Название | Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane |
---|---|
Автор произведения | Felix Dahn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027222049 |
Auf diesen Ruf schoß um die Ecke des Roßstalles ein riesiger, grauborstiger Wolfshund mit wütendem Gebell herbei und schien ohne weiteres dem Eindringling an die Gurgel springen zu wollen.
Aber kaum stand das grimmige Tier vor dem Zaun, dem Alten gegenüber, so verwandelte sich seine Wut plötzlich in Freude: sein Bellen verstummte und wedelnd sprang er an dem Alten hinan, der nun ganz gemütlich hereinstieg. «Ja, Thursa, treues Tier, wir halten noch zusammen», sagte er. – – «Nun sage mir, kleiner Mann, wie heißt du?» – «Athalwin heiß’ ich», versetzte dieser, scheu zurücktretend, «du aber, – ich glaube, du hast den Hund behext – wie heißt du?» – «Ich heiße wie du», sagte der Alte freundlicher. «Und das ist hübsch von dir, daß du heißest wie ich. Sei nur ruhig, ich bin kein Räuber! Führ’ mich zu deiner Mutter, daß ich ihr sage, wie tapfer du deine Hofwehr verteidigt hast.»
Und so schritten die beiden Gegner friedlich in die Halle, Thursa bellte freudig springend voran.
Das korinthische Atrium der Römervilla mit seinen Säulenreihen an den vier Wänden hatte die gotische Hausfrau mit leichter Änderung in die große Halle des germanischen Hofbaues verwandelt. In Abwesenheit des Hausherrn war sie zu festlicher Bewirtung nicht bestimmt, und Rauthgundis hatte diese Zeit ihre Mägde aus der Frauenkammer hierher versetzt. In langer Reihe saßen rechts die gotischen Mägde mit sausender Spule; ihnen gegenüber einige römische Sklavinnen mit feineren Arbeiten beschäftigt. In der Mitte der Halle schritt Rauthgundis auf und nieder und ließ selbst die flinke Spule auf dem glatten Mosaik des Estrichs tanzen, aber dabei auch nach rechts und links stets die wachen Blicke gleiten.
Das kornblumenblaue Kleid von selbstgewirktem Stoff war über die Knie heraufgeschürzt und hing gebauscht über dem Gurt von stählernen Ringen, der ihren einzigen Schmuck, ein Bündel von Schlüsseln, trug. Das dunkelblonde Haar war rings an Stirn und Schläfen zurückgekämmt und am Hinterkopf in einen einfachen Knoten geschürzt. Es lag viel schlichte Würde in der Gestalt, wie sie mit ernst prüfendem Blick auf und nieder schritt.
Sie trat zu der jüngsten der gotischen Mägde, die zuunterst in der Reihe saß, und beugte sich zu ihr. «Brav, Liuta», sprach sie, «dein Faden ist glatt, und du hast heut’ nicht so oft ausgesehen nach der Tür wie sonst. Freilich», fügte sie lächelnd hinzu – «es ist jetzt kein Verdienst, da doch kein Wachis zur Tür hereinkommen kann.» Die junge Magd errötete. Rauthgundis legte die Hand auf ihr glattes Haar: «Ich weiß», sagte sie, «du hast mir im stillen gegrollt, daß ich dich, die Verlobte, dieses Jahr über täglich morgens und abends eine Stunde länger spinnen ließ als die andern: es war grausam, nicht? Nun, sieh: es war dein eigner Gewinn. Alles, was du dies Jahr aus meinem besten Garn gesponnen, ist dein; ich schenk’ es dir zur Aussteuer: so brauchst du nächstes Jahr, das erste deiner Ehe, nicht spinnen.»
Das Mädchen faßte ihre Hand und sah ihr dankbar weinend ins Auge. «Und dich nennen sie streng und hart!» war alles, was sie sagen konnte. – «Mild mit den Guten, streng mit den Bösen, Liuta. Alles Gut, dessen ich hier walte, ist meines Herrn Eigen und meines Knaben Erbe. Da heißt es genau sein.»
Jetzt wurden der Alte und Athalwin in der Tür sichtbar: der Knabe wollte rufen, aber sein Begleiter verhielt ihm den Mund und sah eine Weile unbemerkt dem Schalten und Walten Rauthgundens zu, wie sie der Mägde Arbeit prüfte, lobte und schalt und neue Aufträge gab.
«Ja», sprach der Alte endlich zu sich selbst, «stattlich sieht sie aus, und sie scheint wohl die Herrin im Hause – doch, wer weiß alles?» Da war Athalwin nicht mehr zu halten: «Mutter», rief er, «ein fremder Mann, der Thursa behext und über den Zaun gestiegen und zu dir will. Ich kann’s nicht begreifen.»
Da wandte sich die stattliche Frauengestalt würdevoll dem Eingang zu, die Hand vor Augen haltend, die blendende Abendsonne, die in die offne Tür brach, abzuwehren. «Was führst du den Gast hierher? Du weißt, der Vater ist nicht hier. Führ’ ihn in die große Halle. Sein Platz ist nicht bei mir.»
«Doch, Rauthgundis! Hier, bei dir, ist mein Platz», sprach der Alte vortretend.
«Vater!» rief die Frau und lag an der Brust des Fremden. Verdutzt und nicht ohne Mißbehagen sah Athalwin auf die Gruppe. «Du bist also der Großvater, der da oben in den Nordbergen haust? Nun grüß Gott, Großvater! Aber warum sagst du denn das nicht gleich? Und warum kommst du nicht durchs Tor wie andre ehrliche Leute?»
Der Alte hielt seine Tochter in beiden Händen und sah ihr scharf ins Auge. «Sie sieht glücklich aus und gedeihend», brummte er vor sich hin.
Da faßte sich Rauthgundis: rasch warf sie einen Blick durch die Halle. Alle Spindeln ruhten außer Liutas – aller Augen musterten neugierig den Alten.
«Ob ihr wohl spinnen wollt, fürwitzige Elstern?» rief sie streng. «Du, Marcia, hast vor lauter Gaffen den Flachs herabfallen lassen, du kennst den Brauch, du spinnst eine Spule mehr, – ihr andern macht Feierabend. Komm, Vater! Liuta, rüst’ ein laues Bad und Fleisch und Wein. –»
«Nein!» sprach der Vater, «der alte Bauer hat am Berg auch nur Bad und Trunk am Wasserfall. Und was das Essen anlangt – draußen, vorm Hinterzaun, am Grenzpfahl, liegt mein Rucksack, den holt mir: da hab’ ich mein Speltbrot und meinen Schafkäse, den bringt mir. – Wieviel habt ihr Rinder im Stall und Rosse auf der Weide?» Es war seine erste Frage.
Eine Stunde darauf – schon war es dunkel geworden, und der kleine Athalwin war kopfschüttelnd über den Großvater zu Bett gegangen, da wandelten Vater und Tochter beim Licht des ausgehenden Mondes ins Freie. «Ich hab’ nicht Luft genug da drinnen», hatte der Alte gesagt.
Sie sprachen viel und ernst, wie sie durch den Hof und durch den Garten schritten. Mitten drein warf der Alte immer wieder Fragen nach ihrer Wirtschaft auf, wie sie ihm Gerät oder Gebäude nahelegten, und in seinem Ton lag keine Zärtlichkeit: nur manchmal in dem Blick, der verstohlen sein Kind musterte.
«Laß doch endlich Roggen und Rosse», lächelte Rauthgundis, «und sage mir, wie’s dir gegangen ist die langen Jahre? Und was dich endlich einmal herabgeführt hat von den Bergen zu deinen Kindern?» – «Wie’s mir gegangen? Nun: halt einsam, einsam! Und kalte Winter! Ja, bei uns ist’s nicht so hübsch warm, wie hier im Welschtale.» Und er sagte das wie einen Vorwurf. «Und warum ich herunter bin? Ja sieh, letztes Jahr hat sich der Zuchtstier zerfallen auf dem Firnjoch. Und da wollt’ ich mir einen andern kaufen hier unten.»
Da hielt sich Rauthgundis nicht länger: mit warmer Liebe warf sie sich an des Alten Brust und rief: «Und den Zuchtstier hast du nicht näher gefunden als hier? Lüge doch nicht, Steinbauer, gegen dein eigen Herz und dein eigen Kind. Du bist gekommen, weil du gemußt, weil du’s doch endlich nicht mehr ausgehalten vor Heimweh nach deinem Kinde.»
Der Alte blieb stehen und streichelte ihr Haar: «Woher du’s nur weißt! Nun ja! Ich mußte doch mal selbst sehen, wie’s um dich steht, und wie er dich hält, der Herr Gotengraf.»
«Wie seinen Augapfel», sprach das Weib selig. – «So? Und warum ist er denn nicht daheim bei Hof und Haus und Weib und Kind?» – «Er steht beim Heer in des Königs Dienst.»
«Ja, das ist’s ja eben. Was braucht er einen Dienst und einen König? Doch – sage: warum trägst du keinen goldnen Armreif? Ein Gotenweib aus dem Welschtal kam einmal des Wegs bei uns vorbei, vor fünf Jahren, die trug Gold handbreit: da dacht’ ich: so trägt’s deine Tochter, und freute mich, und nun –»
Rauthgundis lächelte: «Soll ich Gold tragen für meiner Mägde Augen? Ich schmücke mich nur, wenn Witichis es sieht.» – «So? Mög’ er’s verdienen! Aber du hast doch Goldspangen und Goldreife wie andre Gotenfrauen hier unten?» – «Mehr als andre, truhenvoll. Witichis brachte große Beute vom Gepidenkrieg.» – «So bist du ganz glücklich?» – «Ganz, Vater, aber nicht wegen der Goldspangen.» – «Hast du über nichts zu klagen? Sag’s mir nur, Kind! Was es auch sei, sag’s deinem alten Vater, und er schafft dir dein Recht.»
Da blieb Rauthgundis stehen. «Vater, sprich nicht so! Das ist nicht recht von dir zu sprechen, nicht von mir zu hören. Wirf ihn doch weg, den unglückseligen Irrwahn, als müßte ich elend werden, weil ich zu Tal