Das Tor zu Europa. Lisa Luxor

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Название Das Tor zu Europa
Автор произведения Lisa Luxor
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783864687303



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zu riskieren… ja, vielleicht zu viel. Und genau das ist auch mir passiert. Ich habe viel riskiert und ich habe noch mehr dadurch verloren. Ich habe die Erfahrungen, die ich machen wollte, gemacht, aber leider ist das Ende nicht jenes gewesen, das ich mir erträumt hatte.

      Meine Freundinnen haben mich gerade noch rechtzeitig aufgeweckt, so ist mir noch Schlimmeres erspart geblieben. Meine Kinder aus der Ehe davor habe ich auf dieser Reise in die Selbstverwirklichung verloren, glücklicherweise habe ich sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederfinden können. Jetzt begleiten sie wieder meinen Weg, wenn sie auch nicht mehr bei mir leben können. Ich habe auch meinen Ex-Mann auf diesem Weg verloren. Von ihm habe ich mich getrennt, damit ich diese spannende Multi-Kulti-Beziehung eingehen konnte. Der Vater meiner Kinder war wohl jener Mann, der mich in meinem Leben am meisten geliebt und verwöhnt hat. Und mit meiner Familie habe ich auch alle materiellen Werte zurück gelassen.

      Heute, nachdem ich endlich mein Gleichgewicht wieder gefunden habe und meine Lebensfreude wieder zurückgekehrt ist, halte ich viele Lesungen ab, um Frauen zu informieren. Ich schreibe, gehe viel in die Berge wandern, ich erfreue mich ganz einfach daran, dass ich lebe. Und ich bin froh, dass ich der multikulturellen Beziehung gerade noch rechtzeitig entfliehen konnte. Ich war mir so sicher, dass es gut gehen würde, doch unterschiedliche Kulturen kann man schwer vermischen. Es würde beinahe an eine Selbstaufgabe der Frau grenzen, denn der Mann darf ja niemals in seiner Kultur das Gesicht verlieren, sonst ist auch er ein Ausgestoßener. Also, die Frau verbiegt sich bis ins Unendliche, so lange, bis sie ihre Freunde und Freundinnen nicht mehr wieder erkennen können. Und das ist auch mir so passiert.

      Das haben mir auch meine Eltern immer wieder gesagt, doch damals habe ich ihnen nicht geglaubt. Erst dann, als ich mich nicht mehr verbiegen konnte, habe ich bemerkt, dass ICH gar nicht mehr ich selbst war. Und als mir dann auch mein ägyptischer Ehemann mitteilte, dass er sich nach einer „normalen“ Familie sehnen würde - und das wären eine ägyptische Frau und Kinder - brach für mich eine Welt zusammen. War ich vielleicht wirklich nur „Das Tor nach Europa“?

       Kapitel 1

       Zurück ins Leben

      Im Krankenhaus in Kairo – Juli 2010

      Tony hatte einen Autounfall. Er lag in einem Krankenhaus in Kairo. Irgendwie schaffte er es, von irgendeinem Computer ins Internet zu gelangen, um mich von dort virtuell zu erreichen.

      Sein Blick war verwirrt. Um den Kopf trug er einen dicken Verband. Sein rechter Arm war in einer Armschlinge. Er versuchte, mir in der Webcam etwas zu sagen, doch ich verstand sein Englisch nicht. Er sprach so undeutlich und wiederholte sich immer wieder.

      Er konnte sich nicht erinnern, was passiert war. Er wusste nicht, seit wann er im Krankenhaus war, er wusste nur, dass er in Kairo war. Er versuchte zu schreiben, da ihm das Sprechen so schwer fiel, aber er konnte seinen rechten Arm nicht bewegen und er konnte die richtigen Buchstaben nicht auf der Tastatur erkennen. Seine Augen konnten nicht scharf sehen und er konnte sich an die englischen Worte nicht mehr erinnern. Er sprach in wirren Sätzen.

      Ich war entsetzt, als ich ihn so sah. Ich wartete schon tagelang im Internet, immer und immer wieder ging ich online, um meinen geliebten Tony zu treffen. Laut den Berichten seiner Freunde war er gestorben, tragisch verunfallt nach seiner vorletzen Prüfung an der Universität, auf dem Heimweg nach Luxor. Es gab fünf Tote. Den Unfallhergang wusste keiner so genau, aber es musste zwischen siebzehn und achtzehn Uhr gewesen sein.

      Laut Aussage seines Freundes Mena wurde er ins Krankenhaus in Luxor eingeliefert und sei dort vor den Augen von Menas Vater, der in diesem Krankenhaus als Pfleger arbeitete, verstorben. Tonys Familie würde trauern. Alle seine Freunde wären bereits informiert worden. Und es hätte ja auch bereits am nächsten Tag in der Kirche eine Totenmesse für ihn gegeben. Danach, und das hatte mir sein Freund Bishoy erzählt, wäre er zu Grabe getragen worden. Nein, Bishoy hätte am Begräbnis nicht mehr teilgenommen, denn es wären so viele Familienmitglieder, Nachbarn und Freunde anwesend gewesen, dass er sich zurückgezogen hätte, doch er war auch in der Kirche und hätte für ihn gebetet – und die Kirche sei voll gewesen.

      Und jetzt das. Nach meinen tagelangen Weinkrämpfen war Tony wieder auferstanden. Ich als seine zukünftige Frau trug damals schwarz. Und ich war noch immer da - zu Hause in Österreich. Aus war mein Traum, so jäh, so schmerzhaft. Ich konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Ich hatte die Nachricht von seinem Tod von seinem Freund Mena in der Früh im Internet erhalten. Wie in Trance zog ich mich an, ging so wie jeden Tag zu meiner Arbeit und brach dort zusammen.

      Kollegen brachten mich zu einem Nervenarzt, der mir schwere Medikamente verabreichte. Diese nahm ich regelmäßig, so wie mir das verordnet wurde. Da ich beruflich vor einem wichtigen Projektabschluss stand, wollte ich meine Kollegen auch nicht hängen lassen. Niemals dachte ich daran, die Arbeit kurz ruhen zu lassen und zu Hause zu bleiben, denn ich befürchtete, ich könnte mir dort das Leben nehmen. Also versuchte ich, immer in der Nähe von Menschen zu sein. Doch ich war nur mehr ein Schatten meiner selbst, ich war kaum ansprechbar. Beruflich funktionierte ich, doch meine Privatsituation war tabu. Hätte mich jemand gefragt, so wären meine Tränen heruntergelaufen wie aus einer Schleuse, die nicht mehr geschlossen werden hätte können.

      Und nun war er wieder da. Zurück im Leben, in Kairo, verwirrt. Zuerst dachte ich, ich sei verrückt geworden, als ich Tony wiedersah, denn offiziell war er ja tot. Doch er war es, er - TONY. Sein verängstigter Blick suchte die Webcam. Er zitterte. Ich konnte die Situation im Moment nicht begreifen. Tony fiel das Sprechen schwer und er sagte mir, dass er nicht wüsste, wie lange das Internet funktionieren würde. Er hätte den Laptop ausgeborgt von jemandem im Krankenhaus, nur um mich zu treffen.

      Ich sah ihn mit großen Augen an. Weil er sich immer wieder wiederholte und kaum mehr Englisch sprechen konnte, rannten mir die Tränen herunter. Ich versuchte zu sprechen. „Tony, Tony, was ist los mit dir? Was ist geschehen? Wo bist du? Du lebst…“ Erneut brach ich psychisch zusammen. Tränen flossen aus meinen Augenwinkeln und legten sich wie Schleier vor meine Augen. „Mein Kopf tut so weh. Sie haben mich irgendwo am Kopf operiert. Ich kann nicht mehr richtig sprechen. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Sie haben mir gesagt, dass ich einen Unfall gehabt habe, aber ich weiß nicht wo. Der Bus wäre in den Fluss gefallen. Ich hatte Glück, dass der Bus am Ufer liegen geblieben ist. Sie hatten uns gerettet und in die umliegenden Krankenhäuser gebracht. Seither bin ich in Kairo. Aber ich habe kein Geld mehr und keine Papiere. Und mein Handy ist auch verloren gegangen. Alles ist weg.“

      

      „Ich komme zu dir, wenn du mich brauchst. Ich fliege mit dem nächsten Flugzeug Richtung Kairo. Ich werde dir helfen. Ich bin für dich da.“ Doch er wollte nicht, dass ich zu ihm kommen und ihn so sehen würde.

      Ich ließ ihn erzählen, während mir die Tränen über meine Wangen herunter kollerten. Ich verstand ihn nur schwer, aber ich konnte ihn zumindest gerade noch verstehen. Ich fragte ihn, ob er schon Kontakt mit seiner Familie aufgenommen hätte, doch er verneinte. Er könne sich nicht mehr an die Telefonnummern seiner Mutter, seiner Schwester und seines Bruders erinnern, und Handy hatte er auch keines mehr. Er konnte sie also nicht anrufen. Und zurück nach Luxor konnte er nicht, da er kein Geld mehr hatte. Doch er hätte Gamal angerufen, einen guten Freund und Arbeitskollegen, der eine einfache Nummer hatte. Diesen hatte er gebeten, in das Haus seiner Familie nach Luxor zu fahren, um diese zu informieren, dass er noch leben würde.

      Irritiert nahm ich die Situation zur Kenntnis. In der Webcam sah ich im Hintergrund einen rot bekleideten Mann herumlaufen, der ein gelbes Kreuz auf dem Rücken seiner Jacke trug mit der Aufschrift STAFF. Außer hüstelnden Geräuschen hörte ich nicht viel im Hintergrund. Im Krankenhausgang war außer dem Mitarbeiter niemand zu sehen.

      Behutsam fragte ich immer wieder nach. „Hast du die Prüfung auf der Uni noch gemacht?“ Ja, das hatte er, und sie wäre sehr leicht gewesen. „Kannst du dich noch erinnern, ob du den Mann vom Militär noch getroffen hast?“ „Ja, das hab ich gemacht, und ich hab ihm das Geld gegeben