Название | Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane |
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Автор произведения | Felix Dahn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027222049 |
«Das wagst du nicht!» rief Gothelindis, nach dem Dolche greifend.
«Still, Gothelindis, hier gilt es nicht, hilflose Frauen im Bad ermorden. Ich lasse euch aber entkommen – was liegt mir an eurem Leben oder Sterben! – gegen einen billigen Preis.»
«Ich gewähre jeden!» stammelte Theodahad.
«Du lieferst mir die Urkunden deiner Verträge mit Silverius aus – schweig! Lüge nicht! Ich weiß, ihr habt lang und geheim verhandelt. Du hast wieder einmal einen hübschen Handel mit Land und Leuten getrieben! Mich lüstet nach dem Kaufbrief.»
«Der Kauf ist jetzt eitel! Die Urkunden ohne Kraft! Nimm sie! Sie liegen verwahrt in der Basilika des heiligen Martinus, in dem Sarkophag, links in der Krypta!» Seine Furcht zeigte, daß er wahr sprach.
«Es ist gut», sagte Cethegus. «Alle Ausgänge des Palastes sind von meinen Legionären besetzt. Erst erhebe ich die Urkunden. Fand ich sie am bezeichneten Ort, so werd’ ich Befehl geben, euch zu entlassen. Wollt ihr dann entfliehn, so geht an die Pforte Marc Aurels und nennt meinen Namen dem Kriegstribun der Wache, Piso. Er wird euch ziehen lassen.» Und er ging, das Paar ratlosen Ängsten überlassend.
«Was tun?» fragte Gothelindis mehr sich selbst als ihren Gemahl. «Weichen oder trotzen?» – «Was tun?!» wiederholte Theodahad unwillig. «Trotzen, das heißt bleiben! Unsinn! Fort von hier sobald als möglich; kein Heil als die Flucht!» – «Wohin willst du fliehn?» – «Nach Ravenna zunächst – das ist fest! Dort erheb ich den Königsschatz. Von da, wenn es sein muß, zu den Franken. Schade, schade, daß ich die hier verborgnen Gelder preisgeben muß. Die vielen Millionen Solidi» – «Hier? Auch hier», fragte Gothelindis aufmerksam, «in Rom hast du Schätze geborgen. Wo? und sicher?» «Ach, allzu sicher! In den Katakomben! Ich selber würde Stunden brauchen, sie alle aufzufinden in jenen finsteren Labyrinthen. Und die Minuten sind jetzt Leben oder Tod. Und das Leben geht doch noch über die Solidi! Folge mir, Gothelindis. Damit wir keinen Augenblick verlieren; ich eile an die Pforte Marc Aurels.»
Und er verließ das Gemach. Aber Gothelindis blieb überlegend stehen. Ein Gedanke, ein Plan hatte sie bei den Worten erfaßt: sie erwog die Möglichkeit des Widerstands.
Ihr Stolz ertrug es nicht, der Herrschaft zu entsagen. «Gold ist Macht», sprach sie zu sich selber, «und nur Macht ist Leben.» Ihr Entschluß stand fest. Sie gedachte der kappadokischen Söldner, die des Königs Geiz aus seinem Dienst verscheucht hatte; sie harrten noch herrenlos in Rom, der Einschiffung gewärtig. Sie hörte Theodahad hastig die Treppe hinuntersteigen und nach einer Sänfte rufen. «Ja, flüchte nur, du Erbärmlicher!» sprach sie, «ich bleibe.»
Zwölftes Kapitel
Herrlich tauchte am nächsten Morgen die Sonne aus dem Meer: und ihre Strahlen glitzerten auf den blanken Waffen von vielen tausend Gotenkriegern, die das weite Blachfeld von Regeta belebten.
Aus allen Provinzen des weiten Reiches waren die Scharen herbeigeeilt, gruppenweise, sippenweise, oft mit Weib und Kind, sich bei der großen Musterung, die alljährlich im Herbste gehalten wurde, einzufinden.
Eine solche Volksversammlung war das schönste Fest und der edelste Ernst der Nation zugleich: ursprünglich, in der heidnischen Zeit, war ihr Mittelpunkt das große Opferfest gewesen, das alljährlich zweimal, an der Winter-und Sommer-Sonnenwende, alle Geschlechter des Volkes zur Verehrung der gemeinsamen Götter vereinte: daran schlossen sich dann Markt-und Tausch-Verkehr, Waffenspiele und Heeresmusterung. Die Versammlung hatte zugleich die höchste Gerichtsgewalt und die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden und die Verhältnisse zu andern Staaten.
Und noch immer, auch in dem christlichen Gotenstaat, in welchem der König so manches Recht, das sonst dem Volke zukam, erworben, hatte die Volksversammlung eine höchst feierliche Weihe, wenn auch deren alte heidnische Bedeutung vergessen war, und die Reste der alten Volksfreiheit, die selbst der gewaltige Theoderich nicht angetastet, lebten unter seinen schwächeren Nachfolgern kräftiger wieder auf.
Noch immer hatte die Gesamtheit der freien Goten das Urteil zu finden, die Strafe zu verhängen, wenn auch der Graf des Königs in dessen Namen das Gericht leitete und das Urteil vollzog. Und oft schon hatten germanische Völker selbst ihre Könige wegen Verrates, Mordes und anderer schwerer Frevel vor offner Volksversammlung angeklagt, gerichtet und getötet. In dem stolzen Bewußtsein, sein einziger Herr zu sein und niemand, auch dem König nicht, über das Maß der Freiheit hinaus zu dienen, zog der Germane in allen seinen Waffen zu dem «Ding», wo er sich im Verband mit seinen Genossen sicher und stark fühlte und seine und seines Volkes Freiheit, Kraft und Ehre in lebendigen Bildern und Taten vor Augen sah.
Zur diesmaligem Versammlung aber zog es die Goten mit besonders starken Gründen. Der Krieg mit Byzanz war zu erwarten oder schon ausgebrochen, als die Ladung nach Regeta erging: das Volk freute sich auf den Kampf mit dem verhaßten Feind und freute sich, zuvor seine Heeresmacht zu mustern, diesmal ganz besonders sollte die Volksversammlung zugleich Heerschau sein. Dazu kam, daß wenigstens in den nächsten Landschaften den meisten Goten bekannt wurde, dort zu Regeta sollte Gericht gehalten werden über die Mörder der Tochter Theoderichs; die große Aufregung, die diese Tat erweckt hatte, mußte ebenfalls mächtig nach Regeta ziehn.
Während ein Teil der Herbeigewanderten in den nächsten Dörfern bei Freunden und Bekannten eingesprochen, hatten sich große Scharen schon einige Tage vor der feierlichen Eröffnung auf dem weiten Blachfeld selbst, zweihundertachtzig Stadien (gegen sechsunddreißig römische Meilen zu tausend Schritt) von Rom, unter leichten Zelten und Hütten oder auch unter dem milden, freien Himmel gelagert. Diese waren mit den frühsten Stunden des Versammlungstages schon in brausender Bewegung und nützten die geraume Zeit, da sie die alleinigen Herrn des Platzes waren, zu allerlei Spiel und Kurzweil.
Die einen schwammen und badeten in den klaren Fluten des raschen Flusses Ufens (oder «Decemnovius», weil er nach neunzehn römischen Meilen bei Terracina in das Meer mündet), der die weite Ebene durchschnitt. Andere zeigten ihre Kunst, über ganze Reihen von vorgehaltenen Speeren hinwegzusetzen oder, fast unbekleidet, unter den im Taktschlag geschwungenen Schwertern zu tanzen, indes die Raschfüßigsten, angeklammert an die Mähnen ihrer Rosse, mit deren schnellstem Lauf gleichen Schritt hielten und, am Ziele angelangt, mit sichrem Sprung sich auf den sattellosen Rücken schwangen.
«Schade», rief der junge Gudila, der bei diesem Wettlauf zuerst an das Ziel gelangt war und sich jetzt die gelben Locken aus der Stirne strich, «schade, daß Totila nicht zugegen! Er ist der beste Reiter im Volk und hat mich noch immer besiegt; aber jetzt, mit dem Rappen, nehm’ ich’s mit ihm auf.» – «Ich bin froh, daß er nicht da ist», lachte Gunthamund, der als der Zweite herangesprengt war, «sonst hätte ich gestern schwerlich den ersten Preis im Lanzenwurf davongetragen.» – «Ja», sprach Hilderich, ein stattlicher, junger Krieger in klirrendem Ringpanzer, «Totila ist gut mit der Lanze. Aber sichrer noch wirft der schwarze Teja: der nennt dir die Rippe vorher, die er treffen wird.» – «Bah», brummte Hunibad, ein älterer Mann, der dem Treiben der Jünglinge prüfend zugesehn, «das ist doch all nur Spielerei. Im blutigen Ernste frommt dem Mann zuletzt doch nur das Schwert: wann dir der Tod von allen Seiten so dicht auf den Leib rückt, daß du nicht mehr ausholen kannst zum Wurf. Und da lob ich mir den Grafen Witichis von Fäsulä!
Das ist mein Mann! War das ein Schädelspalten, im Gepidenkrieg! Durch Stahl und Leder schlug der Mann, als wär’ es trocken Stroh. Der kann’s noch besser als mein eigner Herzog, Guntharis, der Wölsung, in Florentia. Doch was wißt ihr davon, ihr Knaben. – Seht, da steigen die frühesten Ankömmlinge von den Hügeln nieder: Auf! Ihnen entgegen!»
Und auf allen Wegen strömte jetzt das Volk heran: zu Fuß, zu Roß und zu Wagen. Ein brausendes, wogendes Leben erfüllte mehr und mehr das Blachfeld. An den Ufern des Flusses, wo die meisten Zelte standen, wurden die Rosse abgezäumt, die Gespanne zu einer Wagenburg zusammengeschoben, und durch die Lagergassen hin flutete nun die stündlich wachsende Menge.