerte die Büste. Dieser Akt war wie der erste Donnerschlag, der ein lange brütendes Gewitter entfesselt. Nur dem Wüten empörter Elemente war das Stürmen vergleichbar, welches nun das in seinen Grundtiefen aufgewühlte Volk durchbrauste. «Nieder, nieder, nieder mit ihm!» hallte es tausendfach wider unter betäubendem Klirren der Waffen.
Und darauf erhob abermals der alte Waffenmeister seine eherne Stimme und sprach feierlich: «Wisset es, Gott im Himmel und Menschen auf Erden, sehende Sonne und wehender Wind, wisset es, das Volk der Goten, frei und alten Ruhmes voll und zu den Waffen geboren, hat abgetan seinen ehemaligen König Theodahad, des Theodis Sohn, weil er Volk und Reich an den Feind verraten.
Wir sprechen dir ab, Theodahad, die goldne Krone und das Gotenreich, das Gotenrecht und das Leben. Und solches tun wir nicht nach Unrecht, sondern nach Recht. Denn frei sind wir gewesen alle Wege unter unsern Königen und wollten eh’ der Könige missen als der Freiheit. Und so hoch steht kein König, daß er nicht um Mord, Verrat und Eidbruch zu Recht stehe vor seinem Volk.
So sprech’ ich dir ab Krone und Reich, Recht und Leben. Landflüchtig sollst du sein, achtlos, ehrlos, rechtlos. Soweit Christenleute zur Kirche gehen und Heidenleute zum Opferstein. Soweit Feuer brennt und Erde grünt. Soweit Schiff schreitet und Schild scheinet. Soweit Himmel sich höht und Welt sich weitet. Soweit der Falke fliegt den langen Frühlingstag, wann ihm der Wind steht unter seinen beiden Flügeln. Versagt soll dir sein Halle und Haus und guter Leute Gemeinschaft und alle Wohnung, ausgenommen die Hölle. Dein Erb und Eigen teil’ ich zu dem Gotenvolk. Dein Blut und Fleisch den Raben in den Lüften.
Und wer dich findet, in Halle und Hof, in Haus oder Heerstraße, soll dich erschlagen, ungestraft, und soll bedankt sein dazu von Gott und den guten Goten. Ich frage euch, soll’s so geschehn?»
«So soll’s geschehn!» antworteten die Tausenden und schlugen Schwert an Schild.
Kaum war Hildebrand herabgestiegen, als der alte Haduswinth seine Stelle einnahm, das zottige Bärenfell zurückwarf und sprach: «Des Neidkönigs wären wir ledig! Er wird seinen Rächer finden. Aber jetzt, treue Männer,