Das Tor zu Europa. Lisa Luxor

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Название Das Tor zu Europa
Автор произведения Lisa Luxor
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783864687303



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zur Verfügung. Ich ermahnte ihn noch, vorsichtig zu sein und niemandem zu erzählen, dass er so viel Geld bei sich hatte. Ich wies ihn darauf hin, wie gefährlich das wäre. Diese Summe entsprach immerhin ein bis zwei Jahresgehältern eines ägyptischen Durchschnittsverdieners.

      Doch Tony schickte mir keine SMS mehr. Er meldete sich auch nicht mehr. Trotz stundenlangen Wartens auf ihn im Internet erschien er auch nicht mehr online. Er schickte mir auch keine E-Mail. Ich begann ab drei Uhr nachmittags auf eine SMS zu warten. Ab 18 Uhr war ich andauernd online.

      Ich konnte nicht schlafen. Ich weinte. Ich fror. Ich kann mich genau an alles erinnern. Wirre Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Ich hatte Angst und weinte – ich weinte um ihn. Und ich fürchtete mich. Ich konnte niemanden, der ihn kannte, erreichen. Sein Bruder war nicht online, seine Freunde waren ausnahmsweise nicht im Chat. Glücklicherweise hatte ich sein Passwort auf Facebook. Ich stieg in seinen Link ein und wartete online, ob einer seiner Freunde im Internet erschien. Sie alle mochten mich nicht, weil ich älter war als er, weil ich Europäerin war, weil ich ihn und er mich liebte, weil ich geschieden war, weil ich keine Ägypterin war, weil ich ganz einfach ehrlich war und weil ich meine Meinung offen sagte. Sie mochten mich nicht, weil ich auch mit Männern sprach, also war ich folgedessen eine Hure. Und sie mochten mich nicht, weil ich das hatte, was sie wollten – Freiheit, Geld und Arbeit.

      Trotzdem brauchte ich gerade jetzt einen seiner Freunde, um mir weiterzuhelfen. Ich brauchte sie jetzt ganz einfach. Und ich vertraute ihnen, dass sie mich in dieser Situation unterstützen würden. Sie alle wussten, dass ICH ihn wirklich liebte.

      Drei Tage nach Tonys Unfall, als ich noch immer im Glauben war, dass er gestorben sei, und ich noch immer im Netz nach ihm suchte und auf ihn wartete, kam sein Freund Micky online und nahm Kontakt mit mir auf. Ich war dankbar für jeden Kontakt, so war für mich Micky auch ein Teil von Tony. Und Tony würde mich nicht beschimpfen, weil ich mich auf diesen Chat einließ.

      

       Micky

      Kann ich dich etwas sagen?

       Ich

       Sicher.

      Vergiss Tony.

       Warum sagst du das?

      Du weißt, dass er tot ist.

       Wann ist er gestorben?

      DU hast mir das ja erzählt.

       Vergisst du auch deine Freunde?

      Wenn du jetzt über Tony sprechen willst, gehe ich wieder.

       Entschuldigung.

      

      So unterhielten wir uns also über die Fußball-Weltmeisterschaft, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Spiel gesehen hatte. Meine Zwischenfrage, ob Micky Tonys Familie besuchen würde und er sein Beileid ausdrücken würde, verneinte Micky. Das machte mich etwas skeptisch.

      Am nächsten Tag war Micky wieder in Yahoo, und als er mich online sah, begann er unverzüglich ein neues Gespräch. Er zitierte das, was ich in Facebook hinterlassen hatte. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich schon nicht mehr, dass Tony wirklich gestorben war. So postete ich in Facebook, traurig, verzweifelt und verärgert. „Ich habe für meine große Liebe alles aufgegeben. Ich gab ihm meine ganze Liebe, mein Geld, ich verließ meine Kinder, mein Heim, ich gab ihm alles, was ich hatte… und nun ist er tot… Tony ist jetzt tot… ich liebe dich, Tony, ich kann nicht mehr leben ohne dich…. ich vermisse dich soooo.“ Micky las mein Posting und natürlich fragte er sofort nach.

       Micky

      Wie viel hast du ihm gegeben?

       Ich

       Warum? Er ist jetzt tot…

      Wie viel hat er von dir genommen?

       Micky, es ist nur Geld. Ich habe ihm € 6.000,- gegeben. Er hat mir immer wieder gesagt, dass wir heiraten würden.

      6.000,- Dollar???

       Nein, 6.000,- Euro, aber ich habe nie darüber nachgedacht. Wir wollten heiraten, also war meins auch seins. Ich war mir sicher mit der Hochzeit. Und er brauchte immer Geld. Und seine Mutter hatte eine schlimme Herzoperation.

      DAS hat er dir erzählt?

       Ja, stimmt´s leicht nicht? Und dann musste er noch fürs Militär bezahlen, um einen Befreiungsschein zu kaufen. Hast du ihm auch Geld geborgt? Ich weiß, dass er auch von Freunden Geld geborgt hat.

      Wann hat er das Geld bekommen?

       Ich hab ihm gerade erst vor ein paar Tagen 2.500,- Euro geschickt. Und dann ist er gestorben. Das war auch für mich so viel Geld. Ich habe ihm alles geschickt, was ich hatte. Und jetzt ist er tot.

       Warum hat Gott mich nicht mit Tony mit in den Himmel genommen?

       Sag bitte seiner Familie, dass Tony beim Unfall viel Geld bei sich hatte. Ich hoffe, dass er nicht wegen des Geldes sterben musste. Ich hab mir deshalb solche Sorgen gemacht. Und ich habe ihm noch gesagt, dass er niemandem erzählen dürfte, dass er Geld bei sich hätte.

      Warum?

       2.500,- Euro sind sehr viel Geld.

      

      Micky dachte wahrscheinlich, ich sei steinreich. Ich versuchte, ihm klarzumachen, dass auch ich für diesen Betrag viele Monate arbeiten musste, um so viel Geld zu ersparen. Aber Tony war arm. Er benötigte jeden Cent viel mehr als ich. Und wir wollten nach einem gemeinsamen Jahr in Ägypten gemeinsam nach Österreich gehen. Und ich glaubte Tony jedes Wort, das er sagte. Das war ein fataler Fehler.

      „Gott sagte mir, ich sei zu alt für ihn. Gott sagte mir, dass ich in Österreich bleiben sollte. Und dann hat Gott mir Tony weggenommen…“ Ich haderte mit meinem Schicksal. Ich kannte die Wahrheit nicht.

      Doch schon bald traf ich Tony im Internet wieder. Schwer geschockt und traumatisiert versuchte ich, mein Leben so in den Griff zu bekommen, dass das unaufhörliche Weinen ein Ende nahm. Voller Medikamente, die meine Depressionen und meine Trauer bekämpften, versuchte ich, die Situation einfach zu verstehen. Und immer neue Freunde hörten offensichtlich Tonys und meine Geschichte und immer neue Freunde suchten meinen Kontakt. So auch Kerolos.

      

       Kerolos

      Du schreibst „Entschuldigung“ auf Tonys Facebook-Seite?

       Ich

       Ja. Ich weiß nicht, was wahr ist. Er hat mir erzählt, dass er einen schweren Unfall hatte. Ich habe seine Freunde beschimpft, weil sie mir gesagt haben, dass er tot sei. Deshalb hat er jetzt sein Passwort geändert, damit ich bei ihm nicht mehr online gehen kann.

      Er hat nur mit dir gespielt.

       Er hatte also keinen Unfall?

      Nein.

       Sicher?

      Ja.

       Du glaubst, dass er nur mein Geld wollte? Ich habe für ihn mein ganzes Leben zurückgelassen, meine Kinder, meinen Mann, mein Haus, meine drei Katzen, alles…

       Ich kann nicht glauben, dass jemand so schlecht sein kann.

      Also, vergiss ihn!

       Er tat so, als ob er Schmerzen hätte. Er hatte seinen Arm in einer Schlinge und um den Kopf hatte er einen dicken Verband.

      Weißt