Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



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Antlitz und trat mit Staunen rasch zurück.

      «Wer ist es», fragte der Richter, «den du zum Zeugen stellest deines Wortes? Ein unbekannter Fremdling?» – «Nein», rief Arahad und schlug des Zeugen Mantel zurück, «ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus Aurelius Cassiodorus.»

      Ein Ruf allgemeinen Staunens flog über die Dingstätte.

      «So hieß ich», sprach der Zeuge, «in den Tagen meines weltlichen Lebens: jetzt nur Bruder Marcus.» Und eine hohe Weihe lag in seinen Zügen – die Weihe der Entsagung.

      «Nun, Bruder Marcus», forschte Hildebrand, «was hast du uns zu melden vom Tode Amalaswinthens? Sag’ uns die volle Wahrheit und nur die Wahrheit.»

      «Die werd’ ich sagen. Vor allem wißt: nicht Streben nach menschlicher Vergeltung führt mich her, nicht den Mord zu rächen bin ich gekommen, die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! – Nein, den letzten Auftrag der Unseligen, der Tochter meines großen Königs, zu erfüllen, bin ich da.» Und er zog eine Papyrusrolle aus dem Gewande. «Kurz vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, die ich, als ihr Vermächtnis an das Volk der Goten, mitzuteilen habe: ‹Den Dank einer zerknirschten Seele für deine Freundschaft. Mehr noch als die Hoffnung der Rettung labt das Gefühl unverlorner Treue. Ja, ich eile auf deine Villa im Bolsener See, führt doch der Weg von da nach Rom, nach Regeta, wo ich vor meinen Goten all’ meine Schuld aufdecken und auch büßen will. Ich will sterben, wenn es sein muß, aber nicht durch die tückische Hand meiner Feinde, nein, durch den Richterspruch meines Volkes, das ich Verblendete ins Verderben geführt. Ich habe den Tod verdient, nicht nur um des Blutes willen der drei Herzoge, die, alle sollen es erfahren, durch mich starben, mehr noch um des Wahnes willen, mit dem ich mein Volk zurückgesetzt um Byzanz. Gelange ich lebend nach Regeta, so will ich warnen und mahnen mit der letzten Kraft meines Lebens: fürchtet Byzanz! Byzanz ist falsch wie die Hölle, und ist kein Friede denkbar zwischen ihm und uns.

      Aber warnen will ich auch vor dem Feind im Innern.

      König Theodahad spinnt Verrat, er hat an Petros, den Gesandten von Byzanz, Italien und die Gotenkrone verkauft: er hat getan, was ich dem Griechen weigerte. Seht euch vor, seid stark und einig. Könnt’ ich sterbend sühnen, was ich lebend gefehlt›.»

      In tiefer Stille hatte das Volk die Worte vernommen, die Cassiodor mit zitternder Stimme gesprochen, und die jetzt wie aus dem Jenseits herüberzutönen schienen.

      Auch als er geendet, wirkte noch der Eindruck des Mitleids und der Trauer fort in feierlichem Schweigen.

      Endlich erhob sich der alte Hildebrand und sprach: «Sie hat gefehlt: sie hat gebüßt. Tochter Theoderichs, das Volk der Goten verzeiht dir deine Schuld und dankt dir deine Treue.»

      «So mög’ ihr Gott vergeben Amen!» sprach Cassiodor. «Ich habe niemals die Fürstin an den Bolsener See geladen, ich konnt’ es nicht: vierzehn Tage zuvor hatt’ ich all meine Güter verkauft an die Königin Gothelindis.»

      «Sie also hat ihre Feindin», fiel Arahad ein, «seinen Namen mißbrauchend, in jenes Haus gelockt. Kannst du das leugnen, Graf Witichis?»

      «Nein», sprach dieser ruhig, «aber», fuhr er zu Cassiodor gewendet fort, «hast du auch Beweis, daß die Fürstin daselbst nicht zufälligen Todes gestorben, daß Gothelindis ihren Tod herbeigeführt?»

      «Tritt vor, Syrius, und sprich!» sagte Cassiodor, «ich bürge für die Treue dieses Mundes.» Der Sklave trat vor, neigte sich und sprach: «Ich habe seit zwanzig Jahren die Aufsicht über die Schleusen des Sees und die Wasserkünste des Bades der Villa im Bolsener See: niemand außer mir kannte dessen Geheimnisse. Als die Königin Gothelindis das Gut erkauft, wurden alle Sklaven Cassiodors entfernt und einige Diener der Königin eingesetzt, ich allein ward belassen.

      Da landete eines frühen Morgens die Fürstin Amalaswintha auf der Insel, bald darauf die Königin. Diese ließ mich sofort kommen, erklärte, sie wolle ein Bad nehmen, und befahl mir, ihr die Schlüssel zu allen Schleusen des Sees und zu allen Röhren des Bades zu übergeben und ihr den ganzen Plan des Druckwerks zu erklären. Ich gehorchte, gab ihr die Schlüssel und den auf Pergament gezeichneten Plan, warnte sie aber nachdrücklich, nicht alle Schleusen des Sees zu öffnen und nicht alle Röhren spielen zu lassen: das könne das Leben kosten.

      Sie aber wies mich zürnend ab, und ich hörte, wie sie ihrer Badsklavin befahl, die Kessel nicht mit warmem, sondern mit heißem Wasser zu füllen.

      Ich ging, besorgt um ihre Sicherheit, und hielt mich in der Nähe des Bades.

      Nach einiger Zeit hörte ich an dem mächtigen Brausen und Rauschen, daß die Königin dennoch gegen meinen Rat die ganze Flut des Sees hereingelassen: zugleich hörte ich in allen Wänden das dampfende Wasser zischend aufsteigen, und da mir obendrein dünkte, als vernehme ich, gedämpft durch die Marmormauern, ängstlichen Hilfeschrei, eilte ich auf den Außengang des Bades, die Königin zu retten. Aber wie erstaunte ich, als ich an dem mir wohlbekannten Mittelpunkt der Künste, an dem Medusenhaupt, die Königin, die ich im Bad, in Todesgefahr wähnte, völlig angekleidet stehen sah.

      Sie drückte an den Federn und wechselte mit jemand, der im Bade um Hilfe rief, zornige Worte. Entsetzt und dunkel ahnend, was da vorging, schlich ich, zum Glück noch unbemerkt, hinweg.

      «Wie, Feigling?» sprach Witichis, «du ahntest, was vorging, und schlichte hinweg?»

      «Ich bin nur ein Sklave, Herr, kein Held; und hätte mich die grimme Königin bemerkt, ich stünde wohl nicht hier, sie anzuklagen. Gleich darauf erscholl der Ruf, die Fürstin Amalaswintha sei im Bade ertrunken.»

      Ein Murren und Rufen drang tosend durch das versammelte Volk.

      Frohlockend rief Arahad: «Nun, Graf Witichis, willst du sie noch beschützen?» – «Nein», sprach dieser ruhig, das Schwert einsteckend, «ich schütze keine Mörderin. Mein Amt ist aus.» Und mit diesem Wort trat er von der linken auf die rechte Seite, zu den Anklägern, hinüber.

      «Ihr, freie Goten, habt das Urteil zu finden und das Recht zu schöpfen», sprach Hildebrand, «ich habe nur zu vollziehen, was ihr gefunden. So frag’ ich euch, ihr Männer des Gerichts, was dünkt euch von dieser Klage, die Graf Arahad, des Aramuth Sohn, der Wölsung, erhoben gegen Gothelindis, die Königin? Sagt an: ist sie des Mordes schuldig?»

      «Schuldig! Schuldig!» scholl es mit vielen tausend Stimmen, und keine sagte nein.

      «Sie ist schuldig», sagte der Alte aufstehend. «Sprich, Kläger, welche Strafe forderst du um diese Schuld?»

      Arahad erhob das Schwert gerade gegen Himmel: «Ich klage um Mord. Ich klage auf Blut. Sie soll des Todes sterben.»

      Und ehe Hildebrand seine Frage an das Volk stellen konnte, war die Menge von zorniger Bewegung ergriffen, alle Schwerter flogen aus den Scheiden und blitzten gen Himmel auf, und alle Stimmen riefen: «Sie soll des Todes sterben!» –

      Wie ein furchtbarer Donner rollte das Wort, die Majestät des Volksgerichts vor sich her tragend, über das weite Gefild, daß bis in weite Ferne die Lüfte widerhallten. –

      «Sie stirbt des Todes», sprach Hildebrand aufstehend, «durch das Beil. Sajonen, auf, und sucht, wo ihr sie findet.»

      «Halt an», sprach der starke Hildebad vortretend, «schwer wird unser Spruch erfüllt werden, solang dies Weib unseres Königs Gemahlin. Ich fordre deshalb, daß die Volksgemeinde auch gleich die Klagen prüfe, die wir gegen Theodahad auf der Seele haben, der ein Volk von Helden so unheldenhaft beherrscht. Ich will sie aussprechen, diese Klagen. Merkt wohl, ich zeihe ihn des Verrates, nicht nur der Unfähigkeit, uns zu retten, uns zu führen.

      Schweigen will ich davon, daß wohl schwerlich ohne sein Wissen seine Königin ihren Haß an Amalaswintha kühlen konnte, schweigen davon, daß diese in ihren letzten Worten uns vor Theodahads Verrat gewarnt. Aber ist es nicht wahr, daß er den ganzen Süden des Reiches von Männern, Waffen, Rossen, Schiffen entblößt, daß er alle Kraft nach den Alpen geworfen hat, bis daß die elenden Griechlein ohne Schwertstreich Sizilien gewinnen, Italien betreten konnten? Mein armer Bruder Totila mit seiner Handvoll Leuten allein steht